Interview mit Bayer-Aufsichtsrats-Chef Wenning "Zweistellige Millionen-Gehälter gibt es für Bayer-Vorstände nicht"

Düsseldorf · Bayer-Aufsichtsrats-Chef Werner Wenning spricht im Interview mit unserer Redaktion über die Zukunft des Bayer-Standortes, über die Frauenquote und umstrittene Managergehälter.

Der Abschied von Werner Wenning bei Bayer als Vorstands-Chef
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Der Abschied von Werner Wenning bei Bayer als Vorstands-Chef

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Bayer wird 150 Jahre. Sie sind seit 1966 dabei. Wie hat sich Bayer in dieser Zeit verändert?

Wenning Das Geschäft ist schneller und noch internationaler geworden. Dabei waren und sind Innovation, Internationalisierung und Wandlungsfähigkeit stets die wichtigsten Merkmale für unsere Unternehmensentwicklung. Als ich bei Bayer anfing, machte der Konzern im Jahr einen Umsatz von sieben Milliarden D-Mark, heute liegt er bei fast 40 Milliarden Euro. Damals kam die Hälfte des Umsatzes aus Deutschland, heute sind es nur noch zwölf Prozent. Doch schon damals hatten wir 10.000 Forscher, fast so viele wie heute. Innovationen waren schon immer ein zentrales Thema für Bayer.

Sie haben eine ungewöhnliche Karriere gemacht und sind vom Azubi zum Vorstands-Chef aufgestiegen. Wäre das heute bei Bayer denkbar?

Wenning Im Prinzip schon. Wer gut in seinem Job ist, außerdem flexibel und bereit, ins Ausland zu gehen, kann bei Bayer nach wie vor Karriere machen. Ob es dann bis zur Berufung in den Vorstand reicht, weiß ich nicht. Dazu gehört natürlich auch eine gehörige Portion Glück.

Was war für Sie das prägendste Erlebnis?

Wenning Mein früher Auslandsaufenthalt. Mit 23 Jahren bin ich für Bayer nach Peru gegangen. Ich kam als junger Mensch in eine ganz andere Welt und habe zeitgleich meine Familie gegründet. Der Konzern traute mir, dem jungen Industriekaufmann, etwas zu. Das hat mich geprägt. Auch deshalb wird Bayer immer mein Unternehmen bleiben.

2002 wurden Sie Vorstandschef, kurz darauf kam die Lipobay-Krise. Bayer musste seinen Cholesterinsenker vom Markt nehmen. Haben Sie damals gefürchtet, das überlebt der Konzern nicht?

Wenning Nein, solche Gedanken hatte ich nicht. Aber wir mussten kämpfen. Die allgemeine wirtschaftliche Lage war schlecht, plötzlich kamen wegen Lipobay in den USA Milliarden-schwere Forderungen auf uns zu. Die Bayer-Aktie, die heute bei rund 80 Euro liegt, stürzte auf unter zehn Euro. Als das US-Gericht die erste Schadenersatz-Klage zurückwies, haben Mitarbeiter in der Konzernzentrale vor Erleichterung feuchte Augen gehabt.

Welche Lehre haben Sie aus der Lipobay-Krise gezogen?

Wenning Wenn es eng wird, muss die Mannschaft mitgenommen werden. Solche Krisen muss man gemeinsam durchstehen. Konkret haben wir damals reagiert, indem wir das ohnehin geplante Restrukturierungs-Programm für den gesamten Konzern forciert haben. Das haben die Mitarbeiter nach anfänglicher Unsicherheit auch verstanden.

Heute gibt es erneut tausende Klagen in den USA — wegen der Verhütungspille Yasmin. Bayer hat bereits eine Milliarde Dollar für Vergleiche gezahlt. Was ist anders als bei Lipobay?

Wenning Die Fälle sind nicht vergleichbar, auch wenn Bayer erneut mit dem speziellen amerikanischen Rechtssystem konfrontiert ist. Die Risiken von Verhütungsmitteln sind lange bekannt. Zudem ist Bayer heute in einer weitaus besseren wirtschaftlichen Verfassung als damals.

Erstaunlich gelassen nahm die Belegschaft 2004 die Abspaltung der Chemiesparte hin ...

Wenning Ja, denn wir haben die Mitarbeiter umfassend informiert — und dann haben sie uns auch vertraut. Mit dem Betriebsrats-Chef haben wir damals gut und kooperativ zusammengearbeitet. Anders als oft behauptet, war Lanxess nicht unsere Resterampe, sondern ein solide ausgestattetes Unternehmen, das sehr gut gemanagt wird. Heute ist Lanxess im Dax. Und der Aktienkurs hat sich hervorragend entwickelt. Ein schöner Erfolg.

2010 gingen Sie in Rente, 2012 kehrten Sie als Aufsichtsrats-Chef zurück. Wie ändert das die Sicht auf Bayer?

