Proteste im Hambacher Forst

Was
bleibt

An dem Ort, wo noch vor kurzem das Lager Oaktown stand, ist es still. In der Ferne erschallt ein leises Hämmern. Es wird vom Motorengeräusch der Kettensägen und Harvester, die das letzte Baumhaus Paragraph fällen, übertönt. Vereinzelt werfen die verbliebenen Bäume ihre Eicheln ab, sie schlagen neben mir auf den Boden. Die Natur protestiert, chancenlos gegen das schwere Gerät. | Foto: Jana Bauch

Eine Fotoreportage von Jana Bauch
Gestaltet und programmiert von Phil Ninh

Profilbild von Jana Bauch. Foto: Annika Eliane Krause".

Profilbild von Jana Bauch. Foto: Annika Eliane Krause". Der Hambacher Forst zwischen Köln und Aachen stand im September kurz vor seiner Abholzung. Der Energiekonzern RWE als Eigentümer hatte die nötige Genehmigung, um den Rest des noch bestehenden Waldes für die Erweiterung seines Tagebaus zu roden.

Am 1. Oktober sollte es losgehen. Schon in den Jahren zuvor hatten sich zahlreiche Aktivisten in dem Wald breitgemacht. Sie errichteten bis zu 70 Baumhäuser und kleinere Siedlungen. Der Zusammenstoß mit der Polizei verlief nicht immer friedlich. Diese Fotoreportage ist eine Übersicht zur Räumung des Forstes.

Jana Bauch war insgesamt neunmal als Foto-Journalistin vor Ort.

 Ihre Eindrücke  sind ergänzt durch  die Nachrichten  in jener Zeit.


Die fünf Kapitel sind Zitaten und Gesängen der Aktivisten zugeordnet.


„Ihr zerstört unser Zuhause.“

RWE-Mitarbeiter in der Baumhaussiedlung "Oaktown". Foto: Jana Bauch/dpa
RWE-Mitarbeiter in der Baumhaussiedlung „Oaktown“. Foto: Jana Bauch/dpa
Aus den Baumhäusern der Aktivistien hängen oftmals selbst gemacht Banner. Auf diesem heißt es: „Zählt nicht die Baumhäuser, sondern eure Tage!“ Foto: Jana Bauch/dpa
Aus den Baumhäusern der Aktivisten hängen oftmals selbst gemachte Banner. Auf diesem heißt es: „Zählt nicht die Baumhäuser, sondern eure Tage!“ Foto: Jana Bauch/dpa
Ein Bagger von RWE während einer Bodenräumung. Foto: Jana Bauch/dpa
Ein Bagger von RWE während einer Bodenräumung. Foto: Jana Bauch/dpa

Der Abriss der Baumhäuser im Hambacher Forst erreicht über die Medien mehr Aufmerksamkeit denn je. Auch weit über NRW hinaus wird jetzt auf das kleine Waldstück am Braunkohleabbaugebiet geschaut. Die Rodung berührt Jung und Alt. Nach dem heißesten Sommer seit über 60 Jahren denke ich: Der Klimawandel steht nicht nur unmittelbar bevor, wir befinden uns mittendrin. Selbst im schwarz regierten Bayern erreicht der Wunsch für ein besseres Umweltbewusstsein die Wähler. Die Grünen werden bei der Landtagswahl mit 17,6 Prozent zweitstärkste Partei. In Hessen erhalten sie 19,8 Prozent der Stimmen. Laut einer repräsentativen Forsa-Umfrage fordern insgesamt 71 Prozent der Deutschen einen schnellen Braunkohleausstieg.


5. September 2018

Wenige Wochen vor einer möglichen Rodung im Hambacher Forst beginnt der Energiekonzern RWE – unterstützt von einem großen Polizeiaufgebot – die Barrikaden in dem Wald wegzuräumen. RWE will für den Braunkohleabbau mehr als 100 der verbliebenen 200 Hektar Wald abholzen, darf damit aber frühestens mit Beginn der Rodungssaison ab 1. Oktober beginnen. Rodungsgegner, die teils seit langer Zeit in Baumhütten im Wald campen, fordern per Megafon den Abzug der Polizei. Zu Beginn des Einsatzes sei Pyrotechnik geworfen worden, berichteten später Beamte. Auch seien Polizisten mit Urin bespritzt und mit Fäkalien beworfen worden.

