Der Ökonom Beutet der Bayer-Konzern mit Medikamenten Indien aus?
Indien hat den Patentschutz für Pharmariesen wie Bayer und Novartis gerichtlich beendet. Das nützt der dortigen Industrie, nicht den Armen.
Indien gilt als Apotheke der Armen. Die dort florierende Pharmaindustrie, die vor allem Nachahmerprodukte herstellt, produziert viele lebenswichtige Medikamente zu einem Bruchteil des Preises der großen Arzneimittelriesen aus Europa. Viele Hilfsorganisationen begrüßen das. Und soweit die Unternehmen Medikamente aus abgelaufenen Patenten herstellen, ist die neue Konkurrenz nur zu begrüßen. Doch die indische Pharmaindustrie hat Unterstützung vom obersten indischen Gerichtshof bekommen, und der löscht per Beschluss ein Patent nach dem anderen. Zuerst wurde Bayer eine Zwangslizenz für das Krebsmittel Nexavar verordnet. Damit können indische Firmen das Produkt deutlich billiger nachahmen. Vor Kurzem erklärte der Gerichtshof das Patent auf Glivec, ein Krebsmedikament des Schweizer Pharmakonzerns Novartis, für unwirksam. Nun kostet eine Krebstherapie für einen Inder statt 3100 nur noch 60 Euro.
Das klingt wie ein gewaltiger gesundheitspolitischer Fortschritt. Und für die jetzigen Kranken ist er es auch. Für Bayer und Novartis hingegen ist die Entscheidung ein Schlag. Denn die Mittel aus den Erlösen für Nexavar und Glivec fehlen für neue Medikamente. Die Entwicklung wirksamer Arzneien gegen seltene Augenkrankheiten, Alzheimer oder Multiple Sklerose dürfte erheblich länger dauern, wenn die Mittel überhaupt kommen. Denn nicht nur die Gewinne, auch die Risiken in der Pharmaforschung sind gewaltig. Der Ausfall seines Bestsellers hat Weltmarktführer Pfizer gewaltig zurückgeworfen, die Attacken gegen den Cholesterinsenker Lipobay schleuderten Bayer fast aus dem Markt.
Ohne Aussicht auf hohe Gewinne unternimmt kein Pharmakonzern die Reise ins Unbekannte. Die Inder wie die Europäer und Amerikaner werden es spätestens in der nächsten Generation spüren, wenn Neuentwicklungen ausbleiben.
Was ist zu tun? Sicher haben Indiens Behörden das Recht, Innovationen zu prüfen und Patente nur für echte Neuerungen zuzulassen. Auch in der Preisgestaltung sollten ausländische Konzerne nicht ganz frei sein. Aber die Patentzeit von 20 Jahren sollten sie den Unternehmen schon einräumen, wollen sie auch in Zukunft wirksame Arzneimittel beziehen. Übrigens: Für das Heer der Armen in Indien gibt es längst preiswerte, zum Teil kostenlose Medikamente – bezahlt von den europäischen Pharmakonzernen.
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