Berlin Wirtschaftsforscher kritisieren Schäuble

Berlin · Ökonomen reduzieren Wachstumsprognose für 2015 auf 1,2 Prozent. Der Bundesfinanzminister solle Etatspielräume für Entlastungen und Investitionen nutzen. Das Ziel der Nullverschuldung sei ein unnötiges "Prestigeobjekt" der Regierung.

Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute haben Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) aufgefordert, das Ziel der Nullverschuldung 2015 zugunsten von mehr Investitionen und Entlastungen der Bürger aufzugeben. Die von Schäuble geplante "schwarze Null" im Etat 2015 sei nur ein "Prestigeobjekt der Bundesregierung", heißt es im neuen Herbstgutachten, das die Ökonomen gestern in Berlin vorstellten. Die Abkühlung der Konjunktur erfordere jetzt aber ein Umdenken. Die Schuldenbremse im Grundgesetz gebe dem Bund durchaus einen kleinen Verschuldungsspielraum, den er nutzen sollte, um die schwächelnde Konjunktur zu stützen. So könne der Bund Bürger und Unternehmen steuerlich entlasten und Investitionen vorziehen.

Die Empfehlung kommt ungelegen für Schäuble und die Union, für die das Erreichen der Nullverschuldung 2015 erstmals nach 40 Jahren absolute Priorität genießt. Schäuble hatte die SPD am Dienstag beim Koalitionsspitzentreffen erneut darauf eingeschworen. Doch aus ökonomischer Sicht sei das unbedingte Festhalten an der "schwarzen Null" kontraproduktiv, meinen die Ökonomen. Allerdings dürften sie hier die politischen Folgewirkungen vor allem auf andere EU-Länder, aber auch im Inland klar unterschätzen.

Der Bund solle den zu erwartenden Etatüberschuss 2015 von drei Milliarden Euro sowie den im Rahmen der Schuldenbremse zulässigen Verschuldungsspielraum von ebenfalls mindestens drei Milliarden nutzen, um die Bürger über den Abbau der sogenannten kalten Progression zu entlasten. Zudem solle er geplante Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur auf 2015 vorziehen. Auch dann würde der Bund die Vorgaben der Schuldenbremse erfüllen, allerdings im kommenden Jahr ein geringes Defizit aufweisen.

Angesichts der Unterauslastung der Wirtschaft seien "Überschüsse im Staatshaushalt nicht angezeigt", erklärte Oliver Holtemöller vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle. Der Konjunkturchef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Ferdinand Fichtner, sagte, für die Volkswirtschaft sei es langfristig besser, wenn die Koalition ihr Ziel der "schwarzen Null" vorübergehend aufgebe. Die Institute empfahlen auch Steuerentlastungen für Unternehmen. Auch ein geringerer Rentenbeitragssatz 2015 sei wachstumsfördernd. Zudem könne Bürokratieabbau neue Investitionen freisetzen, etwa auf dem Energiemarkt. Insgesamt begrüße man aber den Kurs der Haushaltskonsolidierung, betonte Fichtner. Man fordere "kein akutes Konjunkturprogramm".

Die Konjunktur in Deutschland trübt sich nach der Institutsprognose weiter deutlich ein. Bis Jahresende werde die Wirtschaft wie schon seit dem Frühjahr stagnieren. Insgesamt ergebe sich nur noch ein Wachstum von 1,3 Prozent im laufenden Jahr. Auch im kommenden Jahr bekomme die Konjunktur kaum Impulse, so dass der Zuwachs bei nur 1,2 Prozent liegen werde. Im Frühjahr hatten die Institute noch Raten von 1,9 und 2,0 Prozent für 2014 und 2015 vorhergesagt.

Ursache des Abschwungs ist die spürbar schwindende Nachfrage im In- und Ausland. Vor allem die Euro-Wirtschaft stehe wieder am Rande der Rezession. Die Euro-Krise sei nicht überwunden. Im August war die deutsche Industrieproduktion um vier Prozent gegenüber dem Vormonat und damit so stark wie seit dem Krisenjahr 2009 nicht mehr gesunken. Gestern meldete das Statistische Bundesamt zudem für August den stärksten Exportrückgang seit 2009. Allerdings hatten die Exporte im Juli mit über 100 Milliarden Euro ein Allzeithoch erreicht.

Die Institute kritisierten die Politik der großen Koalition scharf. Die Erhöhung der Mütterrenten, die Rente mit 63 und der Mindestlohn wirkten wachstumshemmend und würden zusammen mittelfristig 300 000 Jobs kosten, heißt es in dem Gutachten. Durch das teure Rentenpaket, das jährlich zehn Milliarden Euro verschlingt, seien die Spielräume für die staatliche Investitionsförderung jetzt deutlich geringer.

(mar)
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