Nach einer Bodenräumung schwenkt ein Aktivist auf dem Dach eines Baumhauses eine Fahne. Foto: Jana Bauch/dpa
Nach einer Bodenräumung schwenkt ein Aktivist auf dem Dach eines Baumhauses eine Flagge. Foto: Jana Bauch/dpa

Mein Auto mit Presseschild wird mehrfach gründlich durchsucht. Zwei angebrochene Kisten Wasser befinden sich im Kofferraum. Mehrfach fragt mich die Polizei, ob ich Wasser schmuggeln würde. Wasser, das illegale Getränk. Schließlich werde ich doch durchgelassen – mit meinen Wasserflaschen.


6. September 2018

Nach Ende eines großen Polizeieinsatzes im Hambacher Forst kündigen Klima- und Umweltaktivisten neue massenhafte Proteste an. Die Organisation „Aktion Unterholz“ spricht von einem „Tag X“, der nun eingetreten sei.

Am Bahnhof Kerpen-Buir kontrolliert die Polizei die ankommenden Umweltaktivisten. Ohne Personalienüberprüfung darf niemand den Bahnhof verlassen.
Am Bahnhof Kerpen-Buir kontrolliert die Polizei die ankommenden Umweltaktivisten. Ohne Personalienüberprüfung darf niemand den Bahnhof verlassen. Foto: Jana Bauch/dpa

8. September 2018

Zu einem Bericht der „Rheinischen Post“, wonach die Polizei ein Tunnelsystem der Aktivisten im Wald entdeckt habe, erklärt die Aachener Polizei: „Wir als einsatzführende Behörde haben über solch angelegte Tunnelsysteme bislang keine Erkenntnisse.“

Ich frage mich, ob Meldungen bewusst rausgegeben werden, um die Aktivisten im Hambacher Forst in ein schlechtes Licht zu rücken. Augenzeugen berichten mir oft von Sachverhalten, die so nicht in den Pressemeldungen der Polizei zu finden sind.


In eigener Sache

Unsere Redaktion hatte Einblick in mehrere Dokumente über den Einsatz der Polizei im Hambacher Forst. Explizit ist in manchen der Dokumente von „Tunnel“ die Rede. Einstiegslöcher werden mit einer Größe von 60 mal 60 Zentimeter angegeben. Wir bleiben bei unserer Darstellung, die wir aus mehreren unabhängigen Quellen bestätigt sehen.

Ein Loch in der Natur: das Braunkohleabbaugebiet am Hambacher Forst. Foto: Jana Bauch/dpa
Ein Loch in der Natur: das Braunkohleabbaugebiet am Hambacher Forst. Foto: Jana Bauch
Umweltschützer basteln ein Mandala aus Holzresten. Foto: Jana Bauch/dpa
Umweltschützer basteln ein Mandala aus Holzresten. Foto: Jana Bauch/dpa
Essensausgabe in einem Baumhaus der Siedlung "Gallien". Die Essensspenden werden in einem großem Topf für die Gemeinschaft zubereitet. Foto: Jana Bauch/dpa
Essensausgabe in einem Baumhaus der Siedlung „Gallien". Die Essensspenden werden in einem großem Topf für die Gemeinschaft zubereitet. Foto: Jana Bauch/dpa
Ein Schild mit der Aufschrift »Spenden - Geklaut von RWE«. Foto: Jana Bauch/dpa
Ein Schild mit der Aufschrift „Spenden - Geklaut von RWE". Foto: Jana Bauch/dpa

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„Ihr habt ein Recht auf Dienstverweigerung.“

