Berlin Verpackungs-Tricks am Pranger

Berlin · Wenn nicht drin ist, was drauf steht, dann soll das ein Fall für "Lebensmittelklarheit.de" sein. Die Nachfrage nach der Internet-Plattform der Verbraucherzentrale war zum Start so groß, dass sie unter dem Ansturm kollabierte.

Wenn im "Kalbswiener"-Würstchen mehr Schwein als Kalb steckt, wenn der "Schafskäse" aus Kuhmilch ist und wenn das zu "Schwarzwaldschinken" verarbeitete Tier den Schwarzwald nie gesehen hat – dann ärgert sich der Käufer. Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner bittet, den Ärger ab sofort nicht mehr für sich zu behalten. Zusammen mit der Verbraucherzentrale schaltete sie gestern eine neue Internetplattform frei. Unter www.lebensmittelklarheit.de sollen Täuscher und Trickser der Lebensmittelindustrie vorgeführt werden. Der Bedarf ist offenbar riesig. Jedenfalls ging die Seite schon kurz nach dem Start in die Knie. Sie war der Nachfrage von bis zu 20 000 Zugriffen pro Sekunde nicht gewachsen und kollabierte.

Schon im Vorfeld hatte der öffentlich gemachte Produkt-Protest für Zoff auch in der Lebensmittelindustrie gesorgt. Deren Lobbyisten sorgten sich um falsche Verdächtigungen, existenzgefährdenden Rufmord und darum, dass ein öffentlicher Pranger im Rechtsstaat nichts zu suchen habe. Den angedrohten Prozessen sieht der Betreiber der Seite, Verbraucherzentrale-Chef Gerd Billen, gelassen entgegen. "Ich lade jeden dazu ein, gegen uns zu klagen", so Billen. Dann würden eben Gerichte zur Klärung beitragen.

Die Verbraucherschützer wähnen die besten Argumente ohnehin im Regal. Etwa die rote Box von Iglo mit dem Bild von zwei saftigen Hähnchenbruststücken. Die Käuferin erwartete gewachsenes Fleisch mit Marinade, doch der Fleischanteil betrug nur 76 Prozent. Laut Hersteller sei doch mit der Bezeichnung "mit 100 % marinierter Hähnchenbrust" klar, dass noch andere Zutaten enthalten seien. Nach Ansicht der Verbraucherschützer ein Beispiel für die Rubrik "getäuscht". Nicht ohne Konsequenz. Iglo will die "Country Chicken" aus dem Sortiment streichen.

"Was drauf steht, muss auch drin sein", sagt Aigner. Sie sieht aber auch "Grauzonen". Etwa beim Fruchtjoghurt und der Frage, wie viel Obst drin sein muss, damit es außen drauf stehen darf. Deshalb gibt es auch die Rubrik "erlaubt". Darin finden sich die "Kalbswiener", deren Kalbfleischanteil nur 15 Prozent beträgt – der damit aber dem vorgeschriebenen Mindestwert entspricht.

Für alle, die Besserung geloben, gibt es auf der Internet-Seite die Rubrik "geändert". Da könne jeder Anbieter das Portal auch als Nachweis eigener Verbraucherfreundlichkeit nutzen, meint Projektleiter Hartmut König. Beispiel: Onko. Der Kaffee, der seit Generationen in Millionen Tassen duftet. Doch da waren laut Beschwerde eines Käufers aus Wiesbaden nun nur noch 88 Prozent Röstkaffee drin, gestreckt mit Maltodextrin und Karamell auf hundert Prozent. Das Erscheinungsbild hatte die Firma trotz veränderter Rezeptur mit dem Hinweis "klassisch" beibehalten, kritisierten die Verbraucherschützer. Sie schoben den Kaffee in die "geändert"-Rubrik der Plattform, nachdem die Firma mitgeteilt hatte, zur alten Rezeptur zurückzukehren.

Diese werde bereits "seit Anfang Mai" wieder ausgeliefert, versicherte Firmen-Sprecherin Heike Hauerken – also lange vor dem Start des Portals. Das Melange-Verfahren sei bei den Verbrauchern "nicht auf Akzeptanz" gestoßen, erläuterte Hauerken. Sie gab damit indirekt den Hinweis, dass es auch noch andere Möglichkeiten jenseits der Internetplattform gibt, mit Täuschungen und Tricks umzugehen: Einfach nicht mehr kaufen.

(RP)
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