"Wir wollen jedes Produkt der Welt online verkaufen"

München Amazon ist für Kunden ein Paradies und für Mitarbeiter die Hölle. Dieses Bild wird öffentlich häufig gezeichnet - etwa von der Gewerkschaft Verdi, die den US-Konzern bestreikt. Ralf Kleber will dazu nicht recht passen: Pullover, freundliches Lächeln, pfälzischer Zungenschlag. Auf den ersten Blick eher netter Nachbar als harter Hund. Seit 16 Jahren leitet er das Deutschland-Geschäft - Amazons steiler Aufstieg ist eng mit Kleber verbunden.

München Amazon ist für Kunden ein Paradies und für Mitarbeiter die Hölle. Dieses Bild wird öffentlich häufig gezeichnet - etwa von der Gewerkschaft Verdi, die den US-Konzern bestreikt. Ralf Kleber will dazu nicht recht passen: Pullover, freundliches Lächeln, pfälzischer Zungenschlag. Auf den ersten Blick eher netter Nachbar als harter Hund. Seit 16 Jahren leitet er das Deutschland-Geschäft - Amazons steiler Aufstieg ist eng mit Kleber verbunden.

Als Sie 1999 bei Amazon angefangen haben, war Google gerade ein Jahr alt. Was haben Sie damals über die Zukunft des Internets gedacht?

KLeber (lacht) An mobiles Surfen haben wir jedenfalls nicht gedacht. Damals gab es in Deutschland 3,5 Millionen Internetnutzer mit PC - und wir mussten erst einmal überlegen, wie wir hier mit unserem Online-Buchhandel für die Menschen relevant werden. Allerdings hatte Jeff . . .

. . . Amazon-Gründer Jeff Bezos . . .

KLeber . . . damals schon weiter gedacht. Er sagte: Wir werden versuchen, alles online anzubieten, was Kunden einen Mehrwert bringt. Zunächst ging es um Online-Shopping. Dann kamen digitale Inhalte hinzu, E-Books oder Videos, und das Cloud-Geschäft, bei dem Kunden in Rechenzentren Daten speichern.

Das bieten viele andere auch an.

Kleber Aber niemand alles auf einmal. Uns hält das Bewusstsein geschmeidig, dass sich Unternehmen grundlegend verändern müssen, wenn die Kunden dies auch tun. Von mir und den Mitarbeitern von Amazon wird erwartet, dass wir nie zufrieden sind. Wir müssen uns immer fragen: Geht es einfacher? Denn Einfachheit generiert Gewohnheiten.

Sie wollen die Leute umerziehen?

Kleber Im Gegenteil. Wir wollen für den Kunden wichtig sein. Als wir gestartet sind, hat keiner auf den nächsten Laden gewartet. Also ging es darum, wie wir Menschen einen Mehrwert bieten, den bis dato noch keiner angeboten hat, der sie dazu bewegt, dass sie aus einer tief verankerten Gewohnheit ausbrechen. Unser Ziel ist es, alle Produkte auf der ganzen Welt online verfügbar zu machen. Wenn du als Laden alles hast, wirst du für Kunden relevant.

Lebensmittel gibt es bislang kaum.

Kleber Daran arbeiten wir. Der Lebensmittelbereich ist so groß, dass wir überlegen mussten, wo wir anfangen. Also haben wir gesagt: Wir bauen zunächst Deutschlands größtes Nudelregal. Kein Supermarkt hat alle Sorten - sobald der Kunde also weiß, dass er bei Amazon alle findet, hat er einen Grund, mit seinen Gewohnheiten zu brechen. Heute gibt es bei uns rund 10.000 Nudelsorten.

Wie sehr lassen sich die Lieferzeiten noch verkürzen?

Kleber Aktuell sind wir bei einer Stunde im Stadtgebiet Manhattan. In Deutschland dauert es noch etwas länger. Da bekommen Kunden ihre Ware in den urbanen Zentren bestenfalls in sechs bis sieben Stunden. Natürlich lässt sich das steigern. Zwar braucht der Kunde nicht immer alles innerhalb einer Stunde - aber wenn er es braucht, muss man als Online-Händler einen Service haben, der es ihm so schnell liefert. Andernfalls verliert man langfristig.

