Karlsruhe Zinswetten: Deutsche Bank verurteilt

Karlsruhe · Der Bundesgerichtshof hat die Deutsche Bank wegen ihrer berüchtigten Zinswetten zu Schadensersatz verurteilt. Weil die Zocker-Produkte zu Hunderten verkauft wurden, befürchtet die Branche jetzt einen "Erdrutsch". Die Deutsche Bank warnt sogar vor einer "zweiten Finanzkrise".

Ihre in Deutschland hundertfach an Kommunen und Unternehmen verkauften Zinswetten werden für die Banken zum Milliarden-Risiko. Gestern verurteilte der Bundesgerichtshof (BGH), das oberste deutsche Gericht, die Deutsche Bank zu einer halben Million Euro Schadensersatz.

Zwar ging es in diesem Fall nur um den hessischen Mittelständler Ille, der Geld mit dem berüchtigten "Spread Ladder Swap"-Produkt der Deutschen Bank verloren hatte. Aber die Begründung des Musterurteils lässt sich nach Auffassung der meisten Prozessbeobachter auf fast sämtliche Kunden dieses und ähnlicher Produkte sowohl bei der Deutschen als auch bei anderen Banken übertragen. Klartext: "Wer mit Zinswetten Geld verloren und geklagt hat oder noch klagen will, hat jetzt hervorragende Chancen, das Geld zurückzubekommen", fasste der Münchener Rechtsanwalt Jochen Weck gestern gegenüber unserer Zeitung die Tragweite des Urteils zusammen. Weck hat in Karlsruhe den Kläger vertreten und rechnet nun mit einer "Forderung von insgesamt einer Milliarde Euro gegen die Banken". Selbst der Anwalt der Deutschen Bank, Christian Duve, hatte in der Verhandlung vor einem "Erdrutsch" und sogar einer "zweiten Finanzkrise" für den Fall gewarnt, dass sein Haus den Prozess verlieren würde. Der Düsseldorfer Anwalt Julius Reiter, der ebenfalls zahlreiche Kommunen und Unternehmen vertritt, geht sogar noch weiter: "Das Urteil ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einem Kulturwandel in der Bankberatung. Die Institute müssen künftig grundsätzlich viel genauer beraten."

In den Jahren 2005 bis 2007 hat die Deutsche Bank nach Informationen aus Finanzkreisen 500 Firmen und 200 Kommunen so genannte Swap-Geschäfte verkauft, bei denen die Kunden hoch risikoreich auf bestimmte Zinsentwicklungen spekulierten. Andere Institute haben ähnliche Produkte verkauft, weshalb die ganze Branche auf das BGH-Urteil gewartet hat. Laut einer Umfrage hat allein in NRW "fast jede zweite Kommune solche Geschäfte getätigt", sagte gestern Eberhard Kanski vom Bund der Steuerzahler in NRW. Viele haben verloren, einige sogar mehrstellige Millionenbeträge. Bekannt geworden sind zum Beispiel die Zinswetten der Städte Hagen, Neuss, Dormagen, Dortmund, Marl, Remscheid, Hückeswagen und Solingen. "Die meisten Städte halten das Thema aus Furcht vor öffentlicher Bloßstellung unter der Decke", sagt Kanski, "ich hoffe, dass sich das nach dem Urteil jetzt ändert."

Denn das Urteil ist eine schallende Ohrfeige für die Deutsche Bank, die dieses Anlageprodukt nach Auffassung des BGH "bewusst zulasten des Anlegers" konstruiert hatte (Az.: XI ZR33/10). Der Vorsitzende Richter Ulrich Wiechers sagte: "Der Vergleich mit einer Wette ist eine Verharmlosung. Hier ist das Risiko unbegrenzt und kann bis zum finanziellen Ruin des Kunden gehen."

Laut Weck hat das Gericht den "hoch spekulativen Charakter der Zinswetten damit eindeutig identifiziert". Damit sei auch klar, dass die Banken solche Produkte zumindest an Kommunen gar nicht erst hätten verkaufen dürfen. "Für Kommunen sind Spekulationsgeschäfte grundsätzlich verboten", so Weck, "deshalb müssen die Banken diese Geschäfte jetzt zu ihren Lasten rückabwickeln." Sollte sich Wecks Rechtsauffassung bestätigen, wäre das für die Steuerzahler ein Segen. Denn laut Weck war die unzureichende Beratung der Banken nämlich nicht "fahrlässig" sondern "vorsätzlich", was viel längere Verjährungsfristen bedeuten würde. Das heißt: Selbst Kommunen und Firmen, die bislang nicht geklagt haben, könnten sich ihr Geld dann noch zurückholen.

Weck empfiehlt allen Betroffenen, ihre Ansprüche zu prüfen. Die Deutsche Bank hat nach eigenen Angaben schon Rückstellungen gebildet.

(RP)
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