Schwergewicht im Online-Handel Wie Zalando in zehn Jahren nicht nur die Modebranche veränderte

Berlin · Mit schrillen Werbespots unter dem Motto „Schrei vor Glück – oder schick’s zurück“ wurde Zalando bekannt. Innerhalb von zehn Jahren hat das Unternehmen die Modebranche auf den Kopf gestellt.

Zalando schafft in Mönchengladbach 1000 neue Jobs
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Die Geschichte des Berliner Milliarden-Konzerns Zalando beginnt in einem Garten nahe Düsseldorf mit einer Diskussion über 50 Euro. Robert Gentz und David Schneider hatten erst kürzlich ein Unternehmen in Südamerika in den Sand gesetzt, am Ende hatten sie nicht mal mehr genug Geld für den Heimflug. Und nun saßen sie hier, im Garten von Gentz Eltern in Kaarst, und überlegten, ob man wirklich 50 Euro für das Buch „Der Schuhmarkt in Deutschland“ ausgeben solle.

Eine Woche waren sie durch die Düsseldorfer Innenstadt gelaufen, hatten gegrübelt und sich Schuhgeschäfte angeschaut. „Schuhe erschienen erfolgsversprechend“, hat Robert Gentz mal gesagt. Natürlich wussten die beiden, dass es in den USA mit Zappos ein Unternehmen gab, das mit dem Verkauf von Schuhen große Erfolge feierte. Und natürlich sahen sie auch, dass der Online-Handel in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckte. Aber reichte dieses Bauchgefühl, um ein Unternehmen zu gründen?

Die beiden kauften das Buch, das voll mit Statistiken war – und rückblickend fragt man sich, wie dieses Wirtschaftswunder wohl ausgegangen wäre, wenn die Diskussion damals im Garten anders ausgegangen wäre. Denn aus der fixen Idee wurde Zalando, der größte Online-Modehändler Europas, bei dem genau heute vor zehn Jahren die erste Bestellung einging: ein paar Adidas-Turnschuhe.

Kostenlose Lieferung, 100 Tage Rückgaberecht – und dann natürlich der Schrei vor Glück. Mit einer Mischung aus Service und Marketing ist Zalando innerhalb von zehn Jahren von Null auf 4,5 Milliarden Umsatz gewachsen, von zwei auf knapp 15.000 Mitarbeiter, vom Start-up zum börsennotierten Großkonzern.

Der Erfolg hat nicht nur Zalando verändert, sondern auch den Handel insgesamt. „Zalando ist das Unternehmen, das dem Online-Handel mit Mode und Schuhen in Deutschland und anderen Ländern Europas am stärksten zum Durchbruch verholfen hat – sogar stärker als Amazon“, sagt Hagen Seidel, Autor des Buches „Schrei vor Glück“, in dem er den Aufstieg des Start-ups nachzeichnet. Denn die Gründung von Zalando markierte auch eine Zeitenwende im deutschen Handel.

Reporterin filmt bei Zalando mit versteckter Kamera
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Während die Innenstädte von den großen Warenhausketten wie Karstadt und Kaufhof, Modehäusern wie Peek & Cloppenburg und H&M-Filialen geprägt wurden, dominierten Unternehmen wie Otto, Neckermann und Quelle jahrzehntelang mit ihren Katalogen das Versandgeschäft. Die Traditionsunternehmen taten sich schwer mit der Digitalisierung. Warum sollte man auch viel Geld in Online-Shops investieren, wenn das Geschäft im stationären Handel noch immer hervorragend lief? Und dann auch noch kostenlos liefern? Für viele in der Branche damals undenkbar.

Doch dann kam die Pleite der US-Bank Lehman Brothers, die eine weltweite Wirtschaftskrise auslöste, in deren Zuge auch Konzerne wie Arcandor (Karstadt, Quelle) untergingen – und Platz für neue Modelle hinterließen.

„Zalando hat die Gunst der Stunde genutzt, nachdem Zappos in den USA erfolgreich gestartet war, als Copy-Cat den Markt zu besetzen“, sagt Gerrit Heinemann, Handelsexperte und Professor an der Hochschule Niederrhein. Copy-Cat, so werden junge Unternehmen genannt, die das Geschäft eines anderen Unternehmens kopieren und einfach auf einem anderen Markt übertragen. Drei Brüder aus Berlin, Marc, Oliver und Alexander Samwer, haben es in diesem Geschäft zu einiger Bekanntheit gebracht, weil sie mit ihrer Firma Rocket Internet gute Ideen aus dem Ausland wie am Fließband für andere Märkte klonten und mit viel Geld groß machten. Auch Zalando.

50.000 Euro bekamen Robert Gentz und David Schneider vom jüngsten Samwer-Bruder Alexander als Startkapital – zusätzlich unterstützte Rocket Internet die beiden beim Programmieren der ersten Webseite. Das Zwei-Mann-Unternehmen startete seinen Online-Shop mit 100 Paar Flip-Flops, später kauften sie auch Produkte bei anderen Händlern, die sie ohne Preisaufschlag an die Kunden weiterreichten. Hauptsache, es gab genug Ware, um weiter zu testen und das Angebot zu optimieren. Im August 2008 bezogen Gentz und Schneider ihr erstes Büro in Berlin-Mitte, Torstraße 218: Altbau, drei Büroräume, ein Keller als Lager, knapp 200 Quadratmeter für rund 2000 Euro Miete im Monat. Um die Kosten zu drücken, vermieteten die beiden Bürofläche an andere Start-ups unter.

