„Sehr hoher Standard“ Tui-Chef will Touristengebiete in der Türkei von Reisewarnung befreien

Interview | Hannover/Düsseldorf · Tui-Vorstandschef Fritz Joussen schließt nicht aus, dass Europas größter Tourismuskonzern weitere Staatskredite braucht. Er fordert, die türkische Riviera von der Reisewarnung auszunehmen und erklärt, wie die neuen Kreuzfahrten ohne Landgang funktionieren sollen.

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Vor dem Telefonat erzählt Fritz Joussen, 57, wohin er im Herbst reisen möchte: Einige Tage mit Familie und Freunden nach Griechenland.

Herr Joussen, seit Freitag starten wieder Kreuzfahrtschiffe von TUI nach vier Monaten Pause, jedoch ohne Landgänge. Das wirkt seltsam.

Joussen Die Nord- und Ostsee und die skandinavischen Fjorde sind doch einmalig. Im Mittelmeer oder in der Karibik wären Kreuzfahrten ohne Ausflüge sicher nicht überall vorstellbar, aber wir haben uns für den Neustart mit den Nordlandreisen ab Hamburg und Kiel ein besonderes Segment herausgepickt: Da ist der Hauptreiz, zum Beispiel von der Europa 2 aus die Einfahrt in die prächtigen Fjorde von Norwegen zu erleben oder auch Gletscher weiter nördlich zu sehen, wogegen Besuche von Dörfern oder Städten jetzt am Anfang verzichtbar sind.

Wird es voll?

Joussen Wir belegen die Schiffe nur zu maximal 60 Prozent, da ist mehr als ausreichend Platz. Die Gäste reisen entspannt und fühlen sich fast wie auf einer eigenen Yacht. Es ist ein schrittweiser Neustart, bei dem Städte, Häfen und Kreuzfahrtunternehmen verantwortungsvoll zusammenarbeiten.

Sehen Sie trotz  Corona-Krise ernsthafte Chancen für das Kreuzfahrtgeschäft, obwohl es ja mit der Zwangs-Quarantäne ganzer Schiffe sehr unangenehme Bilder gab?

Joussen Der Trend für die Kreuzfahrt ist intakt. Die Kreuzfahrtbuchungen für 2021 sind gut - sowohl im Luxussegment bei Hapag Lloyd als auch für TUI Cruises und Mein Schiff. Das zeigt, dass das Interesse für Urlaub auf dem Meer weiterhin sehr groß ist. Neben den Fahrten von Deutschland aus, arbeiten wir an der Wiederaufnahme der Kreuzfahrt in Griechenland und Malta.

Die Leute reservieren doch nur, weil sie nach den neuen Tui-Regeln jederzeit wieder stornieren dürfen.

Joussen Die Gäste wollen aber vor allem in den Urlaub und zurück aufs Schiff und auf See. Deshalb buchen sie eine Reise. Sicherlich brauchen die  Kunden in der jetzigen Zeit eine hohe Flexibilität bei ihrer Reiseplanung. Aber ich glaube auch, dass unsere hohen Sicherheitsstandards an Bord viele Gäste überzeugen: Wir haben ein Hospital und eigene Ärzte auf dem Schiff und strenge Hygieneregeln. Das Risiko ist nicht größer, als wenn ich in Deutschland ins Restaurant gehe. Und wir bieten den Kunden aller Tui-Reisen eine kostenlose Covid-19-Versicherung, die auch die Behandlung und einen individuellen Rücktransport nach Hause absichert, falls es nötig wird.

Wie sicher bin ich auf einem Schiff was eine Covid-19-Ansteckung angeht?

Joussen Entspannung und Sicherheit schließen sich nicht aus. Jeder muss ein Stück mitmachen und auch Rücksicht nehmen. Es gibt angepasste Abläufe - vieles davon kennen wir aus dem Alltag und hat sich auch in unseren Hotels bewährt. Das betrifft die Restaurants, die Bars, Unterhaltung und Fitness. Auf der Mein Schiff-Flotte habe wir zusätzlich eine neue Position geschaffen, den „Infection Control Officer“, der die Teams schult und die Umsetzung der Maßnahmen überwacht. Außerdem gibt es ein Frühwarnsystem für Covid-19. Wir können kontaktlos die Körpertemperatur von Gästen und Besatzungsmitgliedern messen und sie täglich auswerten. Damit kann die Besatzung  schon minimale Abweichungen erkennen und sofort handeln.

Wie läuft die aktuelle Saison, nachdem es bis Ende Juni fast keine Reisen gab?

Joussen Wir verkaufen in Deutschland aktuell rund 30 Prozent des Volumens der Vorjahre. Damit liegen wir im Rahmen unserer Erwartungen für die Zeit nach dem Neustart. Unsere eigenen Hotels in Zentraleuropa, also in Deutschland, Österreich, der Schweiz sind sehr gut gebucht.

Solange Covid-19 die Welt im Bann hält, wird es keine Rückkehr zur Normalität geben?

Joussen Solange die Pandemie nicht besiegt ist, werden wir anders leben, anders arbeiten und anders reisen. Aber wir haben aktuell für den Sommer 2021 bereits mehr Buchungen als für den Sommer 2020 vor einem Jahr. Das liegt auch daran, dass viele Familien ihre Reisen verschoben haben, aber es spiegelt auch die grundsätzliche Sehnsucht der Menschen zu reisen.

Was sind die Haupttrends?

