Interview mit Annelie Buntenbach (DGB) "Wir brauchen eine Reserve für künftige Renten"

Annelie Buntenbach, 58, Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), lehnt im Gespräch mit unserer Redaktion eine Senkung der Rentenbeiträge entschieden ab.

 Annelie Buntenbach vertritt beim DGB die Bereiche Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.

Annelie Buntenbach vertritt beim DGB die Bereiche Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.

Foto: DGB

Frau Buntenbach, entscheidet das beste Rentenkonzept darüber, wer ab 2013 im Bund regiert?

Buntenbach Es geht nicht um Parteitaktik, sondern darum, drängende Probleme zu lösen. Wir Gewerkschafter haben drei zentrale Themen für den Wahlkampf identifiziert und werden der Politik dazu Vorschläge machen: die Neuordnung des Arbeitsmarktes, die Bekämpfung der Euro-Krise und das Thema Rentenreform.

Sie haben jüngst kritisiert, dass ein Angestellter bei einem Einkommen von 2000 Euro 43 Jahre benötige, um eine Rente oberhalb der Sozialhilfe zu bekommen. Wie sieht eine realistische Versicherungsbiografie heute aus?

Buntenbach Diese 43 Jahre wären dann nötig, wenn das Rentenniveau so abgesenkt wird, wie es die Bundesregierung plant. Dazu kommt, dass immer weniger Menschen so lange durchgehend sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Das liegt an Kindererziehungs- oder Pflegezeiten, aber auchan Fehlentwicklungen wie Arbeitslosigkeit, Scheinselbstständigkeit oder Minijobs. Fünf Millionen Menschen sind ausschließlich auf Minijobs angewiesen - wir haben in Deutschland den größten Niedriglohnsektor in Europa. Jeder Vierte arbeitet in einem prekären Verhältnis. Wir brauchen ein System, dass
auch diesen Erwerbsbiografien mit ihren unterschiedlichen Phasen gerecht wird.

Derzeit ist eine Senkung des Rentenbeitrags von 19,6 auf 19,0 Prozent im Gespräch. Viele DGB-Mitglieder dürften es begrüßen, wenn sie mehr Geld bekommen.

Buntenbach Wenn die Beiträge gesenkt werden, dann wird die Reserve verpulvert, mit der wir uns gegen die Alterung der Gesellschaft wappnen müssen. Wenn wir die Beiträge zum Jahreswechsel senken, wird künftig die Rentenzahlung auf das Niveau von 43 Prozent abgesenkt - das wären 20 Prozent weniger als heute. Damit hätten dann viele keine Chance auf eine Rente oberhalb der Grundsicherung - nach einer Schätzung des Paritätischen
Wohlfahrtsverbands bis zu 10 Prozent der Versicherten. Ich halte es für Unsinn, diese Fehlentwicklung mit nur minimalen und außerdem vorübergehenden Entlastungen für die Arbeitnehmer zu erkaufen.

Sie haben die Beitragssenkung als "unverantwortliches Wahlkampfgeschenk auf Pump" bezeichnet. Wenn die Entlastungen gering sind, dürfte die Wahlkampfwirkung begrenzt sein.

Buntenbach Die Politik, insbesondere die FDP, ist treibende Kraft hinter den Beitragssenkungen. Und die zielt mit ihrem Wahlkampfgeschenk nicht auf die Arbeitnehmer, sondern auf die Arbeitgeber ab.

Zum Ende dieses Jahres erwartet die Rentenversicherung, dass die Rentenreserve auf 28,8 Milliarden Euro wächst. Das entspräche rund 1,66 Monatsausgaben. Das Gesetz schreibt dann Beitragssenkungen vor.

Buntenbach Ja, das Gesetz sieht einen Automatismus vor, wonach ab 1,5 Monatsausgaben der Beitragssatz sinken muss. Ich halte das für unsinnig. Dieser Automatismus muss abgeschafft werden.

In der CSU heißt es, die Rentenkasse sei keine Sparkasse.

Buntenbach Wir würden nicht alles auf die höhere Kante legen, sondern wollen die Rente der Zukunft sichern - für ein Halten des Rentenniveaus auf dem derzeitigen Stand von 51 Prozent, eine Verbesserung der Erwerbsminderungsrente und bessere Reha-Maßnahmen. Darüber hinaus bleiben immer noch die nötigen Rücklagen.

Dafür geht der DGB mit seinem Konzept sogar noch weiter.

Buntenbach Wir haben vorgeschlagen, den Beitragssatz bis 2025 um jährlich 0,2 Punkte auf 22 Prozent anzuheben. Die Rücklage würde dann sogar 6,66 Monatsausgaben entsprechen, und zwar selbst dann, wenn das Rentenniveau nicht gesenkt wird.

Die Arbeitgeber werfen Ihnen vor, Sie gefährdeten damit den Generationenvertrag, weil die Jüngeren mit höheren Beiträgen belastet werden, ohne einen Vorteil zu haben.

Buntenbach Das ist falsch. Monatliche Beiträge, die im Durchschnitt jedes Jahr um 2,60 Euro steigen, überfordern niemanden, wenn als Gegenwert ein Rentenniveau auf dem heutigen Stand steht - also auf einem Niveau, das ein Leben mit Würde im Alter ermöglicht. Eine private Altersvorsorge für diesen Betrag zu bekommen, ist unmöglich.

Laut Gesetz darf der Beitragssatz bis 2030 maximal auf 22 Prozent steigen. Sie habe gesagt, sie ketten sich nicht an diese Höhe. Was wäre ein maximal zumutbarer Beitragssatz?

