Düsseldorf Viele neue Schuldner aus der Mittelschicht

Düsseldorf · Fast sieben Millionen Deutsche sind überschuldet. Das heißt, sie können Rechnungen dauerhaft nicht bezahlen. Im Westen steigt die Zahl der Schuldner deutlich. Sorgenkind ist vor allem das Ruhrgebiet.

Die Zahl der Schuldner ist mit 6,91 Millionen im Vergleich zum Vorjahr um 0,9 Prozent gestiegen. Das geht aus dem Schuldner-atlas von Creditreform hervor, einem Unternehmen für Wirtschaftsforschung. Die Überschuldungsquote ist hingegen von 10,06 Prozent auf 10,04 gesunken. Das liegt daran, dass die Bevölkerung in Deutschland im vergangenen Jahr durch Zuzug noch mal deutlich zugenommen hat. Denn die Quote bezieht sich auf den Anteil der überschuldeten Personen im Verhältnis zu allen über 18-Jährigen in Deutschland.

Schlechter als in Gesamtdeutschland sieht die Situation im Westen aus. Dort drehe sich die "Überschuldungsspirale" deutlich schneller als im Osten, heißt es in dem Bericht von Creditreform. Vor allem die Fälle mit hoher Überschuldung sind gestiegen - um 1,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. 62.000 der neuen Schuldner leben in Westdeutschland, 3000 im Osten.

"Dass insgesamt die Überschuldung etwas weniger stark angestiegen ist als befürchtet, beruhigt mich nur ein wenig. Ich glaube nicht an eine Trendwende", sagt Georg Eickel, Referent für Schuldnerberatung beim Paritätischen Wohlfahrtsverband NRW. Das Problem aus seiner Sicht: Die sinkenden Arbeitslosenzahlen bewirkten nichts Positives, da zu viele Menschen geringfügig bezahlt würden. Damit bleibe die Einkommensarmut bestehen. "Arbeit bedeutet dementsprechend nicht, dass man aus dem Schneider ist. Dazu gehört auch, dass Fixkosten wie Mietbelastung und Energiekosten so hoch sind, dass zu wenig für den Rest übrig bleibt", sagt Eickel. Besonders den Faktor der hohen Mietkosten sieht auch der Creditreform-Bericht als Problem. Bei Schuldnern würden die Wohnkosten durchschnittlich 46 Prozent des Einkommens ausmachen.

In Nordrhein-Westfalen liegt die Schuldnerquote mit 11,63 Prozent fast 1,6 Prozentpunkte über der Bundesquote. Spitzenreiter bei den Bundesländern ist Bremen (13,97 Prozent), gefolgt von Sachsen-Anhalt, Berlin und NRW. Insgesamt sind in NRW mehr als 1,7 Millionen Menschen überschuldet. Das sind 17.000 mehr als im Vorjahr und 176.000 Schuldner mehr als vor 13 Jahren. Negativ-Spitzenreiter in NRW ist Wuppertal mit einer Überschuldungsquote von 18,38 Prozent. 2014 lag die Quote dort noch bei 17,77 Prozent. "Sorgenkind" sei aber vor allem das Ruhrgebiet, so die Experten von Creditreform. Mit seinen zum Teil noch altindustriell geprägten, strukturschwachen Regionen sei das Ruhrgebiet ein "Hotspot" sozialer Probleme. In vielen Städten dort ist die Überschuldung gestiegen. Herne (+2,93 Prozentpunkte) Oberhausen (1,76) und Gelsenkirchen (1,52) haben dabei die höchsten Steigerungsraten.

Während die Wissenschaftler in NRW Arbeitslosigkeit und geringes Einkommen als Hauptauslöser für die Überschuldung sehen, geht deren Einfluss insgesamt auf die Verschuldung zurück. Die Fälle, in denen Arbeitslosigkeit der Hauptauslöser für die Schulden war, sind von 2008 bis 2017 um 27 Prozent gesunken. Heute gelten Unfälle, Sucht und Erkrankungen sowie schlechte Haushaltsführung als Auslöser, sagen die Creditreform-Experten.

"Wir haben auf der einen Seite die Form der Konsumverschuldung, bei der sich die Betroffenen zu viel zugemutet haben. Und auf der anderen Seite gibt es die Überschuldung aus einer prekären Situation heraus. Beides nimmt zu und ist nicht gänzlich voneinander zu trennen", sagt Michael Bretz, Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform. Daher sei Verschuldung auch nicht nur ein Problem der unteren Einkommensschichten. Fast alle neuen Fälle kämen aus der Mittelschicht, insgesamt 4,38 Millionen Schuldner. Das sind 68.600 mehr als noch im Jahr 2016.

(RP)
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