Joussen  Die Menschen buchen sehr viel kurzfristiger. Sie setzen stark auf vertraute Ziele wie auf die Kanaren, Mallorca und Griechenland oder als Marke auf unseren Club Robinson. Der Robinson Club auf Mallorca war diese Woche wieder auf 70 Prozent Auslastung zurück. Und weil die Sommersaison dieses Jahr sehr spät startete, rechnen wir mit einer sehr langen Saison bis in den späten Herbst hinein. Wir werden viele Häuser in Südeuropa länger als sonst offen halten.

Gibt es Schnäppchen?

Joussen Das Angebot rund um das Mittelmeer ist aktuell natürlich deutlich größer als die Nachfrage. Urlauber können also relativ günstig buchen. Gerade für den Herbst sind viele sehr günstige Angebote da, aber auch jetzt.

Am Ballermann haben deutsche Touristen zum Ärger der Mallorquiner Party gemacht. Was halten Sie davon?

Joussen Die Mallorquiner haben absolut recht. Solche Vorfälle sind alles andere als hilfreich. Sie erwecken auch einen falschen Eindruck der Lage: Mallorca ist so ruhig wie vor 40  Jahren, was für viele Reisende einen großen Reiz hat. Der ganz überwiegende Teil hält sich ja an die Regeln, zu Hause in Deutschland wie im Urlaub. Wir haben zusätzlich für dieses Jahr aber auch alle sogenannten Partyreisen abgesagt.

Ärgert es Sie sehr, dass die Bundesregierung die Reisewarnung Richtung Türkei bis Ende August verlängert hat?

Joussen Wir plädieren für einen pragmatischen Ansatz: Weil die Touristenregionen an der türkischen Riviera am Mittelmeer einen sehr hohen Sicherheits- und Qualitätsstandard haben, sollte Deutschland für diese Ziele die Reisewarnung in einem Pilotprojekt aufheben. Das sind sehr weitläufige Urlaubsressorts an der Küste. Das ist etwas anderes als der Besuch in der Großstadt.
Mallorca als Vorbild?

Joussen Reisen nach Mallorca hat die Tourismusbranche ja auch mit einigen Tausend Urlaubern in einem Pilotprojekt gestartet, bevor es allgemein in Spanien wieder losging. Die Kunden haben großes Verständnis dafür, dass der Urlaub anders als 2019 abläuft. Auf einer Skala von 0 bis 10 wurden die Erlebnisse beim Flug und im Hotel mit 8,4 bewertet. Das ist ein guter Wert.  

Es gibt immer wieder Berichte über kurzfristige Stornierungen von Flügen und Reisen durch Tourismusunternehmen.

Joussen Uns trifft das zwar weniger, weil wir als integrierter Tourismuskonzern Flüge und Hotels aus einer Hand steuern. Wir können also mit interessanten Angeboten die Auslastung von Häusern oder Jets selbst beeinflussen. Trotzdem ist es auch bei unseren Reiseveranstaltern in den ersten Wochen zu kurzfristigen Änderungen, Umbuchungen und Absagen gekommen. Jeder Fall ist sehr ärgerlich für die Gäste, aber es ist momentan ein Neustart nach drei Monaten komplettem Stillstand.

Aber bei einer Verlängerung von Reisewarnungen beispielsweise in die Türkei oder Ägypten würde storniert?

Joussen Richtig, Reisen in Regionen mit Reisewarnungen werden grundsätzlich abgesagt. Aber solange eine Warnung nicht verlängert wird, gelten die Buchungen weiter und wir vermarkten auch diese Ziele.

Wann erhalten die Menschen endlich das Geld für stornierte Reisen im Frühjahr und Frühsommer zurück?

Joussen Mehr als 95 Prozent der Reisen aus April, Mai und Juni, die wir wegen des weltweiten Reisestopps stornieren mussten, sind zurückgezahlt. Den großen Stau wegen der riesigen Stornowelle für die Osterzeit haben unsere Reiseveranstalter nun erledigt. Es tut mir leid, dass viele Kunden nicht reisen konnten und auch sehr lange warten mussten, aber jetzt dauert es im Schnitt noch zwei bis drei Wochen, bis eine abgesagte Reise ausbezahlt wird. Dabei nehmen viele Kunden Gutscheine statt Bargeld an, weil sie dann 10 bis 20 Prozent Bonus beim Buchen der neuen Reise erhalten. Bei Kreuzfahrten entscheiden sich übrigens rund 50 Prozent der Gäste für einen Gutschein. Das zeigt unsere Kreuzfahrt-Marken haben eine sehr loyale Kundenbasis.

Werden Sie zusätzlich zum Kredit von 1,8 Milliarde Euro weitere Hilfe des Staates brauchen?

Joussen Nach dem Neustart ist unser Ziel jetzt vor allem wieder Geschäft und Umsatz mit Kunden. Es gehört zur guten Unternehmensführung, alle Szenarien zu durchdenken. Ob wir zusätzliche Kredite in Anspruch nehmen können oder müssen, hängt von der Entwicklung der Märkte ab.

Das bedeutet?

Joussen  2021 hoffen wir wieder profitabel zu werden. Dieses Jahr fokussieren wir uns absolut auf das Management unserer Liquidität. Dazu gehört weiter absolute Kostendisziplin, wir wollen dauerhaft 30 Prozent der sogenannten Overhead Kosten einsparen. Und der digitale Umbau wird beschleunigt. Gerade die Abläufe und Services in den Zielgebieten wollen wir weiter automatisieren. Immer öfter buchen die Kunden zum Beispiel ihre Ausflüge oder Extras über die App auf unserem globalen digitalen Marktplatz für Aktivitäten.

Urlaub in Europa trotz Corona - wo noch Reisewarnungen gültig sind

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