Der halbe Vorstand muss gehen ThyssenKrupp vor dem Neubeginn

Essen · Konzernchef Heinrich Hiesinger hat das Geschäft bereits umgebaut. Jetzt revolutioniert er die Unternehmenskultur. Die Vorstände Olaf Berlien (50), Edwin Eichler (54) und Jürgen Claassen (54) müssen nach einer Serie von Skandalen und Fehlinvestitionen gehen.

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Die radikalen Personalentscheidungen bei ThyssenKrupp beschäftigen auch die Landesregierung in NRW. Nachdem Deutschlands größter Stahlkonzern gestern überraschend die Trennung von den Konzernvorständen Olaf Berlien (Technologies) Edwin Eichler (Stahl) und Jürgen Claassen (Compliance) zum Jahresende bekannt gab, begrüßte NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) den Schritt: "Ein solches Unternehmen braucht Vertrauen." Durch die Entscheidung werde der Kurs des Vorstandschefs Heinrich Hiesinger gestärkt. "Mittelfristig ergibt sich so die Chance, wieder mit guten Produkten und erfolgreichen Geschäften Aufmerksamkeit zu erregen", sagte Duin.

Eine Chance, die die knapp 70.000 deutschen Mitarbeiter des Dax-Riesen (weltweit: 180.000) auch brauchen. Nach einer Serie von Skandalen um staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen einen Konzernvorstand, hohen Kartellstrafen, Schadensersatzforderungen von Kartellopfern in Millionenhöhe und milliardenschweren Fehlinvestitionen in Übersee steht der Konzern am Abgrund.

Enttäuschende Bilanz erwartet

Ohnehin schon mit rund sechs Milliarden Euro verschuldet, wird ThyssenKrupp am kommenden Dienstag wohl auch noch eine enttäuschende Bilanz vorlegen: Allein die beiden neuen Stahlwerke in Übersee, die statt der geplanten vier Milliarden am Ende zwölf Milliarden Euro gekostet haben, machten seit Jahresanfang 778 Millionen Euro Verlust. Die Stahlkonjunktur bricht weltweit ein, die Rating-Agenturen halten ThyssenKrupp für kein seriöses Investment mehr und die Börse bewertet den Konzern nur noch mit gut acht Milliaden Euro. Vor etwas mehr als einem halben Jahr war ThyssenKrupp noch doppelt so viel wert.

Trotzdem stößt Konzernchef Heinrich Hiesinger, der das Ruder Anfang 2011 übernommen hat, überall auf Zustimmung: Bei Betriebsräten, Gewerkschaften, Analysten und im Aufsichtsrat ist keine einzige kritische Stimme zu hören. Für den Chef eines Konzerns in solch einer Lage ist das außergewöhnlich. Der Grund ist die ebenso außergewöhnliche Konsequenz, mit der Hiesinger den Konzern neu erfindet.

Im Mai 2011 kündigte er — noch keine 100 Tage im Amt — bereits den größten Umbau in der Konzerngeschichte an. Die neue Richtung lautet: Weniger Stahl, mehr Technologie. Nur 18 Monate später ist der Verkauf von Geschäften mit 35.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von zehn Milliarden Euro fast abgeschlossen. Mit ausdrücklicher Unterstützung der ThyssenKrupp-Belegschaft, obwohl gerade deren Kampfbereitschaft traditionell sehr ausgeprägt ist.

Seit Mittwoch ist klar: Dem operativen Umbau soll jetzt eine neue Unternehmenskultur folgen. Mit der Trennung von gleich der Hälfte des Konzernvorstandes hat Hiesinger ein deutliches Signal dafür gesetzt. Viele Beobachter fragen jetzt, ob auch Chefkontrolleur Gerhard Cromme Konsequenzen zieht. Immerhin ist er seit 2001 Aufsichtsratschef von ThyssenKrupp.

(RP/rm)
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