ThyssenKrupp-Aufsichtsratschef zieht sich zurück Woran Gerhard Cromme scheiterte

Essen · Der Manager ist das prominenteste Opfer der ThyssenKrupp-Skandale. Der Rückzug aus allen Ämtern bedeutet Machtverlust. Dass Cromme den großen Berthold Beitz nicht beerben kann, dürfte ihn am meisten schmerzen.

Das ist Gerhard Cromme
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Im September wird Berthold Beitz 100 Jahre alt. Unter den Lebenden gibt es niemanden, den man mehr mit dem Namen Krupp in Verbindung bringt als den Mann, der als Testamentsvollstrecker der Ruhrgebiets-Dynastie einer der einflussreichsten deutschen Industriellen nach dem Krieg wurde, dessen Rolle beim Aufstieg von Krupp manche für noch bedeutender halten als die von Alfried Krupp selbst und der noch mit 99 als Strippenzieher im Hintergrund gilt — körperlich zwar gebrechlich, aber geistig hellwach. Ihn zu beerben, ist eine ehrenvolle Sache.

Geplatzter Traum

Gerhard Cromme war ganz nahe dran, hat es aber nicht geschafft. Die Skandale rund um ThyssenKrupp haben den Traum von der Beitz-Nachfolge in der Krupp-Stiftung platzen lassen. Das ist der schmerzhafteste Teil des Machtverlusts, den Cromme beim Rücktritt vom Aufsichtsratsvorsitz und Rückzug aus dem Stiftungs-Kuratorium erleidet. Der einstige Konzernchef ist das prominenteste Opfer der ThyssenKrupp-Skandale.

Oft ist darüber geredet und geschrieben worden, dass der Geburtstag des Patriarchen in einem halben Jahr ein glänzender Zeitpunkt wäre, den Stab an Cromme weiterzureichen. Und solange der große alte Mann seine schützende Hand über seinen Zögling hielt, konnte dem nichts passieren. Doch Beitz hat offenbar die Geduld mit seinem designierten Nachfolger verloren, weil der kein sichtbares Zeichen gesetzt hat, wie er das Desaster um Milliardenabschreibungen auf Stahlwerke in Übersee, Razzien wegen des Verdachts auf Preisabsprachen im Schienen- und im Stahlgeschäft und Luxusreisen auf Firmenkosten erklären will.

Im Dezember sagte Beitz noch kategorisch "Cromme bleibt", im Januar bei der Hauptversammlung in Bochum ließ er sich scheinbar demonstrativ mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden ablichten. Glaubt man Insidern, war der Chef-Kontrolleur da von seinem Mentor längst zum Abschuss freigegeben und die gezeigte Solidarität nur noch Fassade. Stattdessen hat sich Vorstandschef Heinrich Hiesinger zum starken Mann im Konzern aufgeschwungen, weil er frei von den Lasten der Vergangenheit ist. Cromme dagegen lebt mit dem Makel desjenigen, der offenbar nicht richtig hingeschaut und seine Aufseher-Pflichten nicht erfüllt hat.

Glänzende Karriere

Dabei hat der 70-Jährige im Ruhrgebiet lange Zeit vieles richtig gemacht. So mancher im Pott hat in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Nase gerümpft, dass ausgerechnet ein Harvard-Absolvent mit edlen Anzügen und feinem Einstecktuch in der rauen Stahl-Welt von Krupp Karriere machen wollte. Der Sohn eines Latein- und Griechisch-Lehrers war das Feindbild der Stahlkocher, die in Rheinhausen ihre Jobs verloren. Und dann war der Emporkömmling aus der niedersächsischen Provinz im Frühjahr 1997 auch noch so frech, den großen Thyssen-Konzern aus dem großen Düsseldorf schlucken zu wollen. Protagonisten von damals erinnern sich noch lebhaft daran, wie überrascht sie waren, weil der Versuch einer feindlichen Übernahme in der Gedankenwelt deutscher Wirtschafts-Vordenker damals immer noch keinen Platz hatte — obwohl Krupp vorher schon Hoesch übernommen hatte. Aber Cromme hatte die Deutsche Bank auf seiner Seite, und einen mächtigeren Verbündeten als den Bankenprimus konnte man sich kaum denken.

Jahrelang hat Cromme alle Anfeindungen ausgehalten und eine glänzende Karriere hingelegt. Er wurde Co-Vorstandschef des fusionierten ThyssenKrupp-Konzerns, später Chefkontrolleur des größten deutschen Stahlherstellers, der in den ersten Jahren des vergangenen Jahrzehnts gewaltig wuchs. Er hat die in der Rheinhausen-Ära entstandenen Risse zwischen Unternehmen und Gewerkschaften längst wieder gekittet, er zog als mächtiger Kontrolleur in die Aufsichtsräte von Siemens (Vorsitzender), Eon, Lufthansa und Axel Springer ein.

Kardinalfehler begangen

Und er war eben der Liebling von Berthold Beitz. Aber er machte offenbar den Kardinalfehler, von dem er selbst wusste, dass es den zu vermeiden galt. "Berthold Beitz schätzt starke Leute, aber auch die starken Leute müssen persönlich bescheiden sein, sie dürfen nicht überdrehen", hat Cromme mal über den Chef der Krupp-Stiftung gesagt. Überdreht hat er, weil er die Schuld für die ganze Misere im Konzern nur beim operativen Management, aber nie bei sich selbst sah. Ihm hilft auch kein Gutachten mehr, das sein Engagement bei der Aufarbeitung der Vergangenheit lobte. Solche Gutachten sind immer nur so glaubwürdig wie der, der sie als Argument für sich in Anspruch nimmt. Und Cromme hat bei den Aktionären Glaubwürdigkeit verloren, unter anderem, weil er den Bau der Stahlwerke in den USA und Lateinamerika abnickte, die für den Konzern zum Milliardengrab geworden sind. Das Scherbengericht bei der Hauptversammlung im Januar, bei der Cromme nicht mal 70 Prozent der Stimmen für seine Wiederwahl bekam, mag für Berthold Beitz das letzte Indiz gewesen sein, dass es besser sei, ohne Cromme weiterzumachen.

Aktionärsschützer haben die Kontrollarbeit des Noch-Chef-Aufsehers zuletzt in Bausch und Bogen verdammt. "Jetzt ist Raum für einen Neuanfang", sagt Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz in Düsseldorf. Und er setzt noch einen drauf: "Bei der Nachfolge für Cromme darf es keine interne Lösung geben. Das wäre nicht glaubhaft. Es muss ein profilierter Kontrolleur her, einer vom Kaliber eines Wolfgang Reitzle oder Werner Wenning." Ob das gelingt, bleibt dahingestellt. Wenning dürfte keine großen Ambitionen haben, neben dem Aufsichtsratsvorsitz bei Eon und Bayer noch einen dritten Chefkontrolleurs-Posten zu besetzen. Und ob Reitzle, erfolgreicher Vorstandschef des Industriekonzerns Linde, sich ThyssenKrupp antun würde, wird in Branchenkreisen auch bezweifelt.

Und selbst wenn Reitzle wollte — er würde es nur, wenn er Berthold Beitz als Fürsprecher hätte. Denn die wirklich wichtigen Fragen, so hat es den Anschein, werden bei einem der namhaftesten deutschen Konzerne, der im globalen Wettbewerb steht, immer noch im Schatten der Villa Hügel vorentschieden.

(RP/sap)
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