Aktionäre bejubeln radikalen Konzernumbau Wulff sagt Besuch bei ThyssenKrupp ab

Düsseldorf (RPO). Wegen des angekündigten massiven Personalabbaus bei der ThyssenKrupp hat Bundespräsident Christian Wulff das Programm seines Staatsbesuchs in Brasilien geändert. "Angesichts der kurzfristig angekündigten, umfangreichen Umstrukturierungen im ThyssenKrupp-Konzern mit noch nicht absehbaren Auswirkungen hat sich der Bundespräsident entschieden, auf dem Rückflug von Brasilien nach Deutschland keinen Zwischenstopp beim Stahlwerk in Rio einzulegen", teilte das Bundespräsidialamt am Freitagabend in Sao Paulo mit.

Hier feiert Thyssen die Bramme aus Brasilien
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Am Samstag wollte Wulff ein Stahlwerk von ThyssenKrupp in der Nähe von Rio de Janeiro besuchen. Der Essener Konzern hatte in die Hütte mehr als fünf Milliarden Euro investiert. Dann regte sich Widerstand von Umweltschützern. Der Bundespräsident wollte nun helfen, die Schwierigkeiten zu überwinden.

Der Stahlkonzern ThyssenKrupp will sich von 35.000 Beschäftigten trennen. Die traditionsreiche Edelstahlsparte und große Teile des Autozuliefergeschäfts sollen abgespalten oder verkauft werden, wie der hochverschuldete Essener Konzern in der Nacht zum Freitag angekündigt hatte. Jeder fünfte Mitarbeiter des Konzerns wäre davon betroffen. Mit dem radikalen Schnitt will das Unternehmen seinen Schuldenberg abbauen und Spielraum für Wachstum in Schwellenländern gewinnen.

Zwei Trümpfe und ein riesiges Problem

Bei Thyssen-Krupp soll nach der Restrukturierung kein Stein mehr auf dem anderen stehen. Die Aktionäre bejubeln die Pläne: Die Aktie schießt in die Höhe. Konzernchef Hiesinger hat bei seinem Vorhaben zwei Trümpfe in der Hand — und ein riesiges Problem.

Die Traditionskonzerne Thyssen und Krupp standen in Deutschland einst für Stahlindustrie wie Volkswagen und Daimler für den Autobau. Doch der Edelstahlbereich hat sich für die inzwischen fusionierten Unternehmen dank globaler Konkurrenz längst zu einer Last entwickelt.

Die Ertragsbringer im Konzern sind die Felder, in denen der Weltmarkt bereit ist, viel Geld für deutsche Qualitätsarbeit zu zahlen: Vor allem Hochleistungstechnologie im Bereich des Anlagenbaus. Daher muss Thyssen-Krupp dringend in Forschung und Entwicklung investieren — doch die hohe Schuldenlast verhindert große Sprünge. Vor allem massive Fehlinvestitionen bei der Expansion nach Brasilien und die USA werden firmenintern dafür verantwortlich gemacht.

"Heinrich Hiesingers fast unmögliche Mission" titelte daher das "Handelsblatt", als Hiesinger Anfang des Jahres die Führung des Konzernimperiums übernahm. Nun ist bekannt, wie diese fast unmögliche Mission aussehen soll: Rund 35.000 Mitarbeiter sind betroffen, fast ein Viertel des Konzerns verkauft werden.

Mehr Technologie, weniger Stahl

Mehr Technologie, weniger Stahl lautet die Devise — und zwar deutlicher radikaler, als das vorher erwartet worden war. "Das ist eher eine Revolution als eine langsame Evolution, die wir erwartet hatten", hieß es in einem Marktkommentar von Credit Suisse. "Weitere Schritte zum Umbau des Unternehmens waren von den Analysten zwar erwartet worden, aber sicherlich nicht in dem Ausmaß", so auch ein Börsianer.

Entsprechend enthusiastisch reagierten die Anleger auf die Nachricht: Die Aktie des Konzerns schoss nach Bekanntgabe der radikalen Umstrukturierung in Frankfurt um 8,5 Prozent auf 32,36 Euro nach oben und war damit so teuer wie zuletzt Anfang September 2008. Am Ende schloss die Aktie rund acht Prozent im Plus. Damit führte Thyssen-Krupp die Liste der 30 Dax-Konzerne an.