Polizisten stehen mit Schild und Rüstung vor einem dreibeinigen Hochsitz. Aktivisten hinterfragen das moralische Handeln der Beamten. Sie rufen: »Ihr habt ein Recht auf Dienstverweigerung.« Foto: Jana Bauch/dpa
Polizisten stehen mit Schild und Rüstung vor einem dreibeinigen Hochsitz. Aktivisten hinterfragen das moralische Handeln der Beamten. Sie rufen: „Ihr habt ein Recht auf Dienstverweigerung.“ Foto: Jana Bauch/dpa
Aktivisten schreiben die Telefonnummer des "Ermittlungsausschusses" auf ihren Arm. Es ist eine von Umweltschützern eingerichtete Hotline, unter der Aktivisten Hilfe erhalten, sollten sie verhaftet werden. Foto: Jana Bauch/dpa
Aktivisten schreiben die Telefonnummer des „Ermittlungsausschusses" auf ihren Arm. Es ist eine von Umweltschützern eingerichtete Hotline, unter der Aktivisten Hilfe erhalten, sollten sie verhaftet werden. Foto: Jana Bauch/dpa
Neben Kerzen und Lichterketten wird Frühstück in einem Baumhaus der Siedlung "Oaktown" zubereitet. Foto: Jana Bauch/dpa
Neben Kerzen und Lichterketten wird Frühstück in einem Baumhaus der Siedlung „Oaktown“ zubereitet. Foto: Jana Bauch/dpa

11. September 2018

Ein Verständigungsgespräch über den Hambacher Forst zwischen dem Energiekonzern RWE und Umweltschutzverbänden geht ergebnislos zu Ende. Man habe sich nicht angenähert, teilen RWE und Greenpeace mit. Greenpeace, der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) sowie der Deutsche Naturschutz Ring (DNR) hatten gefordert, die geplanten Rodungen auszusetzen, bis die zu diesem Zeitpunkt tagende Kohlekommission ihre Arbeit abgeschlossen hat.


12. September 2018

Ein Polizist gibt am Hambacher Forst einen Warnschuss ab, nachdem mehrere Beamte mit Steinen beworfen wurden. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) bezeichnet im Bürgertalk „WDR-Arena“ die Baumhäuser der Braunkohlegegner als „illegal besetzte Gebiete“. Noch während Laschets Fernsehauftritt wird bekannt, dass die jahrelang geduldeten Baumhäuser kurzfristig geräumt werden sollen.

Die Maske schützt die Identität. Ein Aktivist vor Baumhaus "Simone". Foto: Jana Bauch/dpa
Die Maske schützt die Identität. Ein Aktivist vor Baumhaus „Simone“. Foto: Jana Bauch/dpa
Ein Aktivist sitzt erschöpft an einem Baumstamm. Seine Arme sind von körperlicher Arbeit gezeichnet. Foto: Jana Bauch/dpa
Ein Aktivist sitzt an einem Baumstamm. Foto: Jana Bauch/dpa

Als am 13.September die Vorbereitungen zur Räumung des Baumhausdorfes „Oaktown“ beginnen, verschanzen sich zwei der Bewohner in einem verwinkelten Erdschacht mehrere Meter tief unter Baumhaus „Simone“. Die beiden Aktivisten werden ungefähr 60 Stunden unter der Erde sein, bis der Sauerstoff knapp wird und sie freiwillig den Schacht verlassen. Obwohl die Rodungsarbeiter auf die Gefahrenlage hingewiesen werden, sehe ich, wie weiterhin tonnenschwere Maschinen an Baumhaus „Simone“ vorbeifahren. Es besteht Einsturz- und Abgasvergiftungsgefahr für den Erdschacht.

