Rheinberg Verdi erhöht Druck auf Amazon

Rheinberg · Der Bundesvorstand mobilisiert 800 Beschäftigte des Onliner-Versandhändlers zu einer zentralen Protestkundgebung in Rheinberg. Seit Monaten streiken die Mitarbeiter vergeblich für einen Tarifvertrag.

In der Messe Niederrhein sticht an diesem Vormittag besonders die Farbe neongelb ins Auge: 800 Mitarbeiter von vier deutschen Amazon-Standorten - Werne, Bad Hersfeld, Koblenz und Rheinberg - sind zu einer zentralen Kundgebung in der Halle angereist. Viele von ihnen tragen die grellen Verdi-Streikwesten. Die Gewerkschafter wollen dem bislang von ihren Arbeitskämpfen unbeeindruckten Management des Online-Versandhändlers einmal mehr die Stirn bieten. Es ist Tag vier der neuen Streikwelle. Noch bis morgen soll sie fortgesetzt werden.

Die Hauptforderung der Streikenden ist ein einheitlicher Tarifvertrag für die gesamte Amazon-Belegschaft - und diesen auf dem Niveau des Handels. Dafür haben sie sich mit Linken-Chef Bernd Riexinger einen politischen Unterstützer besorgt. "Viele Menschen in der Bevölkerung stehen hinter euch", ruft Riexinger der Menge aufmunternd zu, "ihr seid inzwischen zum Symbol für prekäre Arbeit geworden." Die Streikenden jubeln und applaudieren. Die Stimmung ist gut.

Der Amazon-Streik ist für Verdi essenziell. Seit Monaten schwelt der Konflikt, ohne dass sich der Konzern auch nur einen Zentimeter bewegt hätte. Die ausbleibenden Erfolge frustrieren nicht nur so manches betroffene Mitglied, sie setzen zunehmend die Führung der Dienstleistungsgewerkschaft in Berlin unter Druck. Wie lange noch, so die bange Frage hinter vorgehaltener Hand, lässt sich mit Arbeitskämpfen der Druck aufrecht erhalten, wenn sich nichts bewegt?

Entsprechend war die Kritik an Verdi-Chef Frank Bsirske in den vergangenen Tagen immer lauter geworden. Neben dem erfolglosen Versuch, Billiggesellschaften bei der Post zu verhindern, und den stockenden Tarifverhandlungen bei den Kitas wurden dem Gewerkschaftsvorsitzenden vor allem die ausbleibenden Resultatre bei Amazon zugeschrieben.

Bsirske erklärte beim Verdi-Bundeskongress in Leipzig, es sei bereits ein Erfolg, dass Verdi zu Beginn der Auseinandersetzung nur an einem Standort streikbereit gewesen sei, inzwischen könnten Mitarbeiter an acht Standorten mobilisiert werden.

Doch dass der Streik allein nicht ausreicht, ist auch dem frisch wiedergewählte Verdi-Chef vollkommen klar. Entsprechend machte Bsirske die Auseinandersetzung bei dem Versandhändler zu einem zentralen Bestandteil seiner Grundsatzrede: Amazon betreibe ein System totaler Kontrolle und Gängelung mit sogenannten Inaktivitätsprotokollen. Mitarbeiter, die nur zweimal ein- bis zwei Minuten miteinander gesprochen hätten, seien aktenkundig geworden. "Hinzu kommt, dass viele Mitarbeiter nur befristet eingestellt sind und das Unternehmen Druck damit ausübt."

Bsirske machte die von der Gewerkschaft kritisierten Zustände unter anderem mit Aussagen einer früheren Amazon-Mitarbeiterin plastisch: Zum Weinen gehe man auf die Toilette, an Geschluchze aus der Nachbarkabine gewöhne man sich schnell, hatte sie in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" gesagt. "Extreme Krankenstände von 20 Prozent und mehr sind die Folge. Mit guter Arbeit hat das nichts zu tun", so der Verdi-Chef. Gängelung und Kontrolle der Mitarbeiter sei an der Tagesordnung. Bsirske sprach von einem "auf die Zukunft gerichteten Labor der Ausbeutung". Die Botschaft des Biundesvorsitzenden ist eindeutig: Verdi wird den Druck aufrechterhalten.

Zumindest einen juristischen Erfolg konnte die Dienstleistungsgewerkschaft in dieser Woche verbuchen: Amazon scheiterte mit dem Versuch, Gewerkschaftsvertreter vom Betriebsgelände zu werfen. Verdi wollte dort die Beschäftigten über die geplanten Streiks informieren. Arbeitsgerichte in Pforzheim und Koblenz wiesen Amazon-Klagen ab, die sich dagegen gerichtet hatten, dass Verdi-Mitglieder Flugblätter an ihre Kollegen verteilten.

(RP)
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