Am Anfang erledigten die beiden noch fast alle Aufgaben selbst, sogar ein Skript für den ersten Werbespot schrieben sie mit ihrem Team selbst. Gezeigt wurde er nie. Stattdessen wird der „Schrei vor Glück“ geboren. Bei einem Werbedreh wurden mehrere Varianten getestet, der später berühmt gewordene schreiende Postbote überzeugte – und war bald schon millionenfach in deutschen Wohnzimmern zu sehen.

Denn zu Zalandos Investoren zählten nicht nur die Samwers, sondern auch der Fernsehkonzern ProSiebenSat.1, dessen damaliger Chef Thomas Ebeling ein Modell forcierte, bei dem Start-ups Firmenanteile gegen Werbezeit im Fernsehen bekamen. „Wir wollten auf uns aufmerksam machen“, hat Rubin Ritter, der das Unternehmen mit Gentz und Schneider heute gemeinsam leitet, mal gesagt.

Das gelang. Der Spot wurde Kult, Zalando zu einer der bekanntesten deutschen Marken – und viele Postboten anfangs angeblich Opfer des Werbespots, weil Kundinnen bei ihrem Anblick zu schreien anfingen.

Mit dem Motto „Schrei vor Glück oder schick’s zurück“ und einem gleichzeitigen 100-Tage-Rückgaberecht etablierte das Unternehmen eine ganz neue Kultur. „Zalando hat einen starken Innovationsdruck im deutschen Handel ausgelöst“, sagt Handelsexperte Heinemann. Auch andere Händler mussten kundenfreundlicher werden.

Doch die Geister, die man rief, wurden sie bei Zalando nur schwer wieder los – denn das Modell lud geradezu zum Missbrauch ein und bekam sogar einen Namen: „Bestellparty“. Dabei orderten vorwiegend junge Frauen haufenweise Klamotten bei dem Online-Händler, probierten sie mit Freundinnen an schickten anschließend wieder alles zurück. Kostenlos natürlich.

Andere waren noch dreister. Da fanden Zalando-Mitarbeiter in dem Retouren-Paket dann beispielsweise billige Turnschuhe, obwohl teure bestellt wurden. Und wiederum andere betrogen geradezu gewerbsmäßig. 2015 wurden Fälle bekannt, in denen Kunden große Mengen an Schuhen und Kleidung auf Rechnung bestellten – und nie bezahlten.

Einer der spektakulärsten Fälle trug sich im Saarland zu, wo aus dem Raum Lebach innerhalb von zwölf Monaten 962 Bestellungen bei Zalando eingingen, von denen 627 nie beglichen wurden. Die Staatsanwaltschaft ermittelte, die Spur führte in eine Flüchtlingsunterkunft, doch die Täter waren teilweise schon wieder ausgereist – und Zalando blieb auf 120.000 Euro sitzen. Zalando hatte einfach zu vielen die Bestellung per Rechnung angeboten. Das kostete das Unternehmen Millionen.

Es ist nicht die einzige Lektion, die die jungen Gründer lernen mussten. Das schnelle Wachstum hatte auch seine Schattenseiten. Vor einigen Jahren gab es plötzlich Berichte über miese Arbeitsbedingungen im Logistikzentrum in Mönchengladbach. Zalando reagierte und besserte nach. Gleichzeitig mühte man sich in der Berliner Zentrale, die Start-up-Kultur zu erhalten, obwohl man immer mehr zum Konzern wurde – und 2014 sogar an die Börse ging.

Seitdem hat sich vieles geändert: Die Werbespots mit dem Spruch „Schrei vor Glück oder schick’s zurück“? Abgeschafft und gegen edlere Versionen mit Topmodels wie Cara Delevigne ausgetauscht. Der Online-Shop? Existiert natürlich noch, wurde aber längst um eine App für das Smartphone und andere Elemente wie den Bestellservice Zalon ergänzt, bei dem Berater dem Kunden eine Box mit fertig zusammengestellten Outfits zuschicken.

Generell hat sich das Geschäftsmodell inzwischen stark verändert. Denn aus dem Modehändler Zalando wurde eine Plattform, auf der auch andere Partner ihre Produkte anbieten können, eine Art Betriebssystem für Modehändler, die mit Zalando kooperieren. Das Unternehmen veranstaltet Messen, vertreibt inzwischen neben Schuhen und Mode auch Kosmetik und hat zuletzt in Berlin einen ersten stationären Laden eröffnet. „Das könnte ein Pilot für die Zukunft sein“, sagt Hagen Seide: „Denn in Läden aus Stein und Glas spielt immer noch der Großteil des Geschäftes.“

Die Möglichkeiten erscheinen gewaltig – denn im Grunde ist Zalando auch nach zehn Jahren noch ein Zwerg. Jährlich werden, je nach Quelle, zwischen 380 und 420 Milliarden Euro auf dem europäischen Modemarkt umgesetzt, Zalandos Anteil beträgt daran gerade aktuell nur knapp ein Prozent. Und obwohl Zalando zuletzt bekanntgeben musste, dass man die eigenen Ziele dieses Jahr wegen des warmen Wetters nicht ganz erreichen werde, bleiben Experten wie Gerrit Heinemann angesichts des Potenzials optimistisch: „Die ganze Branche erlebt gerade ein Desaster und Zalando wächst trotzdem noch um 20 Prozent. Der Hype ist noch nicht vorbei.“

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