Einem Aktivisten wird Frühstück gereicht, während er ein Baumhaus bewacht. Foto: Jana Bauch/dpa
Einem Aktivisten wird Frühstück gereicht, während er ein Baumhaus bewacht. Foto: Jana Bauch/dpa
Die Baumhäuser sind mit Seilwegen verbunden, die im Schichtbetrieb bewacht werden. Foto: Jana Bauch/dpa
Die Baumhäuser sind mit Seilwegen verbunden, die im Schichtbetrieb bewacht werden. Foto: Jana Bauch/dpa

14. September 2018

Die Polizei beginnt mit der Räumung der größten Baumhaussiedlungen. Die Bewohner des Dorfes „Oaktown“ mit etwa acht Baumhäusern kündigen gewaltlosen Widerstand etwa durch Festketten an. Sie werfen der Polizei vor, mindestens 20 Bäume, darunter auch einige sehr alte, gefällt zu haben, um Platz für die Räumfahrzeuge zu schaffen. Die Polizei gibt einzelne Fällungen zu. Sie beschuldigt die Baumhausbewohner, sie mit Exkrementen und einem brennenden Holzscheit beworfen zu haben. Verletzt wird niemand. Mindestens zehn Aktivisten werden in Gewahrsam genommen.

Eine Aktivistin klammert sich an ein dreibeiniges Baumgerüst. Polizisten versuchen über eine Hebebühne, die Umweltschützerin von dem Stamm zu lösen. Foto: Jana Bauch/dpa
Eine Aktivistin klammert sich an ein dreibeiniges Baumgerüst. Polizisten versuchen über eine Hebebühne, die Umweltschützerin von dem Stamm zu lösen. Ich bekomme mit, dass sich Aktivisten fragen, ob manche der Polizisten den Einsatz aus moralischen Gründen gerne verweigern würden und ob eine Dienstverweigerung einen Einfluss auf die weitere Berufslaufbahn der Polizisten hätte. Foto: Jana Bauch
Ein Polizist geht an einer symbolischen Blockade vorbei. Foto: Jana Bauch/dpa
Ein Polizist geht an einer symbolischen Blockade vorbei. Foto: Jana Bauch

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„Ihr seid Helden, ihr seid Helden.“

Ein zerstörtes Baumhaus.
Ein zerstörtes Baumhaus. Foto: Jana Bauch/dpa

Ich habe den Eindruck, dass die Aktivisten durch ihren Protest viel erreicht haben: Sie haben das Umweltbewusstsein von Hunderttausenden Menschen geweckt. Sie haben Eltern, Kinder, Studenten, Schüler und Rentner dazu bewegt, zusammen auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren - sich zusammen für die Umwelt einzusetzen. "Ihr seid Helden" rufen sie einander zu.

Im Lager "Wiesencamp", das sich auf einem Privatgrundstück am Rande des Forsts befindet, haben mehrere Räumungen und Personenkontrollen stattgefunden.
Im Lager „Wiesencamp“, das sich auf einem Privatgrundstück am Rande des Forsts befindet, haben mehrere Räumungen und Personenkontrollen stattgefunden. Foto: Jana Bauch/dpa
Ein Ankleideraum in einer Lehmhütte. Jeder Aktivist kann sich hier kostenlos Kleidung nehmen.
Ein Ankleideraum in einer Lehmhütte. Jeder Aktivist kann sich hier kostenlos Kleidung nehmen. Foto: Jana Bauch/dpa
Die Hütte wurde aus Lehm, Holz und Recyclingmaterialien gebaut.
Die Hütte wurde aus Lehm, Holz und Müll gebaut. Foto: Jana Bauch/dpa
Ein Schlafraum im Wiesencamp.
Ein Schlafraum im „Wiesencamp“. Foto: Jana Bauch/dpa
Dieser Schlafraum wird von den Bewohnern auch Museum genannt. Viele Bilder hängen an den Wänden.
Dieser Schlafraum wird von den Bewohnern auch Museum genannt. Viele Bilder hängen an den Wänden. Foto: Jana Bauch/dpa

16. September 2018

Mehrere Tausend Braunkohlegegner demonstrieren gegen die Räumung und geplante Rodung des alten Waldes. Die Lage spitzt sich am Nachmittag zu, als rund 200 Demonstranten in den von der Polizei abgesperrten Wald vordringen. Es kommt zu Rangeleien und Scharmützeln. Mehrere Aktivisten ketten sich aneinander. Es gibt Verletzte.

