Digitalisierung Bargeldrepublik Deutschland

Düsseldorf · In einer Kolumne behauptete unser Autor kürzlich, man könne die digitale Rückständigkeit Deutschlands daran erkennen, wie häufig Urlauber im Ausland mit Bargeld bezahlen. Viele Leser kritisierten diese These. Warum hängen so viele hierzulande an Münzen und Scheinen?

 Nur Bares ist Wahres – 88 Prozent der Deutschen wollen nicht auf Bargeld verzichten.

Nur Bares ist Wahres – 88 Prozent der Deutschen wollen nicht auf Bargeld verzichten.

Foto: dpa/Fabian Sommer

Die erste Mail kommt morgens um kurz nach acht Uhr: „Lieber Herr Rinke, ein anderer Aspekt, warum Deutsche im Urlaub mit Bargeld bezahlen, als digitale Rückständigkeit kommt Ihnen offenbar nicht in den Sinn. Wie wäre es mit digitalem Bewusstsein?“, fragt ein Leser. Vielleicht gäbe es Menschen, die nicht noch mehr Datenspuren im Internet hinterlassen wollten. 

In einer Kolumne hatte ich zuletzt geschrieben, dass man Deutsche im Dänemark-Urlaub immer besonders gut daran erkennen konnte, dass sie in den Geschäften bar bezahlen. Dabei boten praktisch alle Läden Zahlungen per Karte oder sogar Smartphone an. These: Viele Deutsche (mich eingeschlossen) nehmen auch deshalb so viel Bargeld mit, weil sie so einen Service aus der Heimat nicht gewohnt sind. Aus meiner Sicht belegt dies die digitale Rückständigkeit unseres Landes – immerhin setzt das Angebot mobiler Bezahlmöglichkeiten beispielsweise auch häufig stabile und schnelle Netze voraus.

Viele Leser empörte diese Schlussfolgerung. Aus ihrer Sicht gibt es zahlreiche (gewichtigere) Gründe für die Verwendung von Bargeld, zum Beispiel die erwähnte Datensparsamkeit. Sie argumentierten in zahlreichen Zuschriften, dass sie vermeiden wollten, dass anhand ihres Kaufverhaltens Profile gebildet werden, die anschließend etwa zu Werbezwecken weiterverkauft werden. Und sie verwiesen darauf, dass die Kartenzahlung häufig mit mehr Kosten verbunden sei als die Barzahlung – weil etwa bei der Zahlung per Kreditkarte im Ausland eine Gebühr anfällt. Ein Leser argumentierte: „Solange der Händler den Großteil der Gebühren zu zahlen hat, wird jeder halbwegs gescheite Kaufmann bargeldloses Bezahlen zwar vorhalten, aber nicht aktiv bewerben.“

Ein Anderer schrieb, er kenne viele Menschen, die durch bargeldloses Bezahlen in die Schuldenfalle getappt seien. Bargeld erleichtere den Überblick über Einnahmen und Ausgaben. „Bargeld ist Anarchie und deshalb der Rückzugsort in einer durchdigitalisierten und kontrollierten Welt“, schreibt einer halb ironisch. Ein anderer Leser ergänzt: Durch rein elektronisches Geld sei man Negativzinsen oder anderen kapitalzehrenden Konstrukten schutzlos ausgeliefert. Zudem würde ein Bank-Run auf eine Bank, der die Insolvenz droht, durch elektronisches Geld unmöglich gemacht, während Bargeld diesen weiterhin ermöglichen würde. „Die Banken und Kreditkarteninstitute sind wieder mal die einzigen Gewinner des bargeldlosen Bezahlens“, so das Fazit.

Viele dieser Argumente sind gut und unbestreitbar richtig. Und weil das offenbar viele so sehen, ist Deutschland auch 2018 noch immer ein Bargeld-Land – und soll es auch bleiben. Laut einer Studie der Bundesbank wollen 88 Prozent der Menschen in Deutschland auch künftig weiter bar bezahlen (ich übrigens auch). Und deswegen werden Bücher wie „Rettet unser Bargeld“ des Ökonomen Max Otte in Deutschland auch zu Bestsellern. Drei von vier Einkäufe wurden im vergangenen Jahr bar bezahlt. Münzen und Scheine sind seit Jahren das beliebteste Zahlungsmittel, vor allem kleinere Beträge bis 20 Euro wurden 2017 nahezu vollständig (88 Prozent) bar bezahlt.

