Berlin Wirtschaftsweise: Soli abschaffen

Berlin · Der Sachverständigenrat fordert Steuerentlastungen und die allmähliche Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Neue Vergünstigungen für Unternehmen und Familien oder höhere Mütterrenten lehnt er dagegen entschieden ab.

Berlin: Wirtschaftsweise: Soli abschaffen
Foto: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Grafik: RP

Die Wirtschaftsweisen haben die Jamaika-Parteien aufgefordert, ihren begrenzten finanziellen Spielraum vor allem für Entlastungen der Steuer- und Beitragszahler und nicht für soziale Mehrausgaben oder neue Subventionen zu verwenden. Eine Erhöhung der Mütterrenten, die Einführung eines Baukindergeldes oder von Steuervergünstigungen für Unternehmen lehnt der Sachverständigenrat (SVR) der fünf Spitzenökonomen als ineffektiv oder unfinanzierbar ab. Auch die von allen Parteien angestrebte Ausweitung der öffentlichen Investitionen sieht der Rat kritisch: "Aus Sicht des Sachverständigenrats besteht kein genereller Mangel an staatlichen Finanzmitteln für die Infrastruktur", heißt es im gestern veröffentlichten Jahresgutachten.

Die fünf Ökonomen legen jeweils im November ein Gutachten mit wirtschaftspolitischen Empfehlungen vor, die in der Vergangenheit eher selten Niederschlag in der tatsächlichen Politik gefunden haben. Wegen des günstigen Zeitpunktes während der Sondierungsgespräche von Union, FDP und Grünen zur Regierungsbildung besteht in diesem Jahr allerdings eine größere Chance, dass Parteien die Empfehlungen der Ökonomen nutzen, um ihre Forderungen durchzusetzen.

Das gilt vor allem für die FDP, die Steuerentlastungen ins Zentrum ihres Forderungskatalogs gestellt hat. Auch die Wirtschaftsweisen betonen, dass mittlere Einkommen in Deutschland besonders mit Steuern und Abgaben belastet sind. Wegen des progressiven Einkommensteuertarifs komme es bei positiven Inflationsraten zur kalten Progression: Trotz unveränderter Kaufkraft würden vor allem mittlere Einkommensbezieher mit immer höheren Steuern belastet.

Im Vergleich zu 2010 liege die Mehrbelastung allein aufgrund von Preissteigerungen bei fast sechs Milliarden Euro im Jahr. "Insgesamt lässt sich eine Entlastung von gut 30 Milliarden Euro dadurch begründen, ohne dass im Gegenzug der Spitzensteuersatz angehoben werden müsste", schreiben die Ökonomen. Wenn die Politik hier ansetze, dürfe sie aber auch den Abbau des Solidaritätszuschlags nicht vergessen. "Wünschenswert wäre ein Gesamtpaket, das eine Tarifreform der Einkommensteuer mit einer allmählichen Abschaffung des Solidaritätszuschlags verbindet."

Darüber hinaus sei der Spielraum für die künftige Regierung begrenzt. Zwar dürfte der Überschuss des Gesamtstaats mit 31,3 Milliarden Euro im laufenden Jahr den höchsten Stand seit der Wiedervereinigung erreichen. Doch die gute Finanzlage "dürfte nicht von Dauer sein", warnen die Ökonomen. Mittelfristig würden die Zinsen für den Schuldendienst wieder steigen und Mehrbelastungen durch den demografischen Wandel zeichneten sich bereits ab, denn bald gingen die geburtenstarken Jahrgänge in Rente.

Während 2015 noch jeder Person über 65 Jahren rund drei Personen im erwerbsfähigen Alter gegenüberstanden, seien es 2060 nur noch 1,7 Personen. Die Ökonomen fordern daher, das Renteneintrittsalter ab 2030 weiter anzuheben. "Es sollte an die fernere Lebenserwartung gekoppelt werden." Zudem plädiert der SVR für eine Vorsorgepflicht für Selbstständige anstelle ihres Einbezugs in die Pflichtversicherung.

Von der erneuten Anhebung der Mütterrenten, wie sie die CSU fordert, raten die Wirtschaftsweisen dringend ab, weil sie relativ teuer sei und Altersarmut dadurch nicht effektiv bekämpft werde. In der Arbeitslosenversicherung gebe es dank des Beschäftigungsrekords Spielraum für eine Senkung des Beitragssatzes von derzeit drei auf 2,5 Prozent des Bruttomonatsgehalts.

Der von den Gewerkschaften in das Gremium entsandte Würzburger Ökonom Peter Bofinger widersprach der Mehrheit in insgesamt vier Minderheitsvoten: Bofinger teilt weder die Kritik des SVR an der expansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank noch seine finanzpolitischen Empfehlungen.

Gemeinsam warnt der Rat vor einer drohenden Überhitzung der Konjunktur: Die deutsche Wirtschaft werde 2017 mit zwei Prozent und 2018 mit 2,2 Prozent wachsen. Die Expansion liege damit deutlich über dem langfristigen Potenzialwachstum von 1,4 Prozent. Zeichen der Überauslastung machten sich bereits im Bausektor bemerkbar.

(mar)
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