Ein Polizeihund mit Maulkorb steht in einer Reihe Polizisten.
Ein Polizeihund mit Maulkorb steht in einer Reihe Polizisten. Foto: Jana Bauch/dpa
Demonstranten heben die Hände. Viele von Ihnen rufen: "Wir sind friedlich, was seid ihr?"
Demonstranten heben die Hände. Viele von Ihnen rufen: „Wir sind friedlich, was seid ihr?“ Foto: Jana Bauch/dpa
Eine friedliche Demonstration vor dem Hambacher Forst.
Eine Demonstration vor dem Hambacher Forst. Foto: Jana Bauch/dpa
Ein Polizist reitet mit seinem Pferd auf einen Aktivisten zu.
Ein Polizist reitet mit seinem Pferd auf einen Aktivisten zu. Foto: Jana Bauch/dpa
Die Polizei ist nicht nur mit Hundeführern und Pferden im Einsatz. Auch Wasserwerfer und Räumpanzer werden genutzt. Die meisten Demonstrationen verlaufen allerdings friedlich.
Die Polizei ist nicht nur mit Hundeführern und Pferden im Einsatz. Auch Wasserwerfer und Räumpanzer werden genutzt. Die meisten Demonstrationen verlaufen allerdings friedlich. Foto: Jana Bauch/dpa
Stiller Protest im Wiesencamp.
Protest in der Nähe des „Wiesencamps“. Foto: Jana Bauch/dpa
Auch den Polizeibeamten ist es lieber, es geht ruhig zu.
Eine Sitzblockade vor dem Forst. Foto: Jana Bauch/dpa

18. September 2018

Die schwarz-gelbe NRW-Landesregierung und die Opposition aus SPD und Grünen werfen sich gegenseitig vor, die angespannte Situation im Hambacher Forst weiter zu eskalieren. Die Gewerkschaft der Polizei rechnet mit Kosten in zweistelliger Millionenhöhe für die Räumung der Baumhäuser der Umweltaktivisten. In einer Sondersitzung des Bauausschusses debattiert der Landtag über das bisherige und weitere Vorgehen.

Ein dreibeiniger Hochsitz vor einem Baumhaus. Behörden wollen mit Räumungen im Hambacher Forst beginnen.
Ein dreibeiniger Hochsitz vor einem Baumhaus in der Siedlung „Lorien“. Foto: Jana Bauch/dpa
In der Ferne nähert sich die Polizei. Behörden wollen mit Räumungen im Hambacher Forst beginnen.
Eine Strohpuppe hängt in den Bäumen an einem Waldeingang, der von Aktivisten blockiert wird. In der Ferne nähert sich die Polizei. Foto: Jana Bauch/dpa

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„Lasst die Presse rein.“

Das Gebiet um das Baumhaus "Paragraph" wurde weiträumig mit Flatterband abgesperrt.
Das Gebiet um das Baumhaus „Paragraph“ wurde weiträumig mit Flatterband abgesperrt. Foto: Jana Bauch

Absperrband zieht sich in drei Ringen um die Einsatzorte. Journalisten müssen teilweise mehr als 50 Meter vom Einsatzort entfernt stehen, können nicht mehr sehen, was geschieht. Bei einer Personenkontrolle zeige ich meinen Presseausweis vor. Trotz telefonischer Überprüfung fordern die Polizisten zusätzlich eine Leibesvisitation. Die Ursache für das Misstrauen mir gegenüber werden wohl meine Dreadlocks sein.

Illustration: Phil Ninh
Illustration: Phil Ninh

Eine Polizistin greift mir unter den BH und den Bund der Unterhose. Sie wolle einen Waffenschmuggel ausschließen, sagt sie. Auf Nachfrage beim Presserat erfahre ich, dass Ganzkörperkontrollen bei Journalisten ein Verstoß gegen die Pressefreiheit sind. Den Presseausweis trage ich seitdem sichtbar mit einer Schnur an der Jacke befestigt. Die Echtheit der Karte wird weiterhin mehrfach telefonisch überprüft, bis zu dreimal auf 150 Metern Fußweg.


