Zinswende lässt auf sich warten

Analyse Warum die EZB noch nicht gegen die Inflation vorgeht

Düsseldorf Trotz des dramatischen Anstiegs der Rohstoff- und Verbraucherpreise hält die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen konstant. Gestern beschloss sie, den Leitzins auf dem historisch tiefen Niveau von einem Prozent zu lassen. Der Leitzins ist der Zins, zu dem Geschäftsbanken sich Geld bei der EZB leihen können. Steigt er, steigen (meist sofort) die Zinsen für Hauskredite und (meist verzögert) die Zinsen für Sparguthaben. Zugleich dämpfte EZB-Präsident Jean-Claude Trichet die Erwartung auf eine baldige Zinserhöhung.

Die Finanzmärkte reagierten enttäuscht, der Euro fiel auf 1,36 Dollar. Denn eigentlich müsste die Zentralbank die Zinswende einläuten. Schließlich ist sie gesetzlich verpflichtet, die Inflation bei "unter, aber nahe an zwei Prozent" zu halten. Dieses Ziel ist klar verletzt. Im Dezember lag die Inflationsrate in der Euro-Zone bei 2,2 Prozent, im Januar sogar bei 2,4 Prozent.

Allerdings muss die EZB nicht auf kurzfristige Ausschläge reagieren. Und da auf mittlere Sicht das Ziel der Preisniveaustabilität nicht gefährdet sei, bestehe auch kein Handlungszwang, argumentierte gestern Trichet. Zwar werde die Inflationsrate 2011 über weite Strecken leicht über zwei Prozent liegen. Zum Jahresende werde der Preisdruck aber nachlassen, meint der Präsident.

Hoffentlich. Sonst steht die EZB vor einem Dilemma. Bleibt die Inflation dauerhaft hoch, muss sie die Zinsen anheben, um ihren Auftrag zu erfüllen. Damit würde sie aber zugleich die Schuldenkrise verschärfen. Schon jetzt ist es für Länder wie Spanien und Portugal schwer, frische Kredite zu bezahlbaren Zinsen zu bekommen. Ein allgemeiner Zinsanstieg dürfte diese Länder endgültig unter den Euro-Rettungsschirm treiben. Theoretisch muss das die Währungshüter nicht kümmern. Doch der politische Druck auf sie ist groß, die Krise nicht anzuheizen.

Also fährt die EZB auf Sicht. Sie hält die Zinsen konstant, kündigt aber eine "enge Beobachtung" an. Dahinter steht die Drohung: Der Leitzins steigt sofort, wenn die Rohstoffpreise zur übermäßigen Erhöhung von Löhnen und Staatsausgaben führen. Wenn also aus der exportierten Inflation, gegen die die EZB ohnehin nichts machen kann, eine hausgemachte Inflation wird. Bleiben Tarifpartner und Staat vernünftig, dürfte der Leitzins – der Konjunktur folgend – erst zum Jahreswechsel steigen. Die WestLB erwartet, dass er im Laufe von 2012 um einen Prozentpunkt zulegt.

(RP)
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