Krankenkassen Zusatzbeiträge für Millionen Versicherte

Düsseldorf (RPO). Auf die gesetzlich Krankenversicherten kommen teils Mehrkosten zu: Acht gesetzliche Versicherer kündigten am Montag an, in diesem Jahr Zusatzbeiträge erheben. Die Versicherten müssen die bittere Pille schlucken - oder von ihrem Sonderkündigungsrecht Gebrauch machen. Langfristig dürfte das allerdings nicht helfen.

Gesundheitsreport 2009
Infos

Gesundheitsreport 2009

Infos
Foto: AP

Die Kosten im Gesundheitsbereich steigen ungehindert an, die Krankenkassen schreiben tiefrote Zahlen. Dafür müssen nun die Versicherten gerade stehen. Zusatzbeiträge wird unter anderem die DAK mit 4,9 Millionen Versicherten erheben. Vorstandschef Herbert Rebscher will seinem Verwaltungsrat empfehlen, ab Februar einen Zusatzbeitrag von acht Euro pro Monat zu erheben.

Auch die KKH Allianz, Versicherer von 1,5 Millionen Menschen, kündigte eine Pauschale von acht Euro im Monat an. Diese soll "im Laufe des ersten Halbjahres" erhoben werden. Bei der BKK Gesundheit - sie betreut eine Millionen Versicherte - werden es ebenfalls acht Euro sein, vermutlich zum 1. Februar oder ersten März.

Mehrkosten kommen ebenso auf die Mitglieder der Deutschen BKK zu. Die Kasse wollte sich am Montag aber weder zu Höhe noch Zeitpunkt äußern. Auch mehrere andere Betriebskrankenkassen peilen Zusatzbeiträge an, so die Novitas BKK, die BKK für Heilberufe, die ktp BKK und die BKK Westfalen-Lippe.

Diese Pläne müssen noch von den Verwaltungsräten der Kassen beschlossen werden. Nicht näher äußern zu dem Thema wollte sich der Vorstandschef der AOK Schleswig-Holstein, Dieter Paffrath. Er erklärte am Montag bei einer Veranstaltung der Versicherer in Berlin lediglich, er wolle dazu beitragen, ein "Tabu" aufzubrechen.

Doch die Ankündigungen der Kassen sind erst der Anfang. Thomas Ballast, Vorsitzender des Verbands der Ersatzkassen (VDEK), verwies am Montag im Radiosender MDR Info auf das drohende Milliardendefizit in den Haushalten der Kassen. "Das können nur sehr wenige durch eigene Rücklagen ausgleichen. Deswegen werden es sicher einige sein, die schon jetzt zu Beginn des Jahres einen Zusatzbeitrag einführen müssen. Aber es werden im Laufe des Jahres noch sehr viele hinzukommen", warnte er.

In Branchenkreisen geht man davon aus, dass in einer ersten Welle, noch im ersten Quartal, zwölf Millionen Versicherte vom Zusatzbeitrag betroffen sind. Bis Jahresmitte werden voraussichtlich 30 Kassen von ihren Mitgliedern den Obolus fordern.

Alles gesetzlichen Krankenkassen, die mit den Geld-Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds nicht auskommen, können den Extra-Beitrag erheben. Pauschal dürfen acht Euro gefordert werden, eine aufwändige Einkommensprüfung ist hierbei nicht notwendig. Deshalb gilt es als wahrscheinlich, dass die Kassen zunächst diesen Beitrag zusätzlich erheben werden.

Kurfzristiger Kassenwechsel möglich

Insgesamt darf der Zusatzbeitrag nicht mehr als ein Prozent des Einkommens betragen. Die Höchstgrenze liegt bei 37,50 Euro monatlich. Es ist möglich, den Zusatzbeitrag sehr kurzfristig erheben. Sie müssen ihre Versicherten vier Wochen, bevor die Extra-Zahlung fällig wird, informieren. Das heißt, eine Kasse, die Ende Januar eine Genehmigung für den Zusatzbeitrag beim Bundesversicherungsamt beantragt, kann den Obolus ab dem 1. Februar geltend machen und die Fälligkeit für den Beitrag vier oder sechs Wochen später datieren.

Den betroffenen Versicherten bleiben nicht viele Möglichkeiten. Sie haben ein sofortiges Sonderkündigungsrecht und können zu einer Kasse wechseln, die keinen Zusatzbeitrag erhebt. "Allerdings wird für viele Versicherte nach einiger Zeit die Enttäuschung kommen, weil die Kasse, zu der man abgewandert ist, ebenfalls Zusatzbeiträge erheben muss", prophezeite der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach in der "Saarbrücker Zeitung".

