Nach BAG-Entscheid möglich Verdi droht Kirchen erstmals mit Streik

Düsseldorf · Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi will den Druck auf die kirchlichen Arbeitgeber erhöhen. Gewerkschaftschef Frank Bsirske kündigte im Gespräch mit unserer Redaktion an, bei denjenigen Trägern zum Arbeitskampf aufzurufen, die sich nicht auf Tarifverhandlungen mit Verdi einlassen wollen.

 Verdi-Chef Frank Bsirske macht den kirchlichen Einrichtungen Druck.

Verdi-Chef Frank Bsirske macht den kirchlichen Einrichtungen Druck.

Foto: AP, AP

"Dort werden wir 2013 Druck mit Streiks machen. Vorausgesetzt, die Beschäftigten wollen das und organisieren sich." Die beiden christlichen Kirchen gelten mit rund 1,3 Millionen Mitarbeitern als zweitgrößter Arbeitgeber in Deutschland.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte im November den Gewerkschaften ein Streikrecht unter Bedingungen bei den Kirchen zugestanden. Zuvor waren Arbeitskämpfe wegen des sogenannten Dritten Weges, einer arbeitsrechtlichen Sonderstellung der Kirchen, ausgeschlossen. Bei dieser Art der Lohnfindung werden die Arbeitsbedingungen und damit auch die Löhne in Arbeitsrechtlichen Kommissionen festgelegt. Diese sind zu gleichen Teilen mit Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern besetzt. Im Streitfall führt ein neutraler Schlichter eine Lösung herbei, die bindend für beide Seiten ist.

Verdi war dieser Sonderweg ein Dorn im Auge. Die Gewerkschaft argumentierte, dass es durch den Dritten Weg ein Machtgefälle zulasten der Arbeitnehmer gebe, und klagte. Der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Nikolaus Schneider, räumte ein, dass Beschäftigte in einigen Fällen benachteiligt würden. "Es gibt leider in einigen wenigen diakonischen Einrichtungen Missstände, die wir aufklären müssen. Wahr ist aber auch: Wir stehen besser da als der Rest des Sozialmarkts", sagte Präses Schneider. Im Normalfall bezahlten die Betriebe der Diakonie angemessen.

Kirchen können Streiks noch abwenden

Nach Ansicht von Jacob Joussen, Experte für kirchliches Arbeitsrecht an der Ruhr-Universität Bochum, haben die kirchlichen Träger Möglichkeiten, Verdi-Streiks noch abzuwenden: "Das BAG hat in seiner Mitteilung nach dem Urteil ganz klar Auflagen gemacht", sagte der Arbeitsrechtler. Unter zwei Bedingungen sei der Dritte Weg der Kirchen — und damit auch das Streikverbot — weiterhin gültig: Zum einen müssten Diakonie und Caritas sicherstellen, dass die Ergebnisse ihrer Arbeitsrechtlichen Kommissionen verbindlich sind, also tatsächlich angewandt werden.

"Vor allem bei den in einigen diakonischen Einrichtungen getroffenen Regelungen wurden des Öfteren Abweichungen erlaubt. Das muss aufhören", forderte Joussen. Zum anderen müssten die kirchlichen Arbeitgeber sicherstellen, dass die Gewerkschaften sich "koalitionsgemäß beteiligen können". Allerdings ist bislang noch völlig unklar, wie eine solche Beteiligung aussehen könnte. "Noch liegt die schriftliche Urteilsbegründung des BAG nicht vor", erklärte der Arbeitsrechtler. Denkbar wäre etwa, den Gewerkschaften einen oder zwei Sitze in den Kommissionen einzuräumen.

Das BAG-Urteil hat der Gewerkschaft zufolge übrigens bereits einen positiven Effekt: "Dank des Urteils verzeichnen wir einen deutlichen Mitgliederbeitritt bei der Diakonie", sagt Bsirske. Er hofft, dass das Gros der Arbeitgeber zu Tarifverhandlungen bereit ist: "Ich gehe davon aus, dass wir bei vielen diakonischen Einrichtungen Tarifverhandlungen aufnehmen werden. Besser noch wäre, wenn wir einen Tarifvertrag Soziales für die gesamte Branche hinbekämen, der für allgemeinverbindlich erklärt werden könnte."

(RP/felt/das)
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