Aktienkurs steil gestiegen Windeln.de ist das deutsche Gamestop

Düsseldorf · Beim Anbieter von Babyprodukten lehnen sich Kleinanleger gegen Großspekulanten auf. Das Ergebnis: 600 Prozent Kursanstieg in fünf Tagen.

Foto: Schnettler

Deutliche Verlust beim Aktienkurs an einem Tag sind  nichts Ungewöhnliches. Mal läuft die Börse generell nicht so gut, manchmal sind Unternehmenszahlen schlechter, als das Analysten vorhergesagt haben, manchmal verkaufen Anleger einfach und stecken so zurückliegende Kursgewinne ein.

Diejenigen, die das am Mittwoch bei windeln.de getan haben, hatten jedoch allen Grund dazu. Zumindest jene, die erst in der vergangenen Woche eingestiegen waren. Der Kurs des Anbieters von Windel-Abos und Kinderartikeln ist binnen fünf Tagen um sage und schreibe über 600 Prozent gestiegen – obwohl die Fakten beim Münchener Versandhändler nicht so extraordinär sind.

Am Mittwoch stürzte der Kurs um 18 Prozent ab. Da ist die vorherige Kursxeplosion also erst recht mit Vorsicht zu genießen. Sie könnte ein sichtbares Zeichen für eine Neuauflage des Börsen-Krimis um den US-Videospielanbieter Gamestop zu Beginn dieses Jahres sein. Damals explodierte der Kurs, weil sich im Netz massenhaft Kleinanleger zu Aktienkäufen verabredet hatten, um Hedgefonds entgegegenzutreten, die auf einen Kursverfall der Gamestop-Aktie gewettet hatten.

Das Problem: Jene, die sich da im Netz zusammentun, haben mitunter nicht das Wohl des Unternehmens im Kopf, sondern spekulieren genauso wie die großen Profi-Zocker bei den Fonds. Nachzulesen ist das beispielsweise bei Reddit. Und so scheint Windeln.de wie Gamestop und die US-Kinokette AMC zur „Meme-Aktie“ zu werden. Darunter versteht man Papiere, bei denen der Aktienhandel nicht durch Unternehmensnachrichten getrieben wird, sondern allein durch den Hype, der in sozialen Netzwerken und auf Online-Plattformen erzeugt wird. Das Ergebnis sind drastische Kursanstiege binnen kurzer Zeit – und darauf folgende mögliche Einbrüche, was jetzt auch bei Windeln.de befürchtet wird.

Unter der Mentalität der Hedgefonds-Manager und ihrer Gegner im Netz leiden dann jene Anlage-Amateure, die sich bei hohen Kursen zum Kaufen haben verleiten lassen und Geld zu verlieren drohen, sobald der Aktienwert abstürzt. Es verdienen im Zweifel die Spekulanten, die sich für Unternehmen mit vergleichsweise geringem Börsenwert und einem möglichst zukunftsträchtigen Geschäftsmodell aussuchen. Und wer wollte ernsthaft bestreiten, dass Online-Handel derzeit besonders zukunftsträchtig ist?

 Bei Windeln.de war vor dem Minus vom Mittwoch übrigens nicht nur das Kursplus der zurückliegenden fünf Tage auffällig, sondern auch das binnen Ein-Monatsfrist (ebenfalls mehr als 600 Prozent) und das der vergangenen drei Monate (mehr als 300 Prozent).

Die jüngsten Unternehmensnachrichten geben so viel Wachstumsphantasie nicht her – sieht man vom Geschäftsfeld ab und der Tatsache, dass beispielsweise die Abkehr von der Ein-Kind-Politik in China gewisse Wachstumsperspektiven erzeugen könnte. Aber Windeln.de, das nicht nur Windeln und Babynahrung, sondern etwa auch Kindermöbel, Spielzeug, Kinderwagen und Autokindersitze anbietet, macht nicht einmal Gewinn. Der Verlust im vergangenen Jahr betrug fast 14 Millionen Euro, auch im ersten Quartal des laufenden Jahres schaffte das Unternehmen nicht den Sprung aus den roten Zahlen.

Gut, könnte man sagen, das gilt auch für Delivery Hero, und die haben es immerhin bis in den Dax geschafft. Aber auch die anderen Kennziffern sind nicht gerade rosig. Im vergangenen Jahr ist der Umsatz um etwa achteinhalb Prozent auf 76 Millionen Euro gestiegen, aber zwischen Januar und März dieses Jahres musste Windeln.de ein Erlösminus von fünf Prozent hinnehmen – und das ausgerechnet in einer Zeit, in der wegen der Lockdowns weltweit die Umsätze der Online-Händler überall noch stärker gewachsen sind als vor dem Ausbruch der Pandemie.

Das Ergebnis solcher Betrachtungen: Die Aktie, die bis in die vergangene Woche nur ein Penny-Stock (weniger wert als einen Euro) gewesen war, ist auch nach dem Kursverfall vom Mittwoch mit etwa 4,50 Euro sehr teuer. Wer da noch einsteigen will, sollte sich das gut überlegen – und vielleicht mal einen Blick auf die Kursentwicklung bei Gamestop werfen: Nach dem Anstieg bis auf 325 Euro Ende Januar stürzte der Wert des Papiers wieder auf 40 Euro ab, ging dann auf 260 Euro hoch und wieder um 100 Dollar runter. Aktuell hat es wieder die 300-Dollar-Marke geknackt. Diejenenigen, die auf dem Peak im Januar gekauft haben, sind jedoch immer noch in der Verlustzone. Übrigens: Die Windeln.de-Aktien waren nicht die einzigen, die am Mittwoch gewaltige Kurssprünge verbuchten. Sowohl bei der Modekette Adler als auch bei der Fluggesellschaft Air Berlin verdoppelten sich zuletzt die Börsenwerte. Bemerkenswert auch deshalb, weil bei Adler das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung läuft und Air Berlin schon seit 2018 insolvent ist. Vorsicht ist also geboten.

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