Düsseldorf Verdi setzt Kirchen unter Druck

Düsseldorf · Die Gewerkschaft bezeichnet den Sonderweg beim kirchlichen Arbeitsrecht als "vordemokratisch" und hat Beschäftigte eines katholischen Krankenhauses zum Streik aufgerufen, obwohl dieser dort rechtlich ausgeschlossen ist.

Die Gewerkschaft Verdi hat in diesem Monat einen Tabubruch begangen: Gleich zweimal rief sie die Beschäftigten der Marienhausklinik Ottweiler zu einem Warnstreik auf - zuletzt am vergangenen Mittwoch. Die Episode wäre nicht weiter außergewöhnlich, reiht sie sich doch in eine Reihe von Protestaktionen gegen den Pflegenotstand ein. Auch an der Uniklinik Düsseldorf und der Charité in Berlin versucht Verdi sogenannte Entlastungs-Tarifverträge durchzusetzen, um das Pflegepersonal aufzustocken.

Doch der Fall in Ottweiler ist anders gelagert: Erstmals hat Verdi gezielt einen katholischen Arbeitgeber bestreikt. Dabei hätten die Beschäftigten nach dem kirchlichen Arbeitsrecht gar nicht streiken dürfen. Schließlich sind im sogenannten Dritten Weg Streiks ausgeschlossen. Die Arbeitsbedingungen werden nicht per Tarifverhandlung festgezurrt, sondern in arbeitsrechtlichen Kommissionen zwischen den Dienstgebern und Dienstnehmern.

Verdi ist dieses System schon lange ein Dorn im Auge. In Ottweiler greift die Gewerkschaft es jetzt bewusst an. Für den Fall, dass die kirchlichen Arbeitgeber arbeitsrechtlich gegen ihre Beschäftigten vorgehen, hat Verdi ihnen schon Unterstützung zugesagt. Derzeit sieht es nicht so aus, als würde es so weit kommen. Nach einem Gespräch mit Vertretern der Caritas und der katholischen Krankenhäuser des Saarlandes sagten diese zu, mit dem Träger der Ottweiler Einrichtung zu sprechen, damit es keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen für die Streikenden gibt. "Das begrüßen wir ausdrücklich", erklärte Sylvia Bühler, Bundesvorstandsmitglied von Verdi. "Ohnehin sollte der Arbeitgeber, wenn er rechtliche Probleme sieht, das mit Verdi austragen und nicht mit den schwächsten Gliedern der Kette." Das kirchliche Arbeitsrecht bezeichnete Bühler als "vorsintflutlich und vordemokratisch". Dabei hatte das Bundesarbeitsgericht in Erfurt den Dritten Weg in einem aufsehenerregenden Urteil 2012 bestätigt. Allerdings machten die Richter damals die Einschränkung, die Kirchen müssten die Gewerkschaften angemessen einbinden. Wie das erfolgen muss, ließen die Richter offen. "Die Kirchen haben unterschiedliche Wege gewählt, um das BAG-Urteil umzusetzen", erklärt der Bochumer Jura-Professor Jacob Joussen, der als Fachmann in Sachen kirchliches Arbeitsrecht gilt. "In der evangelischen Kirche wurde das Kirchenrecht so geändert, dass auf der Ebene der EKD die Arbeitnehmerseite in den arbeitsrechtlichen Kommissionen zu 100 Prozent von Gewerkschaften besetzt sein soll", erläutert er. "Für die Landeskirchen gibt es Öffnungsklauseln. Dort heißt es, die Gewerkschaften müssen ausreichend stark beteiligt werden. Schaut man in die Begründung, dürfte ,ausreichend stark' 50 Prozent plus x bedeuten."

Die katholische Kirche wählte Joussen zufolge einen anderen Weg: Sie hat in der Regel zehn Prozent der Sitze den Gewerkschaften zugesprochen. Das klingt zwar zunächst wenig, allerdings gehen Experten davon aus, dass der Verdi-Organisationsgrad bei den Kirchen allenfalls zwei bis drei Prozent beträgt, wohlwollendere Schätzungen gehen von fünf Prozent aus. Damit bietet die katholische Kirche den Gewerkschaften immerhin doppelt so viele Plätze an, wie der Organisationsgrad im besten Fall betragen dürfte.

Trotzdem reicht Bühler das nicht aus: "Eine angemessene Beteiligung der Mitarbeiter kann ich beim Dritten Weg nicht erkennen." Vieles spiele sich hinter verschlossenen Türen ab. "Bevor wir Tarifforderungen aufstellen, binden wir die Mitglieder selbstverständlich ein. Wir als Verdi haben uns dazu entschlossen, uns bei einem solchen scheindemokratischen Prozess nicht zu beteiligen."

Das Bundesarbeitsgerichtsurteil hat zwar vorgegeben, dass die Arbeitgeber den Gewerkschaften eine Beteiligung anbieten müssen, aber nicht, dass diese das Angebot auch annehmen müssen. "Die Arbeitgeber sind damit zunächst einmal aus dem Schneider", sagt Jurist Joussen. "Allerdings deuten Kommentare der Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts an, dass die gefundenen Lösungen nicht ausreichend sind." Würde Verdi streiken und ein Arbeitgeber die Beschäftigten abmahnen, könnte der Fall wieder die Gerichte beschäftigen und am Ende vor dem BAG landen. Dort würde dann überprüft, ob die Beteiligung ausreicht. Derzeit sieht es aber nicht so aus, als würde eine der beiden Seiten den Rechtsweg anstreben.

Bühler kritisiert, dass Caritas und Diakonie vieles anwenden, was Verdi zuvor im öffentlichen Dienst durchgesetzt habe, sich zugleich aber wehren, dass ihre rund 1,4 Millionen Beschäftigten sich daran beteiligen, im Sozial- und Gesundheitswesen mit einem Streikrecht im Rücken Verbesserung durchzusetzen. "Das ist eine ziemlich komfortable Situation für die Arbeitgeber", sagt Bühler. Die Gesundheit eines Arbeitnehmers könne nicht die eigene Angelegenheit der Kirche sein. "Es gibt nichts Persönlicheres als die eigene Unversehrtheit. Sie können ablesen, wie schlimm die Lage an den Krankenhäusern sein muss, wenn Kollegen, denen arbeitsrechtliche Konsequenzen angedroht wurden, dennoch bereit sind zu streiken."

Es gehe Verdi bei dem derzeitigen Konflikt nicht in erster Linie darum, den dritten Weg zu kippen. "Vielmehr geht es um Verbesserungen für die Beschäftigten, vor allem um mehr Personal in der Pflege. Unser Ziel ist nicht der Streik, unser Ziel sind bessere Arbeitsbedingungen", sagt sie. Der Krankheitsstand in den Krankenhäusern sei überdurchschnittlich, die Belastung sei extrem. "In den vergangenen Jahren haben wir immer wieder auf die Situation hingewiesen, geändert hat sich nichts." Jüngst habe ein Kirchenvertreter gesagt, bei den Kirchen sei's auch nicht schlimmer als bei anderen Trägern. "Daraufhin sage ich nur: Genau deswegen bestreiken wir eben auch die Kirche", so Bühler.

(maxi)
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