19. September 2018

Ein 27-jähriger Journalist aus Leverkusen stürzt durch die Bretter einer Hängebrücke zwischen zwei Baumhäusern und fällt 15 Meter in die Tiefe. Er stirbt noch am Unfallort. Die Landesregierung stoppt daraufhin die Rodungsarbeiten im Forst.

Am Lagerfeuer in der Siedlung „Lorien“ klingelt ein Walkie-Talkie. Der Journalist Steffen Meyn ist von einer Hängebrücke im höchstgelegenen Baumhausdorf „Beechtown“ gestürzt. Entsetzen, Angst, Wut und Trauer, Schreie und Stille, Verzweiflung. Der junge Dokumentarfilmer stürzte, als er einen Polizeizugriff einige Baumhäuser weiter filmen möchte. Rettungssanitäter sind sofort vor Ort. Ein Rettungshubschrauber landet. Zeit vergeht. Der Hubschrauber hebt nicht ab. Steffen Meyn ist tot.

Die Stimmung kippt. Polizisten, Aktivisten, RWE-Mitarbeiter und Journalisten, alle sind geschockt. Zweifel kommen auf. Kurz darauf möchte ein Aktivist das Lager „Beechtown“ verlassen und beginnt sich abzuseilen. Als die Polizei den Vorgang bemerkt, wird der Mann sofort von mehreren Polizisten umstellt. Klar ist, sobald er den Boden betritt, wird die Polizei zugreifen. Der Weg nach unten ist kompliziert und gefährlich. Die Seilwege müssen mehrfach gewechselt werden. Für mich ist unverständlich, warum die Polizei den Mann so sehr unter Druck setzt. Schließlich ist es auch in ihrem Interesse, dass die Aktivisten sicher von den Bäumen herunterkommen.


20. September 2018

Nach dem Unfalltod des Journalisten gehen Forderungen und Schuldzuweisungen hin und her. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) wirft einigen Waldbesetzern vor, die Unterbrechung der Räumungsarbeiten für den Bau neuer Baumhäuser zu nutzen. Er fordert die Aktivisten auf, die Häuser zu verlassen. Eine Sprecherin der Waldbesetzer lehnt das ab. Wenn die Räumungen fortgesetzt würden, werde man sie weiter behindern, kündigt sie an. Der „Irrsinn dieses Einsatzes“ müsse aufhören.

Aktivisten und Polizisten stehen sich an einer Barrikade gegenüber und reden friedlich miteinander. Die Polizisten dürfen nicht kenntlich gezeigt werden, da das Gespräch keine Dienstanweisung ist.
Aktivisten und Polizisten stehen sich an einer Barrikade gegenüber und reden miteinander. Die Polizisten dürfen nicht kenntlich gezeigt werden, da das Gespräch ohne Dienstanweisung erfolgt. Foto: Jana Bauch
Ein Mann musiziert auf einem Baumhaus, während die Polizei die Aktivisten mehrfach auffordert das Lager zu verlassen.
Ein Mann musiziert auf einem Baumhaus, während die Polizei die Aktivisten mehrfach auffordert, das Lager zu verlassen. Foto: Jana Bauch/dpa
Die Polizei löst eine friedliche Sitzblockade in Cosy Town auf. Der Abgeführte schreit: Aufhören, mein Handgelenk bricht gleich.
Die Polizei löst eine Sitzblockade in „Cosytown“ auf. Der Abgeführte schreit: „Aufhören, mein Handgelenk bricht gleich.“ Foto: Jana Bauch/dpa
Mehrere dreibeinige Hochsitze versperren eine Zufahrt zum Hambacher Forst.
Mehrere dreibeinige Hochsitze versperren eine Zufahrt zum Hambacher Forst. Foto: Jana Bauch/dpa

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„Ich sag Hambi, ihr sagt bleibt. Hambi bleibt.“