Arbeitnehmer und mächtige Stiftung stützen den Kurs

Die traditionell starken Arbeitnehmer bei Thyssen-Krupp werden darauf achten, dass dieser radikale Schritt sozialverträglich umgesetzt wird. Die IG Metall fordert, dass die Restrukturierung ohne betriebsbedingte Kündigungen umgesetzt werden. "Wir sehen die Pläne deshalb relativ gelassen", sagte der NRW-Chef der IG Metall, Oliver Burkhard, im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Notwendigkeit des Umbaus sieht aber auch die Arbeitnehmerseite angesichts der drückenden Schuldenlast. "Thyssen-Krupp selbst ist derzeit nicht zu allen notwendigen Investitionen in der Lage", sagte Burkhard, "deshalb kann ein Eigentümerwechsel auch eine Verbesserung für die Mitarbeiter bedeuten."

Denn auch die Arbeitnehmer wissen um das Hauptproblem des Konzerns: Die internationalen Ratingagenturen halten den Traditionskonzern sogar nicht mehr für kreditwürdig und stuften die Anleihen als "Ramsch" ein. Dabei macht Thyssen-Krupp operativ sogar gute Geschäfte und profitiert von der weltweiten Konjunkturerholung nach dem Ende der Finanzkrise überdurchschnittlich.

Doch nicht nur den Segen der Arbeitnehmer benötigt Hiesinger, auch die Rückendeckung der Aktionäre. Wie bei kaum einem anderen Dax-Konzern zieht im Hintergrund eine mächtige Stiftung und Anteilseigner die Fäden im Hintergrund — die Krupp-Stiftung unter dem 97-jährigen Berthold Beitz, dem Verwalter des Erbes der Industriellenfamilie. Ganze 25,33 Prozent der Aktien besitzt die Stiftung — und ist damit mit Abstand größter Anteilseigner. Gegen den Willen von Beitz läuft daher nichts im Konzern. Mit seiner Rückendeckung wurde Hiesinger Konzernchef. Daher kann er sich der Unterstützung von Beitz bei seinen radikalen Reformplänen wohl sicher sein.

Wie geht es jetzt weiter?

Die Pläne sehen vor, dass die Sorgenkinder des Konzerns einen neuen Eigentümer finden. Der Edelstahl-Geschäftsbereich Stainless mit 5,9 Milliarden Euro Umsatz und über 11.000 Mitarbeitern soll eigenständig werden. Der Konzern ist Marktführer auf dem Gebiet — doch das Geschäft leidet: Während die Produktion wegen steigender Rohstoffpreise teurer wird, leidet der Absatz unter den weltweiten Überkapazitäten der Stahlproduzenten.

Auch von großen Teilen des Autozuliefererdgeschäfts will sich der Konzern mit seinen Hauptstandorten in Essen und Duisburg trennen — und damit einen Teil der zu hohen Schulden los zu werden.

Weitere Bereiche, von denen sich Thyssen-Krupp trennen will, sind die US-Eisengusstochter Waupaca mit einem Umsatz von knapp 900 Millionen Euro und den Zulieferbetrieb Tailored Blanks (600 Millionen Euro). Vorgesehen ist auch eine Bündelung der Fahrwerkgeschäfte der Bilstein-Gruppe und der Tochter Presta Steering, wie es in der Mitteilung weiter hieß. Für die neue Gesellschaft mit einem Jahresumsatz von 2,2 Milliarden Euro und rund 6500 Mitarbeitern solle besonders die Einbringung in eine strategische Partnerschaft geprüft werden. Schließlich sollen auch das klassische Federn- und Stabilisatorengeschäft sowie das brasilianische Geschäft von Thyssen-Krupp Automotive Systems mit einem gemeinsamen Umsatz von 700 Millionen Euro veräußert werden.

Die Zukunftsfelder des Konzerns

Das große Potential des Konzerns ist der Technologie-Bereich. So lieferte beispielsweise die Aufzugssparte sogar in der Krise stabile Ergebnisse. Vor allem die Nachfrage aus Schwellenländern, wo Wolkenkratzer in den Himmel wachsen, sorgt für steigende Umsätze. Auch die Nachfrage nach Rolltreppen ist dank immer neuer Infrastrukturprojekte wie Flughäfen in Schwellenländern ungebrochen. Aus China erhielt der Konzern kürzlich den größten Auftrag seiner Geschichte.

Auch dem Anlagenbau steht wohl noch eine gute Zukunft bevor. Die Sparte Plant Technologie baut Zementfabriken, Kokereien und Anlagen für die Bergbauindustrie — angesichts anziehender Konjunktur und hoher Rohstoffpreise ein lukratives Geschäft.

Mit Material von Reuters und dapd

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