Was ist dafür nötig?

Kleber Wir müssen dafür sorgen, dass in den Versandzentren die Dinge liegen, von denen wir glauben, dass der Kunde sie vermutlich bestellen wird. Dafür brauchen wir sehr viel technisches Know-how.

Und das entwickelt Amazon in dem Tech-Hub in Berlin?

Kleber Die Teams befassen sich mit der Frage, durch welche Daten sich die Genauigkeit unserer Prognosen erhöht. Eine Frage ist etwa: Wie viele rote T-Shirts verkaufe ich nächstes Jahr im April? Als ich früher bei Kaufhof gearbeitet habe, war dafür der Abteilungsleiter zuständig. Der konnte nur ahnen, wie das Wetter wird und vermuten, dass Rot dann noch eine Trendfarbe ist. Heute werden für die Entscheidung etwa langfristige Wetterprognosen hinzugezogen, um bei der Vorratshaltung die Treffergenauigkeit zu erhöhen.

Für den gesamten Markt oder auch für die einzelne Person?

Kleber Für den einzelnen Kunden, aber völlig anonym. Wir wollen nicht vorhersagen, wie viel Frau Meier nächstes Jahr kauft. Wir wollen nur wissen, wie viel wir im Lager haben müssen, damit wir die voraussichtlichen Wünsche von Frau Meier und anderen erfüllen können. Und wenn die Kunden dann wirklich diese Ware kaufen, kann auch ihr Verhalten dazu beitragen, dass unsere Prognosen für das nächste Jahr besser werden.

Können Sie voraussagen, was das beliebteste Weihnachtsgeschenk wird?

kleber Vinyl ist ein Spitzenthema. Als wir 1999 den Musikbereich gestartet haben, haben wir gesagt: Wir brauchen keine Platten mehr. Heute haben wir 1,4 Millionen Vinyl-Platten im Angebot. Ich glaube, es wird einiges an Vinyl und Schallplattenspielern unter den Weihnachtsbäumen liegen.

Zu Weihnachten könnte es wieder Verdi-Streiks bei Amazon geben. Gibt es irgendwann eine Lösung?

KLeber Wir zeigen Tag für Tag, dass man auch ohne Tarifvertrag ein fairer Arbeitgeber sein kann. Wir sprechen permanent mit Mitarbeitern und Betriebsräten. Dabei sehen wir: Bei uns funktioniert diese unmittelbare Kooperation für alle Seiten am besten - Arbeitnehmer und Kunden.

Finden Sie eigentlich, dass Gewerkschaften noch gebraucht werden?

KLeber Das ist eine gesellschaftspolitische Frage. Wir diskutieren intern nicht über die Rolle von Gewerkschaften, sondern vor allem über die Frage, wie wir mit unseren Mitarbeitern umgehen. Wir haben in allen deutschen Logistikstandorten gewählte Betriebsräte, mit denen wir sehr eng zusammenarbeiten. Ich wüsste deshalb nicht, warum wir dafür einen weiteren Berater brauchen.

Zuletzt gab es Berichte, dass Ihre Datenanalysen ergeben haben, dass Leute mit Apple-Geräten mehr Geld haben. Deshalb sollen Sie von diesen höhere Preise verlangen.

Kleber (lacht) Das ist absoluter Schmarrn.

Also ein Preis für alle?

Kleber Wir passen uns natürlich im dynamischen Umfeld an. Und viele andere Händler orientieren sich an unseren Preisen. Im Internet ist es heutzutage einfach, herauszufinden, was ein Produkt kostet. Dieser Transparenz entziehen wir uns nicht. Wenn wir das Gefühl haben, es entwickelt sich für den Kunden ein neuer Marktpreis, und das kann bei manchen Produkten mehrmals am Tag sein, reagieren wir darauf. Preise gehen rauf und runter - aber wir sagen es dem Kunden. Was es nicht gibt, sind unterschiedliche Preise für ein und dasselbe Produkt auf unterschiedlichen Endgeräten.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE FLORIAN RINKE. WEITERE FRAGEN UND ANTWORTEN BEI RP-ONLINE UND IN DER APP.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort