Polizeiversagen Beweisstücke im Fall Lügde verschwunden - Sonderermittler eingesetzt

Düsseldorf · Im Fall des Missbrauchsskandals in Lügde sind offenbar wichtige Beweisstücke verschwunden. Es soll sich um 155 Datenträger handeln, die seit Wochen fehlen. NRW-Innenminister Reul spricht von „Polizeiversagen“ und einem „Debakel“.

Absperrband der Polizei am Campingplatz in Lügde.

Absperrband der Polizei am Campingplatz in Lügde.

Foto: dpa/Christian Mathiesen

Im Fall des vielfachen Kindesmissbrauchs auf einem Campingplatz in Lügde ist seit mehreren Wochen Beweismaterial verschwunden. Ein Koffer und eine Hülle mit 155 Datenträgern würden seit dem 20. Dezember in der Kreispolizeibehörde Lippe vermisst. Das teilte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) am Donnerstag in Düsseldorf mit. Vier Sonderermittler seien eingesetzt worden, um das Verschwinden aufzuklären. Das Fehlen der Asservate sei erst am 30. Januar bemerkt worden. Nur 3 CDs seien davon bisher ausgewertet worden. Ob auf den Datenträgern mit 0,7 Terabyte Speicherplatz auch kinderpornografisches Material war, sei daher unklar. „Man muss hier klar von Polizeiversagen sprechen“, sagte Reul, der auch das Wort „Desaster“ gebrauchte. Der größte Teil von 15 Terabyte Filmmaterial war von der Polizei aber bereits gesichert worden.

Der innenpolitische Sprecher der SPD im Landtag, Hartmut Ganzke, brachte einen Untersuchungsausschuss ins Gespräch. „Wenn Innenminister Reul in diesem Polizeiskandal keine lückenlose Aufklärung liefert, wird das ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss leisten müssen“, sagte der SPD-Politiker unserer Redaktion.

Erich Rettinghaus, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), forderte eine lückenlose Aufklärung. „In keinem Strafverfahren dürfen Beweismittel verschwinden. So etwas geht überhaupt nicht und darf nicht passieren. Aber zunächst gilt die Unschuldsvermutung“, sagte Rettinghaus unserer Redaktion. Jetzt müsse erst einmal gründlich ermittelt werden. „Nichts darf unter den Tisch gekehrt werden. Man muss transparent mit dem Fall umgehen und alles offen benennen“, sagte Rettinghaus.

Wegen des Verdachts des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und der Verbreitung von Kinderpornografie sitzen als Hauptverdächtige ein 56-Jähriger aus Lügde, ein 33-Jähriger aus Steinheim und ein 48-Jähriger aus Stade in Niedersachsen in Untersuchungshaft. Bislang sind 31 minderjährige Opfer im Alter zwischen vier und 13 Jahren identifiziert. Sie kommen zum Großteil aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen.

Ausgelöst wurden die Ermittlungen durch eine Anzeige im November 2018. Zusätzlich zu den Ermittlungen gegen die Tatverdächtigen und mehrere Jugendämter steht auch die Polizei in der Kritik. Gegen zwei Beamte wird laut Reul wegen Strafvereitelung ermittelt. Es werde genau geprüft, ob sie die Tatverdächtigen möglicherweise persönlich kannten. Warum die Datenträger aus dem Raum in der Polizeibehörde Lippe verschwunden sind, konnte Reul zunächst nicht sagen. Er wollte Vorsatz nicht ausschließen.

Bereits 2016 sollen zwei Hinweise auf sexuellen Missbrauch bei der Polizei Lippe eingegangen sein. Nach Telefongesprächen mit den Zeugen leiteten die Beamten die Hinweise an das Jugendamt weiter. Weitere Schritte blieben aber aus. Die Staatsanwaltschaft Detmold ermittelt daher auch gegen die Polizei.

Gegen eine weitere Person wird wegen des Verdachts der Datenlöschung ermittelt. Gegen diesen Verdächtigen führt die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Strafvereitelung. Geprüft wird, ob die Person Daten für einen der drei Hauptverdächtigen gelöscht hat und ob damit eine Bestrafung verhindert werden sollte.

In einer Erklärung hat die Kreispolizeibehörde Lippe „eklatante Fehlleistungen“ eingeräumt: „Dies hätte nicht geschehen dürfen.“ Nach Vorliegen der Berichte werde die Behörde die „notwendigen Konsequenzen“ ziehen.

(cpas/dpa/AFP/tor/csh)
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