Die Baumhaussiedlung "Oaktown" nach der Räumung.
Die Baumhaussiedlung „Oaktown“ nach der Räumung.
Neben einem abgesägtem Baumstumpf liegen Holzkreuze und Absperrband. Auf den Lebensringen des Baums sind Daten mit Edding notiert: *19.09.1618 R.I.P. 19.09.2018
Neben einem abgesägtem Baumstumpf liegen Holzkreuze und Absperrband. Auf den Jahresringen des Baums sind Daten mit Edding notiert: *19.09.1618 R.I.P. 19.09.2018
Das Baumhaus "Paragraph" vor der Räumung.
Das Baumhaus „Paragraph“ vor der Räumung.

An dem Ort, wo noch vor Kurzem die Baumhaussiedlung „Oaktown“ stand, ist es still. In der Ferne höre ich ein leises Hämmern. Es wird vom Motorengeräusch der Kettensägen und Holzvollernter übertönt, die das letzte Baumhaus „Paragraph“ fällen. Vereinzelt werfen die verbliebenen Bäume ihre Eicheln ab, sie schlagen neben mir auf den Boden. Es scheint, als versuche die Natur sich zu wehren.


5. Oktober 2018

Mit einer spektakulären Entscheidung stoppt das Oberverwaltungsgericht Münster die Rodungspläne des Energiekonzerns RWE. Das gut 100 Hektar große Waldstück müsse vorerst geschützt bleiben, bis in dem komplizierten Hauptverfahren eine Entscheidung gefallen sei, erklärt das Gericht. Nach Einschätzung von RWE könnte das bis Ende 2020 dauern. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) hatte argumentiert, dass der Wald mit seltenen Tieren wie der Bechsteinfledermaus oder dem Großen Mausohr die Qualitäten eines europäischen FFH-Schutzgebietes habe und deshalb geschützt werden müsse.

Ein Baumhaus in der Siedlung "Gallien" wird abgerissen.
Ein Baumhaus in der Siedlung „Gallien“ wird abgerissen.
Zwei Aktivistinnen stehen auf einem Holzwall, der um das Baumhaus »Paragraph« gebaut wurde. Sie halten sich an den Händen und schauen zur Polizei.
Zwei Aktivistinnen stehen auf einem Holzwall, der um das Baumhaus „Paragraph“ gebaut wurde. Sie halten sich an den Händen und schauen zur Polizei.
Aktivisten haben die Bodenstruktur eines neuen Lagers innerhalb von einem Tag errichtet. Mit einer Plane schützen sie sich vor einem Regenschauer.
Aktivisten errichten ihre Lager teilweise innerhalb eines Tages.
Die Polizei löst eine Stitzblockade vor dem Baumhaus »Paragraph« auf.
Die Polizei löst eine Sitzblockade vor dem Baumhaus „Paragraph“ auf.

8. Oktober 2018

Am frühen Morgen zieht sich die Polizei wenige Tage nach dem Gerichtsurteil aus dem Hambacher Forst zurück. NRW-Innenminister Reul hatte den Abzug am Tag zuvor angekündigt: „Ich finde, es ist jetzt an der Zeit, dass im Wald Ruhe, Ordnung und Frieden einkehren“, hatte Reul gesagt.

Es ist, als ob der Wald schreit. Seine zeitweiligen Bewohner haben ihm eine Stimme gegeben. Der Hambacher Forst ist zum Symbol für etwas Größeres geworden, ein Symbol gegen die Erderwärmung, ein Symbol für den Klimaschutz, ein Symbol für den Braunkohleausstieg. Dass die Rodung im Wald wegen artenschutzgefährdeter Fledermäuse gestoppt wurde, scheint mir fast so absurd, wie den Abriss der Baumhäuser mit Brandschutz zu begründen. Abriss und Neuaufbau, RWE und Polizei gegen die Umweltaktivisten. Sie spielen Katz und Fledermaus. Die Aktivisten geben nicht auf und fassen ständig neue Energie, bauen Zerstörtes wieder auf.

