Hauptversammlung in Bochum Tag der Abrechnung bei Thyssenkrupp

Bochum · Auf der Hauptversammlung bricht sich der Ärger der Thyssenkrupp-Aktionäre Bahn. Sie fordern mehr Informationen über die Strategie. Vergeblich.

 Martina Merz, Vorstandsvorsitzende von Thyssenkrupp, am Freitag bei der Hauptversammlung im Bochumer Ruhrcongress auf dem Podium.

Martina Merz, Vorstandsvorsitzende von Thyssenkrupp, am Freitag bei der Hauptversammlung im Bochumer Ruhrcongress auf dem Podium.

Foto: imago images

Die Krise bei Thyssenkrupp ist schon bei der Anfahrt zur Hauptversammlung spürbar. Vor dem Parkhaus am Ruhrcongress Bochum stauen sich die Autos an diesem Freitagmorgen. Eine Servicekraft in gelber Warnweste geht zwischen den wartenden Fahrzeugen auf und ab. Freundlich weist er die Insassen darauf hin, dass bei der Einfahrt eine Parkgebühr fällig wird, der Betrag sei sofort zu begleichen. Das war in den Vorjahren anders. Auch das ÖPNV-Ticket für die Aktionäre wurde ersatzlos gestrichen.

Das Spardiktat, dem Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz den gesamten Konzern unterworfen hat, macht eben auch vor den Anteilseignern nicht halt. An eine Dividende ist in diesem Jahr ebenfalls nicht zu denken. Auch das drückt auf die ohnehin schon schlechte Stimmung bei der Hauptversammlung. Die Aktionäre verlangen an diesem Freitag konkrete Antworten darauf, wie Merz in den wenigen, ihr noch verbliebenen Monaten den überschuldete Konzern aus der Krise manövrieren will. Pensionslasten und Verbindlichkeiten summieren sich inzwischen auf schwindelerregende 13 Milliarden Euro. Der Konzern steht finanziell mit dem Rücken zur Wand.

Doch die Aktionäre werden enttäuscht. Details zu dem angekündigten Befreiungsschlag durch den Verkauf der Aufzugsparte bleibt Merz schuldig. Die Thyssenkrupp-Chefin will erst Ende Februar erklären, ob die Ertragsperle per Börsengang, Teil- oder Komplettverkauf versilbert werden soll. Nur so viel erklärt die Vorstandsvorsitzende: Die Investoren hätten den Unternehmenswert von mehr als 15 Milliarden Euro durch ihre Gebote bestätigt. Bedenken, das eingenommene Geld könne als Sonderdividende ausgeschüttet werden, erteilt sie eine Absage: Es herrsche Einigkeit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, dass Einnahmen aus dem Elevator-Deal in die Bilanz gesteckt würden. „Wir sind davon überzeugt: Das ist die beste Vermittlung der Mittel“, sagt die Thyssenkrupp-Chefin.

Alles hänge an den Einnahmen des Aufzug-Deals, ist die Botschaft. Und so bleibt Merz auch für die Zukunft der dann verbleibenden Geschäftsteile Details schuldig. Derzeit werde für alle Bereiche untersucht, wie diese an die Wettbewerber herangeführt werden könnten – durch Investitionen, Qualifikation der Mitarbeiter, Zukäufe, Restrukturierungen oder Kapazitätsanpassungen. Bis Mai soll dieser Analyse-Prozess abgeschlossen sein. „Dann können wir Entscheidungen treffen, wie es mit den Geschäften weitergeht.“ Sprich: Dann soll über eine Weiterführung, Partnerschaften oder Verkauf entschieden werden.

Viel Raum also für Kritik: „Wir liegen auf der Intensivstation“, sagt Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). „Und jetzt soll uns mit Elevator das letzte funktionierende Organ entrissen werden. Wir erkaufen uns damit vielleicht drei Jahre.“ Tüngler hatte schon im Vorfeld angekündigt, die DSW werde den Aufsichtsrat nicht entlasten.

Die Deka, die Fondsgesellschaft der Sparkassen, geht noch einen Schritt weiter. Deren Vertreter, Ingo Speich, erklärt, auch den Vorstand nicht entlasten zu wollen: „Der Vorstand hat die desaströse Lage unmittelbar herbeigeführt. Die Finanzkennzahlen sprechen für sich.“

Henrik Pontzen von der Union Investment vergleicht Thyssenkrupp mit einer Baugrube, die unter Wasser stehe und Jahr für Jahr Geld verschlinge. Zudem sei unklar, welches Gebäude in dieser Grube errichtet werden solle. 

Auch Thyssenkrupp-Chefin Merz bemüht mit einem Blick auf die ernüchternde Wirkung der wirtschaftlichen Entwicklung ein Bild: „Thyssenkrupp ist vergleichbar mit einem großen Schiff, das in zu flache Wasser geraten ist.“ Über die Jahre habe es verschiedene, vergebliche Versuche gegeben, das Schiff zu wenden. Weil zudem seit einiger Zeit die Konjunktur gegen Thyssenkrupp laufe, werde das Wasser unterm Kiel immer flacher.

Es ist vor allem das Stahlgeschäft, das unter der Rezession leidet. Während Aktionärsvertreter Speich das Geschäft mit dem Werkstoff in seiner heutigen Form als „Schatten seiner selbst“ bezeichnet, macht Merz der Sparte fast eine Liebeserklärung: „Unser Stahl steckt in Autos, in Waschmaschinen und in Windkraftanlagen.“ Stahl sei für die Industrie fast genauso wichtig wie Strom. Merz bekräftigte, dass der Werkstoff „grün“ – also klimafreundlich – produziert werden müsse. Zugleich unterstreicht sie die Notwendigkeit von Einschnitten: Kostensenkungen, Arbeitsplatzabbau und eine Anpassung des Portfolios auf „margenstarke Produkte“.

Nach Angaben von Personalvorstand Oliver Burkhard ist man beim geplanten Abbau von konzernweit 6000 Stellen nach neun Monaten bereits weit vorangeschritten: 2300 Jobs seien bereits gestrichen, erklärte der Manager. Bei der Bilanzpressekonferenz hatte er noch angedeutet, dass es mit den 6000 Stellen nicht getan sei. Das scheint jedoch vom Tisch zu sein. Er sehe derzeit keine Notwendigkeit, über die bereits genannten Stellen hinauszugehen, sagt Burkhard.

Mehrere Aktionäre drängen Merz dazu, sich zu ihrer Zukunft zu äußern. Als Union-Investment-Vertreter Pontzen die Frage stellt, warum die Chefin den Vorstandsvorsitz nicht gleich längerfristig anstreben wolle, um ihre Strategie selbst umsetzen zu können, brandet im Saal Applaus auf. Auch Tüngler fordert Merz auf, über ihre Amtszeit hinaus den Posten beizubehalten.

Der Zorn der Aktionäre trifft in erster Linie den Aufsichtsrat. Kleinaktionär Bernd Günther greift vor allem Bernhard Pellens, der das Gremium zwischenzeitlich führte, und die Chefin der Krupp-Stiftung, Ursula Gather, frontal an. „Wir feiern, dass Sie heute weg sind“, sagt er zum scheidenden Pellens und nennt Ursula Gather „ein Übel des Konzerns“ und „eine Katstrophenfrau“. Aller Kritik zum Trotz werden Aufsichtsrat und Vorstand am Ende entlastet.

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