Keine wirtschaftliche Krise bei Bestattern Zumindest die Branche „Tod und Sterben“ wächst

Regensburg · Es mag makaber klingen, aber Tod und Sterben sind betriebswirtschaftlich ein Wachstumsmarkt in Deutschland. 2021 hat die Zahl der Sterbefälle in Deutschland erstmals die Grenze von einer Million überschritten. Und sinken wird sie in absehbarer Zeit wohl nicht mehr.

Ein Sarg wird in einem Krematorium in den Einäscherungsofen eingefahren (Symbolbild).

Ein Sarg wird in einem Krematorium in den Einäscherungsofen eingefahren (Symbolbild).

Foto: dpa/Robert Michael

Das wurde bei einer Tagung zur „Zukunft des Todes“ in Regensburg deutlich, die am Freitag endete. Der Generalsekretär des Bundesverbandes deutscher Bestatter, Stefan Neuser, sagte, 2021 habe die Zahl der Sterbefälle erstmals die Grenze von einer Million überschritten. Laut dem katholischen Moraltheologen Rupert Scheule wird diese Zahl in den kommenden Jahren noch um rund 30 Prozent steigen, „demografiebedingt, ganz ohne Pandemie“.

Neuser sagte, inzwischen drängten Unternehmen aus anderen Branchen auf den Markt, etwa aus dem Digitalsektor: „In Japan werden Avatare von Verstorbenen erstellt, mit denen man sich dann in einem virtuellen Raum unterhalten kann.“ Kreativität herrsche auch bei der Entwicklung neuer Bestattungsformen. So werde eine Art beschleunigte Kompostierung des Leichnams unter dem Begriff „Re-Erdigung“ beworben.

Als ein Problem benannte Neuser den Rückzug der Kirchen aus seinem Tätigkeitsfeld. Im vergangenen Jahr seien erstmals in Deutschland mehr als die Hälfte der Trauerfeiern nicht mehr kirchlich begleitet worden. Das führe zu Hilflosigkeit. Menschen wüssten heute immer weniger, wie sie mit der Verlusterfahrung umgehen sollten. Zugleich würden Trauerfeiern immer individueller gestaltet. Mittlerweile sei es „völlig üblich, dass die Lieblingsmusik des Verstorbenen gespielt wird und man mit bunten Luftballons am Grab steht“.

Der in der Schweiz lehrende Palliativmediziner Gian Domenico Borasio kritisierte, dass in den Tod „unglaubliche Summen investiert“ würden, um aus ihm Kapital zu schlagen, nicht aber, um das Sterben möglichst angenehm und friedlich zu machen. Pharmakonzerne heizten die Debatte um Suizidhilfe an, um von der Übertherapie am Lebensende abzulenken, an der sie besonders gut verdienten.

Borasio beklagte „grauenvolle finanzielle Fehlanreize“ im Gesundheitssystem. In den letzten zwei bis drei Jahren eines Menschen fielen ein Viertel aller Gesundheitskosten eines ganzen Lebens an. Zugleich sei die Qualität ärztlicher Behandlung in Pflegeheimen „miserabel“. Es würden „viel zu viele Medikamente“ verabreicht und Wechselwirkungen vernachlässigt. „Das Primat der Ökonomie bedroht unser aller Recht auf ein menschenwürdiges Sterben“, sagte er.

Hoffnung schöpft der Mediziner aus der wachsenden Bewegung sogenannter „Compassionate Communities“. Sie folge dem Grundsatz, „dass die Hilfe, die ich heute gebe, mir auch einmal zuteil wird“. Es gebe solche Projekte bürgerschaftlichen Sorge-Engagements auf der Basis von Wechselseitigkeit etwa in Großbritannien, Australien und den Benelux-Staaten. Teilweise hätten sich ganze Städte diesem Gedanken verschrieben. Die Politik müsse diese Entwicklung fördern.

(felt/kna)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort