Rückstellungen Finanzchef Pötsch wird Chefaufseher bei VW

Rückstellungen · Die Krise schweißt sie zusammen: Die Eigentümerfamilien Piëch und Porsche haben Pötsch gegen das Arbeitnehmerlager durchgesetzt.

 Hans Dieter Pötsch wird auf den Chefposten des Aufsichtsrates wechseln.

Hans Dieter Pötsch wird auf den Chefposten des Aufsichtsrates wechseln.

Foto: dpa, jol htf tmk

Reagiert VW auf die Krise mit einem Neuanfang? Oder vertraut der Konzern die Rettung bewährten Kräften an? Die Eigentümerfamilien Porsche und Piëch jedenfalls setzen auf die Selbstheilungskräfte in Wolfsburg. Gegen den Widerstand der Arbeitnehmer befördern sie den bisherigen Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch (64) auf den Chefposten des Aufsichtsrates. Die Entscheidung fiel in der Nacht zu gestern nach einer mehr als siebenstündigen Sitzung des Aufsichtsratspräsidiums.

Pötsch soll den Aufsichtsratschef und IG-Metall-Funktionär Berthold Huber ablösen, der die kommissarische Kontrolle im April 2015 übernommen hatte. Damals wurde VW-Patriarch Ferdinand Piëch nach einem verlorenen Machtkampf mit dem damaligen VW-Chef Martin Winterkorn aus dem Amt gedrängt. Auch der Pötsch-Nachfolger kommt aus Wolfsburg: Frank Witter (56), bislang Chef der VW-Finanztochter, soll künftig die Konzernfinanzen verantworten. Formal muss der Aufsichtsrat noch der Bestellung von Witter zustimmen und die Aktionäre der Bestellung von Pötsch. Beides verzögert sich. Eine außerordentliche Hauptversammlung am 9. November hat das Präsidium gestern verschoben. Man will nicht mit leeren Händen dastehen. Es sei nicht realistisch, "binnen weniger Wochen zu fundierten Antworten zu kommen", heißt es.

Bei Arbeitnehmern und Investoren gab es erhebliche Bedenken gegen Pötsch: Der VW-Konzern hat mit der millionenfachen Manipulation von Abgas-Prüfungen bei Diesel-Fahrzeugen einen Skandal von gigantischem Ausmaß verusacht. Viele halten es für unwahrscheinlich, dass dies in einem straff geführten Unternehmen wie VW ohne Wissen des Vorstandes möglich sein konnte. Deshalb gilt Pötsch als Risiko-Personalie. Die Familien Porsche und Piëch, die Hauptaktionäre bei VW sind, wollen dem Vernehmen nach bei der Aufklärung des VW-Skandals aber das Prinzip der Unschuldsvermutung durchsetzen.

Auch die Beförderung von Witter zum Finanzvorstand ist bei genauem Hinsehen eine riskante Entscheidung. Witter war von 2006 bis 2007 als Generalbevollmächtigter in der Konzernleitung für die Region Nordamerika zuständig, die das Epi-Zentrum des Abgasskandals ist. VW-interne Recherchen sollen ergeben haben, dass die Entscheidung zur Manipulation der Abgas-Tests in diese Zeit zurückreicht.

Unterdessen rollt auf den Konzern eine für ihn lebensgefährliche Klagewelle zu. Aus immer neuen Regionen der Welt werden Forderungen nach Schadensersatz und Strafzahlungen laut. Ein Überblick:

Matthias Müller – Werkzeugmacher, Informatiker, VW-Chef
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Die US-Umweltbehörde EPA, die den Skandal in den USA als Erstes bekannt gab, könnte bis zu 18 Milliarden Dollar Bußgeld verhängen. Die Umweltbehörde des US-Bundesstaates Kaliforniens prüft zusätzliche Sanktionen. VW hat dem Industrieminister Spaniens zufolge zugesagt, die Abwrackprämie von 1000 Euro pro Fahrzeug, die das Land für schadstoffarme Modelle gewährte, zurückzuzahlen. Betroffen könnten 700.000 Autos in Spanien sein.

Der US-Landkreis Harris County hat VW als erste Regierungsbehörde wegen Verstoßes gegen Umweltrecht auf bis zu 25.000 Dollar pro Verstoß pro Tag verklagt. VW habe durch sein betrügerisches Handeln die Bemühungen des Landkreises zur Verbesserung der Luftqualität und zum Schutz der Bürger untergraben. Riesige Ausmaße können Sammelklagen aus dem Kreis der fast 500.000 US-Käufer der manipulierten Modelle Jetta, Beetle, Golf und Audi A3 annehmen. Bei 40 Bundesgerichten in 30 US-Bundesstaaten gingen schon Klagen ein. Klagen sind auch von VW-Aktienanlegern möglich, die sich getäuscht sehen.

Bislang hat VW für die Folgen des Skandals 6,5 Milliarden Euro zurückgestellt. Wahrscheinlich gehört die deutliche Erhöhung dieses Betrages zu Witters ersten Aufgaben.

(RP)
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