Berlin/München Wirtschaft kritisiert Merkels Rentenkurs

Berlin/München · Spitzenverbände halten nichts von der Rente mit 63 und dem gesetzlichen Mindestlohn. Bei einem Treffen in München sagt die Kanzlerin aber kaum Änderungen zu. Wirtschaftsvertreter stehen in der Krim-Krise aber hinter der Kanzlerin.

Die deutsche Wirtschaft dringt auf Korrekturen der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der großen Koalition. Vor allem bei der abschlagsfreien Rente mit 63 und dem gesetzlichen Mindestlohn müsse die Regierung verhindern, dass es zu Fehlanreizen wie einer Frühverrentungswelle oder steigender Jugendarbeitslosigkeit komme, warnten Vertreter der vier wichtigsten Verbände der Wirtschaft nach einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gestern in München. In der Krim-Krise stellten sie sich allerdings hinter die Kanzlerin: Völkerrechts-Verstöße wie der Russlands auf der Krim dürften nicht hingenommen werden, sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Ulrich Grillo.

Die Kanzlerin zeigte sich nach dem Treffen zwar grundsätzlich gesprächsbereit, machte aber keine festen Zusagen. Die Machtfülle der großen Koalition – sie verfügt über 80 Prozent der Mandate im Deutschen Bundestag – macht Merkel und ihre Mitstreiter eher unempfindlich für die Kritik der Wirtschaft. Die gute Konjunktur, der hohe Beschäftigungsstand – und auch der zeitliche Abstand zu wichtigen Wahlen im Bund und in den Ländern verstärken zudem nicht gerade den wirtschaftspolitischen Handlungszwang in Berlin. Allerdings ist die Koalition auf die Kooperationsbereitschaft der Unternehmen bei der Energiewende angewiesen.

"Der Mindestlohn ist gut gemeint, aber nicht gut gemacht", sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer, und forderte eine vernünftige Ausgestaltung. Merkel sagte dazu, es gehe sehr wohl darum, Fehlanreize zu vermeiden. "Sie dürfen davon ausgehen, dass wir Ihre Ratschläge auch aufnehmen und sicherlich auch einiges davon umsetzen." Sie gebe aber keine Versprechen ab. Von der Rente mit 63 befürchten die Verbände vor allem eine Verschärfung des Fachkräftemangels. In dieser Hinsicht wirkten die Pläne "kontraproduktiv", erklärte BDI-Chef Grillo. Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer kritisierte die Rentenpläne als "Rolle rückwärts". Grillo beklagte auch ein "Innovationsdefizit" in Deutschland und warnte vor zusätzlichen Belastungen der Industrie durch die Energiewende. Wenn sich die Wirtschaft nicht auf "wettbewerbsfähige Strompreise" verlassen könne, seien Hunderttausende Arbeitsplätze gefährdet.

Merkel sprach sich für den Erhalt von Ausnahmeregelungen bei der EEG-Umlage für energieintensive Unternehmen aus. Mit Blick auf den EU-Gipfel kommende Woche erklärte die Kanzlerin, wenn man wolle, dass Deutschland weiter Stabilitätsanker und Zugpferd in Europa sei, dann müsse Deutschland energieintensive Unternehmen weiter von der EEG-Umlage befreien können. Das werde sie auf dem Gipfel "sehr deutlich" machen.

Bei den Sanktionsdrohungen gegen Russland in der Krim-Krise stellten sich die vier großen Wirtschaftsverbände hinter die Kanzlerin. Sanktionen hätten zwar negative Wirkungen für beide Seiten, sagte Grillo. "Aber Völkerrecht geht über alles", betonte er. "Wenn klar gegen das Völkerrecht verstoßen wird, dann müssen Sanktionen getroffen werden." Auch wenn die Wirtschaft leiden würde, komme man an solchen Maßnahmen vielleicht nicht vorbei. Merkel verwies darauf, dass auch Russland ein Interesse an guten Wirtschaftsbeziehungen habe. "Wir haben Interessen, aber die andere Seite hat auch Interessen."

(mar)
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