Interview mit Ärztepräsident Montgomery "Wir Ärzte wollen aus dem Generalverdacht raus"

Berlin · Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery spricht im Interview mit unserer Redaktion über Korruption im Gesundheitswesen, die Vergabe von Studienplätzen und die Brustamputation von Angelina Jolie.

 Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery begrüßt die Debatte um die vorsorgliche Brustentfernung von Angelina Jolie.

Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery begrüßt die Debatte um die vorsorgliche Brustentfernung von Angelina Jolie.

Foto: dpa, Bodo Marks

Was sagen Sie zum Fall Angelina Jolie?

Montgomery Es ist gut, dass Angelina Jolie eine Debatte über dieses Thema angestoßen hat. Auch in Deutschland können Frauen, die eine Vorbelastung haben, weil ihre Mütter, Schwestern oder Tanten an Brustkrebs erkrankt sind, sich von einem Humangenetiker beraten lassen. Durch einen Gentest kann man herausfinden, ob tatsächlich ein erhöhtes Krebsrisiko vorliegt. Wenn dies der Fall ist, können die Frauen entweder in ein engmaschiges Überwachungsprogramm gehen oder aber sich der Entfernung der Brustdrüse unterziehen. Das ist in Deutschland Standard. Das zahlen die Krankenkassen. Ich finde es gut, dass das Thema mal breit öffentlich diskutiert wird.

Welche Stimmung erwarten Sie beim Ärztetag in Hannover?

Montgomery Ärztetage sind dafür da, auch klare Worte zu finden und Auseinandersetzungen zu führen. Insgesamt ist die Stimmung gut. Es gab schon Zeiten, da war sie bedeutend schlechter. Dennoch stimmt für viele Ärzte das Verhältnis von Aufwand und Leistung auf der einen Seite sowie gesellschaftliche Anerkennung und finanzielle Entlohnung auf der anderen Seite nicht überein. Wir werden beim Ärztetag auch den wachsenden ökonomischen Druck auf den Alltag der Ärzte thematisieren. Außerdem werden wir ein klares Konzept zur Finanzierung des Gesundheitssystems vorlegen.

Wie würde sich das Gesundheitssystem verändern, wenn tatsächlich eine Bürgerversicherung eingeführt wird?

Montgomery Zu dieser Frage gibt es zwei wissenschaftliche Gutachten, die wir nicht bestellt haben, die wir aber sehr ernst nehmen. Professor Jürgen Wasem hat ausgerechnet, dass es allein in der gesetzlichen Krankenversicherung in der ambulanten Versorgung zu einem Mittelentzug von vier Milliarden Euro pro Jahr kommen würde. Eine weitere Studie sagt einen Arbeitsplatzverlust von bis zu 100.000 Stellen voraus.

Wird auch die Versorgung betroffen sein?

Montgomery Langfristig würde sich die Versorgung deutlich verschlechtern. Der Wettbewerb zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung führt zu dem hohen Leistungsniveau, das wir in Deutschland haben. Gibt es die private Krankenversicherung nicht mehr, müssen sich die Gesetzlichen nicht mehr um den Transfer von Innovationen in den medizinischen Alltag kümmern. Zudem wird man nicht verhindern können, dass sich neben einem einheitlichen gesetzlichen System auch private Angebote weiter etablieren. Das wäre dann der Turbolader in die Zwei-Klassen-Medizin. Die Bürgerversicherung ist ein Einheitsbrei, der die Versorgung verschlechtert.

Dient es der Qualität des Gesundheitssystems, dass sich die Krankenkassen verstärkt darum kümmern, Leistungen von Kliniken und Ärzten zu bewerten?

Montgomery Ob es der Qualität dient, kann ich objektiv nicht bewerten. Subjektiv habe ich Zweifel. Der von uns anfangs unterstützte Arztnavigator beispielsweise hat kaum Aussagekraft erreichen können, da die Patienten schlicht zu wenig Bewertungen über ihre Ärzte abgebeben haben.

Macht es den Job des Arztes leichter oder komplizierter, dass die Patienten heute kritisch und aufgeklärt sind?

Montgomery Das ist gut und macht die Arbeit überwiegend leichter. Wir verfolgen das Konzept des mündigen Patienten. Es gibt aber auch falsche oder überbordende Informationen, die gelegentlich Probleme bereiten. Generell ist das therapeutische Arbeitsbündnis zwischen Patient und Arzt richtig und funktioniert auch.

Was ist aus Ihrer Sicht ein effektives Konzept gegen Korruption im Gesundheitswesen?

Montgomery Wir Ärzte wollen aus dem Generalverdacht raus. Wir wissen, dass die Mittel des Berufsrechts nicht ausreichen, um alle Fälle von vermuteter Korruption zu ermitteln. Deswegen fordern wir eine klare, präzise und ausgewogene Regelung im Strafrecht. Es kann nicht darum gehen, die Annahme eines Kugelschreibers unter Strafe zu stellen. Wichtig ist, dass nicht nur die Ärzte, sondern alle im Gesundheitswesen Tätige von einem Anti-Korruptionsgesetz erfasst werden. Auch die, die Bestechungsversuche unternehmen, müssen belangt werden können.

Soll es einen Katalog geben, was erlaubt ist und was nicht?

Montgomery Ja. Wir wünschen uns einen klaren Katalog, aus dem hervorgeht, was unter Bestechung und Korruption fällt und was nicht.

Sollte es verboten sein, dass sich Ärzte Praxissoftware oder Praxiseinrichtung von einer Pharmafirma bezahlen lassen?

Montgomery Absolut. Solche Geschenke übersteigen die Bagatellgrenze eindeutig. Denkbar ist einen Eurobetrag festzulegen, ab dem Bestechung anfängt.

Wie sieht es mit Mediziner-Kongressen aus, die von Pharma-Unternehmen organisiert und finanziert werden?

Montgomery Da gibt es heute schon klare Regelungen im Berufsrecht, die in das Gesetz übertragen werden sollten. Demnach darf sich ein Arzt nicht unangemessen finanzieren lassen. Bei innovativen Arzneien, die unter Patentschutz stehen, kann allerdings gar keine pharma-freie Fortbildung stattfinden. In diesen Fällen haben die Unternehmen das Exklusivrecht auf die Studien.

Der Numerus Clausus für das Medizinstudium ist fast überall inzwischen bei 1,0. Ist das ein sinnvolles Verfahren, um die Ärzte von morgen auszusuchen?

Montgomery Natürlich nicht. Wir kritisieren das Auswahlverfahren für Medizinstudenten allein nach der Abiturnote. Wir brauchen vielmehr Assessment-Center, in denen die Anwärter nach Eignung ausgesucht werden können. Ein solches Testverfahren würde einmalig pro Bewerber rund 1000 Euro kosten. Angesichts von Kosten eines Studiums von mehr als 200 000 Euro wäre dies eine sinnvolle Investition. Vor allem, wenn man diese Summe ins Verhältnis zu den Kosten von Fehlausbildung setzt.

Wo liegt das Problem, wenn nur 1,0-Abiturienten Ärzte werden?

Montgomery Wir haben dann viele tolle Leute, die in der Wissenschaft und an Uni-Kliniken arbeiten wollen. Die Gefahr ist aber da, dass wir nicht genug Leute haben, die bereit sind, als Landarzt zu arbeiten.

Das Interview führte Eva Quadbeck.

(qua)
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