Um die Abrissarbeiten in die Länge zu ziehen, haben einige Aktivisten ihre Hände einbetoniert. Dabei befanden sich ihre Arme in einem Rohr, das durch den Beton verläuft. Ihre Hände haben sie in der Mitte des Betonblocks mit Handschellen befestigt. Hier wurde ein Autoreifen als Rahmen benutzt.
Um die Abrissarbeiten in die Länge zu ziehen, haben einige Aktivisten ihre Hände einbetoniert. Dabei befanden sich ihre Arme in einem Rohr, das durch den Beton verläuft. Ihre Hände haben sie in der Mitte des Betonblocks mit Handschellen befestigt. Hier wurde ein Autoreifen als Rahmen benutzt.
Im Schutzwall eines Lagers haben sich Aktivisten mit Schlafsäcken zugedeckt. Isolierdecken wurden zum Regenschutz als Dach verwendet.
Im Schutzwall eines Lagers haben sich Aktivisten mit Schlafsäcken zugedeckt. Isolierdecken wurden als Dach zum Schutz vor Regen verwendet.

23. November 2018

Die von der Regierung eingesetzte Kohlekommission will für den Ausstieg aus der Kohleenergie zuerst Kraftwerke im Westen Deutschlands abschalten. Zunächst sollten Kraftwerke mit einer Leistung von insgesamt fünf Gigawatt stillgelegt werden, darunter sechs Braunkohleblöcke im Rheinischen Revier, berichtet der „Spiegel“ vorab unter Berufung auf einen Entwurf des Abschlussberichts der Kohlekommission, die noch bis zum Januar tagen soll. Der Hambacher Forst solle demnach bestehen bleiben. Das Bundeswirtschaftsministerium teilt kurz darauf jedoch mit: „Die gesamte Meldung entbehrt jeder Grundlage.“ Anstatt zu feiern, stellen sich die Aktivisten im Hambacher Forst also auf eine Fortführung des Konfliktes ein.

Dezember. Die Bäume im Hambacher Forst sind kahl. Schnee fällt nicht, es sind zwölf Grad. Vorerst ist etwas Ruhe eingekehrt im Wald. Keine Polizei, keine Räumungsfahrzeuge, keine RWE-Mitarbeiter. Nur einige Aktivisten sind geblieben und bereiten sich auf den Winter vor.

Ein Tripod mit Schlafplatz wurde auf einer Kreuzung im Hambacher Forst errichtet.
Anfang Dezember: Aktivisten haben einen neuen Tripod mit Schlafplatz auf einer Kreuzung im Hambacher Forst errichtet.
Das Lager Im Winkel wurde Anfang Oktober neu errichtet.
Das Lager „Im Winkel“ wurde Anfang Oktober neu erbaut.
Auch im Lager Oaktown wurden neue Baumhäuser gebaut.
Auch im Lager „Oaktown“ wurden neue Baumhäuser gebaut.
Das Braunkohleabbaugebiet in der Dämmerung.
Das Braunkohleabbaugebiet in der Dämmerung.
Im Winkel sitzen Aktivisten am Lagerfeuer und spielen Gitarre.
Gemeinsames Musizieren im Lager „Im Winkel“.

Eine Aktivistin sitzt mit ihren Freunden bei Gitarrenmusik am Feuer im Lager „Im Winkel“. Sie erzählt mir: „Es gibt eine Kerngruppe, die sich hier auch schon zu Hause fühlt. Je nach aktueller Lage gibt es mal mehr und mal weniger Besucher, die auch für ein paar Tage bleiben. Momentan ist der Wind nachts kühl. Gemeinsam versuchen wir, unsere Hütten winterfest zu bekommen. Da die Tageslichtzeit im Dezember kurz ist, bleiben uns nicht viele Stunden, an denen wir weiterbauen und arbeiten können. Unser Jahresziel? Bleiben.“

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Von Jana Bauch (Text und Foto), Phil Ninh (Design und Programmierung), Philipp Jacobs (Redaktion), Stefan Weigel (Redaktion), Andreas Krebs (Redaktion)


RP ONLINE, 25.04.2024

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