Die Barmer GEK, die Techniker Kasse und die AOK Rheinland haben versprochen, dass sie keinesfalls zu den Kassen gehören, die schon im ersten Quartal 2010 Zusatzbeiträge erheben. Die Fristen für den Kassenwechsel sind so kurz, dass die wechselwilligen Versicherten den Sonderbeitrag tatsächlich nicht zahlen müssen.

Auf Dauer überall Zusatzbeiträge

Auf Dauer dürfte die Kassenflucht jedoch nicht helfen. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen rechnet in den kommenden Monaten mit flächendeckenden Zusatzbeiträgen für Versicherte. "Ich gehe davon aus, dass wir zum Ende des Jahres, spätestens im nächsten Jahr bei allen Versicherten solche Zusatzbeiträge haben werden", sagte Verbandschefin Doris Pfeiffer am Montag im Deutschlandfunk.

Pfeiffer sagte, ein solcher Schritt sei keine Folge eines "Managementproblems". Vielmehr seien die Kosten für Ärzte, Krankenhäuser und Arzneimittel immer weiter gestiegen, während die Einnahmen zurückgingen. Nach jüngsten Prognosen fehlen den gesetzlichen Kassen in diesem Jahr rund vier Milliarden Euro.

Die Verbandschefin forderte von der Bundesregierung, den weiteren Ausgabenanstieg im Gesundheitssystem zu stoppen. Es könne nicht sein, dass die Kostenentwicklung hier völlig von der Entwicklung der Gesamtwirtschaft abgekoppelt sei. Pfeiffer appellierte außerdem an die Regierung, die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel abzusenken - so wie das gerade auch bei der Hotelbranche geschehen sei. Ein ermäßigter Steuersatz auf Medikamente würde Einsparungen von 2,3 bis 2,4 Milliarden Euro bringen, sagte sie. Auch mehr Wettbewerb - etwa bei Verträgen von Kassen mit Krankenhäusern - könne Einsparpotenzial liefern.

Politiker fordern Kostendämpfung

Inzwischen regt sich auch in der Politik Unmut über die Kostenexplosion bei den Kassen. CSU-Chef Horst Seehofer hat die geplanten Zusatzbeiträge kritisiert. Zuerst müsse "nachgewiesen werden, dass alle Sparmöglichkeiten ausgeschöpft sind", forderte Seehofer am Montag in München.

Er erwarte von "dem zuständigen Bundesgesundheitsminister, sich um diese Frage zu kümmern", sagte der bayerische Ministerpräsident, ohne Philipp Rösler (FDP) namentlich zu nennen. "Was mir nicht gefällt, ist diese Flucht in Beitragserhöhungen", sagte Seehofer. Beitragserhöhungen würden viele Kassenpatienten überfordern. Deshalb müssten zunächst Anstrengungen auf der Ausgabenseite unternommen werden.

Unionsfraktionsvize Johannes Singhammer mahnte stärkere Sparanstrengungen im Gesundheitswesen an. "Kostendämpfung ist ein Dauerprojekt", sagte der CSU-Politiker der "Berliner Zeitung" vom Montag. Nötig sei beispielsweise eine effizientere Steuerung des Arzneimittelmarktes, damit auch in Zukunft alle Versicherten vom medizinischen Fortschritt profitieren könnten.

"Es ist doch völlig klar, dass wir die Kosten nicht einfach laufenlassen können", betonte Singhammer. Auch von den Krankenkassen verlangte Singhammer größere Anstrengungen, die Kosten im Griff zu behalten. Er sehe mit Interesse, dass es Kassen gebe, die zunächst ohne Zusatzbeitrag auskämen. "Offenbar gibt es also Möglichkeiten, im geplanten Kostenrahmen zu bleiben", sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende.

Mascher kritisiert Lastenverschiebung

Die Wohlfahrtsverbände kritisierten die sich abzeichnenden Zusatzbeiträge als unsozial. "Damit verschieben sich die Lasten noch stärker einseitig auf die Arbeitnehmer und Rentner", sagte die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Ulrike Mascher, der "Frankfurter Rundschau". Während Arbeitgeber verschont würden, müssten Menschen mit kleinen Einkommen die Kosten tragen. "Vor allem für viele Rentnerinnen sind acht Euro ein Betrag, der wehtut", meinte Mascher.

SPD-Gesundheitsexpertin Carola Reimann bezeichnete den Zusatzbeitrag als "kleine Kopfpauschale", die unabhängig vom Einkommen erhoben werde. Sie warf Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler vor, dem Ausgabenanstieg im Gesundheitswesen tatenlos zuzuschauen. "Vom Gesundheitsminister ist kein einziger konkreter Vorschlag für eine Begrenzung der Ausgaben bekannt", erklärte Reimann. Rösler fehle "offenbar der Mut, sich gegen die Pharmaindustrie in Stellung zu bringen".

(RP/AP/DDP/ndi)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort