Jobs in der Krise Wie eine Flugbegleiterin die Pandemie erlebt

Düsseldorf · Vanessa Altrogge (33) arbeitet als Stewardess bei Eurowings. Seit die Coronakrise ausgebrochen ist, ist sie in Kurzarbeit und darf kaum noch fliegen. Uns hat sie erzählt, was sie in der Krise beschäftigt.

 Vanessa Altrogge (33) arbeitet seit 10 Jahren als Flugbegleiterin und ist seit der Pandemie in Kurzarbeit.

Vanessa Altrogge (33) arbeitet seit 10 Jahren als Flugbegleiterin und ist seit der Pandemie in Kurzarbeit.

Foto: Vanessa Altrogge/Altrogge

Wäre heute ein normaler Arbeitstag, hätte mein Wecker um Viertel nach drei geklingelt. Um sechs Uhr wäre ich mit dem Flieger nach London abgehoben, Zwischenstopp, Kaffee mit einer Kollegin. Rückflug nach Düsseldorf, nächster Flieger, dieses Mal nach München. Am Mittag wieder zurück. Mein Arbeitstag als Stewardess vor der Pandemie war abwechslungsreich. Ich habe es geliebt, auf unterschiedliche Fluggäste zu treffen, jeden Tag mit anderen Kollegen zusammenzuarbeiten und etwas von der Welt zu sehen. Das ist jetzt vorbei.

Heute trinke ich erst um acht Uhr meinen Kaffee, sitze in der Küche, streichle meinen Hund Ginger. Mein Mann ist zur Arbeit gefahren. Vor mir liegt ein langer freier Tag. Zumindest kommt er mir lang vor. Ich arbeite heute nicht. Kaum einer fliegt mehr, also tue ich es auch nicht. Obwohl das als Flugbegleiterin bei Eurowings mein Job ist. Ich bin in Kurzarbeit. Und das kann manchmal belastend sein.

Ginger wedelt mit dem Schwanz. Sie freut sich darauf, gleich mit mir eine Runde spazieren zu gehen. Ginger ist die große Gewinnerin in der Pandemie: Noch nie hatte ich so viel Zeit für meinen Hund wie in diesem Jahr. Das ist schön und anfangs habe ich das ziemlich genossen. Weil mein Ehemann im Vertrieb arbeitet und nicht in Kurzarbeit ist, müssen wir uns finanziell keine großen Sorgen machen. Wir haben einen Garten, genügend Platz, um uns auch mal aus dem Weg zu gehen. Andere Kollegen, vor allem die Alleinstehenden und erst recht die alleinerziehenden Mütter und Väter, sind da schlechter dran. Viele haben sich darum bemüht, noch andere Jobs zu machen, damit das Geld reicht: sie arbeiten im Supermarkt, haben im Sommer bei der Ernte geholfen oder in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen mit angepackt.

Im März ahnten wir noch nicht, was da mit uns Flugbegleitern passiert: Viele sind noch Mitte des Monats in den Urlaub geflogen, obwohl der Lockdown nahte. Deshalb habe ich mir erst einmal keine Gedanken gemacht. Doch dann haben wir mit Rückholflügen tausende Fluggäste aus ihren Urlaubsorten am Mittelmeer zurückgebracht. Am häufigsten war ich im Frühjahr auf den Balearen, um dort noch die letzten Urlauber nach Hause zu holen. Als wir das geschafft hatten, wurde es ruhig. Im Mai und Juni war ich meistens zu Hause, habe meinen Kleiderschrank ausgemistet, den Garten auf Vordermann gebracht, hin und wieder die Sonne genossen. Als es wieder ging, war ich gerne mal im Café, habe mich mit Freundinnen getroffen, einen Cappuccino getrunken. Ginger und ich sind viele Kilometer gelaufen. Ich konnte mich endlich um sie kümmern.

In diesem zweiten Lockdown ist es anders. Ich weiß langsam nicht mehr, was ich noch mit meiner freien Zeit anfangen soll. Vieles geht jetzt nicht mehr, es ist kalt, es wird früh dunkel. Die Tage sind trostloser. Im Winter bin ich nie viel geflogen, doch dieser wird härter – auch, weil die Ungewissheit nagt.

Ich bin mir nicht sicher, wie es mit uns Flugbegleitern weitergeht, wann wir wieder normal fliegen dürfen. Im Sommer war ich euphorisch, die Menschen wollten wieder in den Urlaub. Ich war fast jeden Tag im Flugzeug. Im Herbst wurde klar: So wird es nicht bleiben. Die zweite Welle kam schneller, als ich dachte. Seit September bin ich fast nur noch zu Hause. Die Pandemie hat mir meinen Job nicht genommen, aber sie hat mir gerade alles genommen, was ihn ausmacht.

Ursprünglich bin ich Flugbegleiterin geworden, weil ich nicht jeden Tag in dasselbe Büro fahren und mit denselben Kollegen arbeiten wollte. Genau das habe ich als Veranstaltungskauffrau aber getan. Ich wollte etwas anderes sehen, über den Tellerrand schauen, über mich hinauswachsen. Zehn Jahre ist das her. Heute bin ich 33 und ich möchte nicht, dass es endet. Ich möchte nicht, dass mein Job hier endet. Als Optimistin setze ich darauf, dass sich bald alles wieder einspielen wird. Spätestens im Frühjahr fliegen wir bestimmt wieder ganz normal – falls sich Impfstoffe etablieren und Schnelltests serienreif werden.

Es sind unsichere Zeiten, aber in einem haben sie mich bestärkt: Ich habe vor zehn Jahren das Richtige getan. Flugbegleiterin zu sein, das ist meine Berufung. Und ich freue mich schon darauf, wenn mein Wecker wieder um viertel nach drei klingelt.

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