Düsseldorf Von der Draisine zum E-Bike

Düsseldorf · Aus der hölzernen Laufmaschine von Karl Drais wurden hoch technisierte Fortbewegungsmittel. Ein Blick zurück auf 200 Jahre Fahrrad und auf die Trends der Gegenwart.

Düsseldorf: Von der Draisine zum E-Bike
Foto: Ferl

Es mag zynisch klingen, aber ohne eine Naturkatastrophe hätte es eine der bedeutendsten Erfindungen des 19. Jahrhunderts wohl nie gegeben. Am 10. April 1815 brach auf dem Gebiet des heutigen Indonesien der bis heute aktive Vulkan Tambora aus. Die direkte Folge war der Tod von rund 4000 Menschen, die in unmittelbarer Nähe lebten. Die weniger direkten Folgen waren spätestens ein Jahr später bis nach Europa zu spüren. Staubpartikel verursachten Missernten. Hungersnöte und Tiersterben waren die Folgen. Vielen Europäern fehlte es bald nicht nur an Nahrung, sondern auch an einem wichtigen Transportmittel: Es galt, die massiv schrumpfende Zahl der Pferde auszugleichen.

Zum Glück macht die Not erfinderisch. Karl Drais, ein findiger Forstbeamter aus Karlsruhe, suchte nach einer Möglichkeit, sich unabhängig von Pferden möglichst schnell fortbewegen zu können. An einem Sommertag im Juni 1817 gelang Drais, der später noch den Ur-Typ der Schreibmaschine erfinden sollte, der Durchbruch: Der damals 32-Jährige hatte zwei Räder an einen Rahmen aus Holz befestigt und das Ganze mit einer Unterarmstütze versehen. Darauf lehnend, beide Beine auf dem Boden aufsetzend, lief er von seinem Mannheimer Wohnhaus bis ins benachbarte Schwetzingen und zurück. Für die rund 14 Kilometer lange Strecke benötigte er nur eine Stunde - die Laufmaschine war geboren. Die Drais'sche Erfindung blieb nicht lange unentdeckt. Schon bald prägten Zeitungen den Namen für das, was heute als Vorläufer des modernen Fahrrads gilt: die Draisine.

Nachdem die bahnbrechende Erfindung zunächst in Vergessenheit geriet, setzte ab Mitte des 19. Jahrhunderts die Evolution des Zweirads ein. Die wichtigste Weiterentwicklung der Laufmaschine stand dabei am Anfang: 1861 versah der Franzose Pierre Michaux die Draisine mit einem Pedalantrieb.

In der Folge erhielt das Zweirad allerhand verschiedene Formen. Die Räder wurden zunächst mit Stahlspeichen versehen, wodurch das Vorderrad einen größeren Radius erhalten konnte - das Hochrad galt als schnell, gleichzeitig aber extrem unsicher.

Aus dem Gefährt, auf dem heute meist nur noch Artisten zu sehen sind, entwickelte sich das sogenannte Niederrad, das der heute typischen Form des Fahrrads bereits sehr nahe kam. Aus den Bemühungen vieler, das Zweirad zu einem sicheren Verkehrsmittel zu entwickeln, entsprang Ende des 19. Jahrhunderts letztlich das Modell "Rover II". Die Engländer John Starley und Williams Sutton, die zuvor mit der Vorstellung des "Rover I" nicht bei potenziellen Käufern hatten punkten können, organisierten 1885 ein Rad-Rennen, um die Fähigkeiten ihrer neuesten Erfindung unter Beweis zu stellen. Zu ihrem Glück gewann der von ihnen angestellte George Smith - auf ihrem Zweirad. Bis heute gilt der "Rover II" als Prototyp des modernen Fahrrads.

Trotz oder gerade wegen der späteren Erfindung des Autos ist das Fahrrad heute beliebter denn je. Laut Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) ändert sich das Mobilitätsverhalten der Deutschen rasant, besonders im städtischen Raum. Immer mehr Menschen verzichten auf ein Auto und setzen stattdessen auf das Fahrrad - für die Industrie ein Glücksfall: Laut Fahrradmarkt-Bericht des ZIV erzielte sie mit dem Verkauf von Fahrrädern und E-Bikes 2015 einen Umsatz von rund 2,42 Milliarden Euro. Diese Zahlen bedeuten ein Plus von zwölf Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Siegfried Neuberger, Geschäftsführer des ZIV, führt diese Entwicklung im Jahresbericht auch auf die "gestiegene Bedeutung des Fahrrads als Trendobjekt und Statussymbol" zurück.

Den gestiegenen Ansprüchen der Kunden steht heute ein so differenziertes Angebot gegenüber wie noch nie zuvor. Fahrräder sind längst nicht mehr nur ein praktisches Fortbewegungsmittel, sie sind ausgestattet mit moderner Technologie und Technik. Den Möglichkeiten der Konstrukteure sind dabei keine Grenzen mehr gesetzt, erklärt David Eisenberger, Sprecher des ZIV: "Heute gibt es Fahrradschmieden, die Bambus-Rahmen oder sichere Fahrradhelme aus Papier fertigen." Modelle aus solchen alternativen Materialien seien einer der Branchentrends 2017, heißt es seitens des ZIV.

Ganz vorne im Kundeninteresse aber werden laut Verband auch in diesem Jahr wieder E-Bikes liegen. "In diesem Bereich wird derzeit alles ausprobiert", erklärt Eisenberger. Neustes Projekt: ein E-Bike zum Zusammenklappen. Tern Bicycles etwa bietet das faltbare E-Bike "Elektron" an. Dank eines Bosch-Mittelmotors bietet es bis zu 100 Kilometer Reichweite, schlägt allerdings auch mit rund 3000 Euro zu Buche. Ein nicht-faltbares E-Bike dagegen bekomme man schon ab etwa 1500 Euro, sagt Experte Eisenberger. "Das sind allerdings Discount-Modelle. Da der Preis durch die verbauten Komponenten definiert wird, sind nach oben natürlich kaum Grenzen gesetzt." Wer beim Kauf eines E-Bikes besonders auf Qualität bestehe, müsse auf das CE-Siegel achten. Ohnehin aber habe das, was auf den deutschen Markt komme, schon durch die TÜV-Prüfung eine hohe Qualität.

Neben ausgereifterer Technik wie der Verbindung des Fahrrads mit dem Smartphone als Navigationshilfe oder Reiseführer - vor allem bei E-Bikes wegen des eingebauten Akkus kein Problem - wird 2017 vor allem noch eines wichtig: Individualität. "Das Rad ist wie dafür gemacht, seine Persönlichkeit auszudrücken", sagt Eisenberger. So wollten Kunden kein Rad von der Stange, sondern möglichst ein Unikat. "Dafür stöbern sie auch mal auf dem Flohmarkt nach einem Stahlrennrad." In Werkstätten oder Eigenarbeit werden die Räder dann wieder modern hergerichtet.

Trotz aller Trends: Das klassische Damen- oder Herrenrad bleibt weiterhin die größte Modellgruppe, sagt der Experte. "Und auch das Hollandrad ist weiter beliebt."

(tsp)
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