Wenning Ein solcher Wechsel bedeutet Loslassen und Beschränken. Man gestaltet nicht mehr das Geschäft, sondern begleitet es. Daran muss man sich gewöhnen.

War Ihre zweijährige Abkühlungsphase, die der Gesetzgeber vorschreibt, dann vielleicht doch gut?

Wenning Meine Meinung hat sich nicht geändert. Für die große Mehrheit der Konzerne ist eine solche Regelung überflüssig, sie entzieht ihnen über zwei Jahre gute Kenner der Materie. Wegen problematischer Einzelfälle in wenigen Konzernen wurde eine Regelung getroffen, die vielen Unternehmen nicht unbedingt hilft.

Sie haben Ihren Nachfolger, Marijn Dekkers, mit ausgesucht und ihn im Bayer-Vorstand angelernt. Wie ist Ihr Verhältnis heute?

Wenning Weiterhin gut, auch wenn sich unsere Rollen verändert haben. Früher haben wir gemeinsam im Vorstand gearbeitet, heute ist er für das operative Geschäft verantwortlich und ich begleite dies. Wir tauschen uns sehr regelmäßig aus, sprechen viel über das Geschäft, aber auch über Fußball.

Haben Sie ihm als Vermächtnis mitgegeben, Bayer mit drei Teilkonzernen (Pharma, Pflanzenschutz, Kunststoffe) zu erhalten?

Wenning Ich habe ihm überhaupt keine Vorgaben gemacht, er muss jetzt seine eigenen Entscheidungen treffen.

Viele hatten erwartet, dass Herr Dekkers schnell die Kunststoffsparte verkauft und Bayer zum ganz großen Pharmakonzern ausbaut.

Wenning Wir haben Herrn Dekkers doch nicht als großen Restukturierer geholt, sondern wegen seiner umfassenden Fähigkeiten und seiner Erfahrung unter anderem im Umgang mit den Finanzmärkten. Gewinne, Dividende, Aktie — die Rekordzahlen zeigen, dass unsere Wahl richtig war.

Sie führen auch den Eon-Aufsichtsrat. Warum sorgt der Umbau dort für viel mehr Wirbel als der bei Bayer, obwohl hier auch tausende Stellen abgebaut wurden?

Wenning Für die Energiebranche hat sich die Welt nach dem Unglück von Fukushima schlagartig verändert. Plötzlich gibt es in einer einst erfolgsverwöhnten Branche deutlich weniger zu verteilen. Und bei jedem Umbau kommt es auf das Zusammenspiel der handelnden Personen an. Aber Eon ist auf gutem Weg.

Alle Aufsichtsräte sind derzeit mit dem Thema Frauenquote konfrontiert. Brauchen wir eine feste Quote, wie sie nun auch die CDU fordert?

Wenning Nein. Die Unternehmen werden schon aus Eigeninteresse dafür sorgen, dass Frauen aufsteigen. Sie wären angesichts des Fachkräftemangels nicht gut beraten, das Potenzial der Frauen nicht zu nutzen. Bis zum Jahr 2015 will Bayer 30 Prozent der Führungspositionen mit Frauen besetzen, derzeit sind es 23 Prozent. Solche Selbstverpflichtungen reichen.

Auch in die Gehaltsfindung will die Regierung eingreifen. Sie will, dass statt des Aufsichtsrats die Hauptversammlung über die Gehälter der Vorstände entscheidet. Gute Idee?

Wenning Nein, überhaupt nicht. Der Aufsichtsrat ernennt Vorstände und entscheidet über Milliarden-Investitionen. Da soll er nicht auch über Millionen-Gehälter der Vorstände befinden können? Das ist doch absurd. Man sollte Aktionäre über das Vergütungssystem einschließlich der Ausgestaltung abstimmen lassen, nicht aber über einzelne Gehälter.

Sind 20 Millionen Euro, die Volkswagen-Chef Winterkorn zunächst bekommen sollte, denn in Ordnung?

Wenning Grundsätzlich gilt: Wer viel leistet, soll auch viel verdienen. Doch wir müssen auch auf die gesellschaftliche Akzeptanz achten. Zweistellige Millionen-Gehälter gibt es für Bayer- und Eon-Vorstände jedenfalls nicht. Dazu brauchen wir keine gesetzlichen Regelungen.

Zurück zu Bayer: Wie sieht der Konzern zum 200. Geburtstag aus? Bleibt es beim Drei-Säulen-Konzern? Bleibt es bei Leverkusen?

Wenning (lacht) Wie soll ich das wissen? Was in 50 Jahren ist, kann doch heute keiner sagen. Die Gewichte in der Weltwirtschaft werden sich noch mehr verschieben. Doch ich hoffe, das in Leverkusen auch in 50 Jahren noch das Stammhaus von Bayer stehen wird.

Und was wird eher geschehen: Dass Ihre Werkself deutscher Meister wird oder eine Frau Bayer-Chef?

Wenning Alles wird kommen - und alles zu seiner Zeit.

Antje Höning führte das Gespräch

(felt)
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