Volkswagen greift nach MAN

Überraschend macht der Autogigant ein Übernahmeangebot für den Lastwagenbauer mit immerhin 48 000 Mitarbeitern. Der Hintergrund: Ferdinand Piëch will endlich seine Vision eines Allround-Autokonzerns realisieren.

Wolfsburg/München Europas größter Autokonzern VW hat gestern völlig überraschend ein Übernahmeangebot für den Lkw-Bauer MAN abgegeben und gleichzeitig seinen Aktienanteil auf mehr als 30 Prozent erhöht. Damit ebnet der Konzern nach mehrjährigen Verhandlungen den Weg zur Bildung eines Lkw-Riesen zusammen mit seiner schwedischen Tochter Scania. Dabei machte VW den Aktionären von MAN das Angebot, ihre Stammaktien zum Preis von 95 Euro zu kaufen, für Vorzugsaktien soll es je Papier rund 60 Euro geben. Insgesamt dürfte VW rund zehn Milliarden Euro für MAN bezahlen, wenn der Konzern komplett geschluckt wird. Als Ergebnis würden im Lkw-Geschäft ebenso wie schon im Pkw-Geschäft (VW, Audi, Porsche, Skoda, Seat) verschiedene Markenhersteller so eng zusammenarbeiten, dass Milliarden durch gemeinsame Entwicklung von Komponenten gespart werden.

Der Drahtzieher des Geschäftes ist Ferdinand Piëch, der sowohl Aufsichtsratschef von Volkswagen als auch von MAN ist. Piëch hat schon viele Jahre lang die Zusammenführung von MAN und Scania unter dem Dach der VW-Gruppe vorangetrieben. Der frühere Vorstandschef von VW und Milliardär hatte dies mit einer für ihn typischen lakonischen Bemerkung auf der IAA 2010 schon angedeutet. Als sich die Übernahme von Porsche als zehnter Marke im Konzern abzeichnete, meinte er nur: "Ein Dutzend kann man sich besser merken als zehn." Sprich: MAN soll in den Konzern und auf Dauer auch noch ein Motorradbauer – alles, was sich auf der Straße bewegen kann, soll von VW als künftig größtem Autokonzern der Welt angeboten werden können.

Mit aller Kraft wirbt nun das VW-Management für die Übernahme. "MAN und Scania werden durch die engere Zusammenarbeit ihre Profitabilität weiter steigern und damit zusätzlichen Wert für alle Aktionärsgruppen schaffen", sagte VW-Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch gestern. Aus Vorsicht vor Bedenken des Kartellamts, der MAN-Mitarbeiter und des Vorstands wird aber auch eine gewisse weitere Eigenständigkeit von MAN angeboten. "Selbstverständlich respektieren wir die Mitbestimmungs- und Arbeitnehmerrechte in vollem Umfang und stehen zu Standorten und Beschäftigten", erklärte VW-Vorstandschef Martin Winterkorn. Dabei deutet Finanzvorstand Pötsch sogar mögliche Zugeständnisse an die Wettbewerbsbehörden an. "Das Schlüsselziel ist die Freigabe durch die Kartellbehörden."

Leicht wird die Übernahme also keineswegs: Die im Dax notierten MAN-Papiere gewannen mehr als zwei Prozent an Wert und notierten mit 98,50 Euro deutlich über dem Pflichtangebot von VW in Höhe von 95 Euro. "Das Angebot hat Fantasie ausgelöst, dass VW sein Angebot aufstocken muss", sagte BHF-Bank-Analyst Aleksej Wunrau. Entsprechend verhalten bewegte sich der Aktienkurs von VW und ging um rund zwei Prozent nach unten.

Doch ob VW wirklich fast alle MAN-Aktien kaufen will und wird, ist nicht ausgemacht. Das Angebot kann auch ein Trick sein.

Denn manche Experten halten es für möglich, dass VW das Angebot im Laufe des Verfahrens bewusst nicht erhöhen wird, um am Ende mit nur 35 oder 40 Prozent der Stimmen den Lastwagenbauer zu kontrollieren. Da auf Hauptversammlungen fast immer viele Aktionäre auf eine Stimmabgabe verzichten, würden 35 bis 40 Prozent der Papiere für die Mehrheit reichen.

Was bedeutet das? VW muss nur rund 1,5 Milliarden Euro ausgeben, um auf 40 Prozent bei MAN zu kommen. Das kann Ferdinand Piëch aus der Portokasse zahlen: VW hat flüssige Mittel von 20 Milliarden Euro zur sofortigen Verfügung, der eigene Börsenwert liegt bei 56 Milliarden Euro. Der MAN-Vorstand jedenfalls weiß, wohin die Reise geht: Er begrüßte das Angebot gestern grundsätzlich.

(RP)
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