Buntenbach Wir haben doch gerade erst gezeigt, dass selbst in diesem Rahmen Verbesserungen möglich sind. Darüber werden wir jetzt diskutieren - und nicht über höhere Beiträge.

Zudem haben Sie angekündigt die Rente mit 67 wieder abzuschaffen, obwohl selbst die SPD an ihr festhält. Sollten die Gewerkschaften nicht besser Vorschläge für deren Ausgestaltung machen?

Buntenbach Die SPD hat ja auch gesagt, die Rente mit 67 müsse ausgesetzt werden, bis die Arbeitsmarktsituation ihre Einführung überhaupt hergebe - also mindestens 50 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten bis 67 arbeiten können. Davon sind wir meilenweit entfernt. In den Statistiken der Bundesregierungen tauchen 900.000 Menschen zwischen 55 und 64 auf, die ausschließlich von Minijobs leben. Von daher ist das angedachte Aussetzen der Rente mit 67 ein Schritt, den wir unterstützen.

Wobei Ihnen eine Abschaffung lieber wäre.

Buntenbach Ja. Durch die Rente mit 67 werden auf den letzten Metern ganze Lebensleistungen von Menschen entwertet. Denn bei dieser Regelung stürzen genau diejenigen ab, die gesundheitlich nicht mehr können oder es am Arbeitsmarkt nicht mehr schaffen. Das ist doch absurd. Und Politik und Arbeitgeber ziehen sich aus der Verantwortung: nur 17 Prozent der Betriebe machen Maßnahmen für altersgerechtes Arbeiten.

Wäre es nicht Aufgabe der Tarifparteien, das entsprechend zu regeln?

Buntenbach Wir sind natürlich beim Thema Demografie aktiv. Aber darüber hinaus ist ganz klar der Gesetzgeber gefordert, um entsprechende Verpflichtungen für die Arbeitgeber einzubauen. Wir können nicht alles Porzellan kitten, das die Politik kaputt in unser Feld wirft. Das gilt auch für den Arbeits- und Gesundheitsschutz. Wenn sich die Arbeitgeber nicht um diese Dinge kümmern, muss es Sanktionen geben.

Wie bewerten Sie das Rentenkonzept von Ministerin Ursula von der Leyen?

Buntenbach Beim Thema Kombirente, also dem flexiblen Übergang in die Rente bei gleichzeitig höheren Hinzuverdienstmöglichkeiten, ist vieles sehr vage geblieben. Zudem ist sie erst ab 63 Jahren möglich - ein Schichtarbeiter schafft es kaum, solange zu arbeiten. Zudem wollen wir nicht, dass am Ende die Leute wegen ihrer Minirente auf Hinzuverdienste angewiesen sind.

Das Konzept enthält auch Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente - also der Rente für Menschen, die gesundheitsbedingt vorzeitig in Rente gehen müssen.

Buntenbach Was der Ministerin da vorschwebt, reicht hinten und vorne nicht.Da die Zurechnungszeiten nur stufenweise angepasst werden, kommt am Ende ein Betrag heraus, mit dem man sich höchstens eine Tasse Kaffee mehr pro Monat leisten kann. Die Anpassung muss deshalb auf einen Schlag erfolgen. Auch das wäre mit unserem Finanzierungskonzept machbar. Derzeit liegt die durchschnittliche Erwerbsminderungsrente bei 640 Euro - und damit schon unter der Armutsgrenze.

Und wie beurteilen Sie die geplante Zuschussrente?

Buntenbach Am Ende wird dort nur ein Konzept herauskommen, mit dem der Finanzminister deshalb einverstanden ist, weil kaum jemand die Voraussetzungen erfüllt und es deshalb wenig kostet. Es wird gegen Altersarmut nicht helfen, weil kaum jemand die Voraussetzungen erfüllen wird - die langen Versicherungszeiten, die langen Einzahlungszeiten und dann noch die Kopplung an die private Vorsorge. Wenn man wirklich etwas tun will, müsste man die mit Steuermitteln finanzierte Rente nach Mindesteinkommen
wieder einführen. Und wenn im nächsten Jahr die Beiträge sinken und damit in den nächsten Jahren immer stärkere Rentenkürzungen notwendig werden, läuft die ganze Idee weitgehend ins Leere.

Die Verbraucher sind dazu angehalten, privat vorzusorgen. Was ist falsch an mehr Eigenverantwortung?

Buntenbach Die Bilanz von zehn Jahren Riester zeigt, dass es selbst bei großer Anstrengung nicht gelingt, den Lücken in der gesetzlichen Versicherung hinterherzusparen. Außerdem geschieht das Riestern ohne Beteiligung der Arbeitgeber. Und diejenigen, die am stärksten von Altersarmut bedroht sind, können sich die private Vorsorge nicht leisten. Wenn es um die Frage geht, Winterschuhe fürs Kind oder Vorsorge fürs Alter, ist die Entscheidung für viele wohl klar.

Tummeln sich zu viele schwarze Schafe im Bereich der Riesterverträge?

Buntenbach Um die Verbraucher besser zu schützen, brauchen wir dringend mehr Transparenz und eine wirksame Kostenkontrolle. Die Leute müssen besser vor der Abzocke bei den Provisionen geschützt werden. Die privaten Versicherungskonzerne stecken sich da viel zu viel in die eigene Tasche.

Maximilian Plück führte das Interview.

(pst)
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