Kein Wunder, dass die Menschen hierzulande so viel Bargeld mit sich herumtragen, wie in keinem anderen Land der Euro-Zone. 2016 sollen es laut Europäischer Zentralbank 103 Euro im Schnitt gewesen sein. In Portugal oder Frankreich waren es nur knapp 30 Euro. Die skandinavischen Länder, in denen weiterhin mit Kronen bezahlt wird, wurden nicht erfasst. Laut einer Studie der dänischen Nationalbank aus dem Jahr 2016 kippte das Verhältnis von Bar- zu Kartenzahlungen aber bereits nach der Jahrtausendwende. 2015 wurden im Einzelhandel lediglich 20 Prozent aller Zahlungen bar vorgenommen. Der Bargeldanteil in den Geldbörsen dänischer oder schwedischer Bürger dürfte also relativ gering sein. Selbst die Kollekte in der Kirche funktioniert mancherorts bargeldlos.

Viele Deutsche scheint solchen Entwicklungen gegenüber skeptischer zu sein. Das mag zum Teil aus unserer Historie resultieren, aus einer Art kulturellem Bargeld-Gedächtnis, an staatlicher Überwachung in ostdeutschen Ländern durch die Stasi, an Währungs- und Wirtschaftskrisen in den Jahren zwischen den Weltkriegen.

Das liegt aber auch an der mangelnden Infrastruktur: In Deutschland ist es sehr viel schwerer als in anderen Ländern, bargeldlos zu bezahlen – 2016 kamen hierzulande laut einer Studie des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) auf einen Geldautomaten 13 Terminals für bargeldloses Bezahlen. In den Niederlanden waren es 81, in Schweden 91, in Luxemburg 311. Nur in Belgien und Österreich (je 1:11) war die Quote europaweit schlechter als in Deutschland.

Im Grunde ist es ein Henne-Ei-Problem: Weil die Deutschen so sehr am Bargeld hängen, brauchen sich Handel und Banken weniger Gedanken um Service und Innovationen beim Bezahlen zu machen, und weil es immer noch zu wenig bargeldlose Bezahlmöglichkeiten gibt, bleiben die Deutschen dann doch lieber beim guten, alten Bargeld.

Die Frage ist, was es mit einem Land macht, in dem ein Großteil der Öffentlichkeit nicht viel am Bargeld-Status-quo ändern will – und Aussagen wie vom damaligen Deutsche-Bank-Chef John Cryan, in zehn Jahren werde es kein Bargeld mehr geben, von vielen als düstere Prophezeiung wahrgenommen werden.

Dabei hat Cryan ja wahrscheinlich nicht ganz unrecht. Denn die Welt wandelt sich durch die Digitalisierung ja immer rasanter, neue Unternehmen entstehen genauso wie neue Geschäftsmodelle. Und die Gewohnheiten der Menschen ändern sich auch durch das Internet: Kreditkarte, Lastschrift, Rechnung, Paypal, Sofortüberweisung, Gutschein – viele Händler bieten inzwischen fünf oder mehr Varianten an, wie man den Kaufpreis begleichen kann. Da wirkt es irgendwann befremdlich, wenn man in einen Laden kommt, in dem es heißt „Nur Bargeld“.

Viele Transaktionen, für die man früher Bargeld oder wenigstens einen Überweisungsträger benötigt hätte, können heute digital abgewickelt werden. Große US-Digitalkonzerne wie Google und Apple haben längst digitale Bezahlangebote geschaffen. Hinzu kommen Anbieter wie etwa das schwedische Klarna, das neue Bezahlmodelle für den Online-Handel entwickelt. Ein Bankkonto bei Sparkasse oder Volksbank benötigen Kunden möglicherweise künftig lediglich noch dafür, um das Geld von dort einziehen zu lassen.

Es ist natürlich nicht so, dass sich deutsche Geldinstitute darüber keine Gedanken machen. Aber Sparkassen und Co. haben sich mit der Entwicklung eigener digitaler Bezahlangebote wie Paydirekt (vielleicht zu viel) Zeit gelassen. Sie konnten sich diese Zurückhaltung auch leisten, weil die deutschen Kunden ja sowieso lieber weiter zum Geldautomat gingen. Eine repräsentative Untersuchung des IT-Branchenverbands Bitkom zeigte zuletzt, dass nur ein Drittel der deutschen Online-Banking-Nutzer über das Smartphone auch Überweisungen vornimmt. Die meisten prüfen lediglich ihren Kontostand.

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