Kolumne Der Ökonom Schutzmacht der kleinen Leute

Düsseldorf · Die SPD war früher die Schutzmacht der kleinen Leute. Eine Position, die sie aufgegeben hat. Das ist auch aus ökonomischer Sicht bedenklich.

 Tarifpolitik verläuft nicht immer konfliktfrei. Aber sie bildet ein Rahmen für die Auseinandersetzung zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten wie hier bei einer Demonstration von Arbeitnehmern des öffentlichen Diensts.

Tarifpolitik verläuft nicht immer konfliktfrei. Aber sie bildet ein Rahmen für die Auseinandersetzung zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten wie hier bei einer Demonstration von Arbeitnehmern des öffentlichen Diensts.

Foto: dpa/Federico Gambarini

Man muss die linken wirtschaftspolitischen Thesen des früheren SPD-Chefs und heutigen Linken-Politikers Oskar Lafontaine nicht teilen. In einem Punkt hat er aber recht: Die SPD kann nicht erwarten, dass Millionen Frauen in prekären Beschäftigungsverhältnissen jubeln, wenn ihre Partei die Frauenquote in Aufsichtsräten einführt. Damit zeigt er geschickt das Dilemma der SPD auf. Weil sie sich nicht mehr um ihre Stammklientel – die hart arbeitenden Menschen in der unteren Hälfte der Einkommensbezieher – kümmern, werden sie in Wahlen derzeit über Gebühr abgestraft.

Dabei gäbe es durchaus eine Agenda für die SPD. Nach Zahlen des gewerkschaftsnahen Böckler-Instituts arbeitet jeder Vierte in einer atypischen Beschäftigung – Teilzeit, Minijob, Leiharbeit oder befristet. Die Mehrheit dieser Gruppe sind Frauen. Wenn das Einkommen der Hauptverdiener in vielen Familien nicht ausreicht, um wenigstens halbwegs anständig über die Runden zu kommen, ist etwas faul im Staate. Wenn die SPD diesen Menschen nichts bieten kann, wählen die entweder die Linkspartei oder sogar die AfD.

Was wäre nun eine ökonomisch vernünftige Antwort auf diese Schieflage bei den Einkommen. Plumpe Umverteilung und ein bedingungsloses Grundeinkommen helfen jedenfalls nicht weiter. Die SPD müsste sich stärker auf eine der größten Errungenschaften der Bundesrepublik zurückbesinnen – das Tarifvertragsgesetz. Tarifverträge sorgen auf indirekt marktwirtschaftliche Weise dafür, dass die Einkommen der einfachen Beschäftigten nicht zurückbleiben. In Deutschland hat aber eine Tarifflucht eingesetzt. Arbeiteten in Westdeutschland noch vor 20 Jahren mehr als drei Viertel der Beschäftigten im Rahmen eines Tarifvertrags, sind es heute nur noch knapp mehr als die Hälfte, in Ostdeutschland sind nur noch 44 Prozent.

Natürlich ist auch hier Vorsicht geboten. Zu hohe Tarifabschlüsse können auch Arbeitsplätze vernichten, komplizierte Regelungen Firmen von Neueinstellung abhalten. Aber den Arbeitsmarkt bei den prekär Beschäftigten tarifpolitisch zu ordnen, widerspricht nicht der Marktwirtschaft. Ein Feld für die SPD, ohne die Linkspartei zu imitieren.

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