Thyssenkrupp stoppt Umbau und Stahl-Deal Der Absturz einer Industrie-Ikone

Essen · Thyssenkrupp war mal eine Macht. Skandale und Intrigen ließen den Konzern jedoch abstürzen. Nun greift die Chefkontrolleurin durch. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Zukunft des Stahlriesen.

 Zentrale der Firma Thyssenkrupp in Essen (Symbolfoto).

Zentrale der Firma Thyssenkrupp in Essen (Symbolfoto).

Foto: AP/Martin Meissner

Am 4. Februar trat Martina Merz ihr schweres Amt an: Die ehemalige Bosch-Managerin war nach Essen gerufen worden, wo sich der einstige Stolz der deutschen Wirtschaft ziemlich zugrunde gerichtet hatte. Thyssenkrupp hatte Milliarden in Stahlwerken in Brasilien und Amerika versenkt, Hunderte Millionen an Kartellstrafen gezahlt. Binnen kurzer Zeit hatten die Chefs von Vorstand und Aufsichtsrat das Handtuch geworfen. Bei der Suche nach dem neuen Chefkontrolleur war Merz die fünfte Wahl, vier Männer vor ihr hatten abgesagt. Doch sie ging die Aufgabe beherzt an, sprach mit vielen Managern, ließ sich Bücher und Pläne zeigen – und soll entsetzt gewesen sein, heißt es. Da passte nichts zusammen, die Unternehmensteile waren viel zu hoch bewertet, die Geschäfte liefen schlecht. die EU-Kommission wollte das geplante Stahl-Joint-Venture mit der indischen Tata ablehnen. Merz besprach sich, stellte beherzt alles auf null. Am Freitag musste Vorstandschef Guido Kerkhoff seine ambitionierten Pläne abräumen. Und zwar alle.

Folgen für Thyssenkrupp

Kerkhoff legte das seit Jahren verfolgte Stahl-Joint-Venture ebenso auf Eis wie die teure Aufspaltung des Konzerns in die Unternehmen „Materials“ und „Industrials“. Denn Thyssenkrupp, seit Jahren schwach kapitalisiert, braucht Geld. Die Pensionsverpflichtungen für die Stahlmitarbeiter, die man eigentlich in das Joint Venture mit Tata auslagern wollte, drücken milliardenschwer auf die Bilanz. Daher will Thyssenkrupp nun die Aufzugssparte an die Börse bringen, die Perle des Konzerns. Sie wird mit rund 13 Milliarden Euro bewertet und ist mehr wert als der gesamte Konzern mit sieben Milliarden Euro.

Folgen für Arbeitnehmer

Die Belegschaft wird teuer für den Umbau bezahlen. Thyssenkrupp kündigte an, 6000 der 160.000 Stellen zu streichen. Zwei Drittel des Abbaus entfallen auf Deutschland. Allein im europäischen Stahlgeschäft werden 2000 Jobs gekappt. Vor allem an den Standorten Duisburg-Hüttenheim, Bochum und in der Essener Konzernzentrale dürfte nun das Bangen losgehen. Personalvorstand Oliver Burkhard schloss betriebsbedingte Kündigungen nicht aus. Die Gewerkschaft pocht darauf, dass der im Zuge des Tata-Deals zugesagte Kündigungsschutz bis 2026 erhalten bleibt.

Folgen für Aktionäre

Schon Freitagfrüh sickerten erste Informationen durch. Da telefonierte Kerkhoff gerade mit EU-Wettbwerbskommissarin Margrethe Vestager, die für das Stahl-Joint-Venture schärfere Auflagen machen, als Thyssenkrupp und Tata akzeptieren wollten. Kaum hatten die ersten Gerüchte die Börse erreicht, schnellte die Aktie hoch – in der Spitze um 28 Prozent. Das Papier, das mal 40 Euro wert war, war in den vergangenen Jahren auf elf Euro gefallen. Die Anleger begeistert der Plan, die Aufzugssparte zu versilbern.

Folgen für Großaktionäre

Seit Jahren blockiert ein zerstrittener Aufsichtsrat Thyssenkrupp. Der schwedische Investor Cevian, der 18 Prozent der Anteile hält, fordert seit Langem einen Verkauf der Aufzugsparte und reagierte entsprechend begeistert. Es dürfe keine historischen oder politischen Tabus mehr geben, wenn Thyssenkrupp „die langjährige Underperformance“ ernsthaft angehen und die Geschäfte zurück auf Wachstumskurs bringen wolle, sagte Lars Förberg, Gründungspartner von Cevian Capital.

Lange hatte sich die Krupp-Stiftung, die 21 Prozent der Anteile hält, gegen eine Aufspaltung gestellt. Ihre Satzung verlangt, die Einheit des Unternehmens zu wahren. In der Schlacht um Strategien und Posten im Sommer 2018 änderte Stiftungschefin Ursula Gather den Kurs und öffnete sich für eine Aufspaltung. Die Vollbremsung nun habe die neue mächtige Frau im Konzern mit Gather abgestimmt. Doch die Feder führte Merz, heißt es. Offiziell erklärte die Stiftung: „Die Krupp-Stiftung hat den Vorstand bei der Umsetzung des Joint Ventures mit Tata und der geplanten Aufspaltung unterstützt.“ Doch nun befinde sich das Unternehmen „in einer herausfordernden Situation“, in der alle gefordert seien. „Die Stiftung möchte, dass das Unternehmen in allen Geschäftsfeldern wettbewerbsfähig aufgestellt ist, mit zukunftssicheren Arbeitsplätzen und einer nachhaltigen Dividendenfähigkeit. Vor diesem Hintergrund werden wir die neuen Vorschläge bewerten.“ Zugleich versicherte die Stiftung, Großaktionärin bleiben zu wollen – man stehe weiter an der Seite des Unternehmens und seiner Mitarbeiter.

Folgen für NRW

Von den 160.000 Arbeitsplätzen, die Thyssenkrupp weltweit hat, entfallen 40.000 auf NRW. Neben Duisburg und Bochum dürfte vor allem die Zentrale in Essen betroffen sei, bei der schon ein Sparprogramm läuft. Die Verwaltungskosten sollen in den nächsten zwei Jahren nahezu halbiert werdenen. „Als Oberbürgermeister bin ich nun in großer Sorge um den Stahlstandort Duisburg und die hiesigen Arbeitsplätze. Betriebsbedingte Kündigungen darf es weiterhin nicht geben“, sagte Sören Link, Oberbürgermeister von Duisburg. „Drei Jahre der Verunsicherung seit der Diskussion um das Joint Venture mit Tata Steel Europe sind mehr als genug.“ Essens Oberbürger Thomas Kufen lobte die Entscheidung: „Thyssenkrupp bleibt der Stadt Essen als ganzes Unternehmen erhalten. Der Konzern wird sich künftig stärker am Traditionskern orientieren.“

Ministerpräsident Armin Laschet, der im Kuratorium der Krupp-Stiftung sitzt, wollte sich nicht äußern. Sein Wirtschaftsminister reagierte verschnupft: „Das überraschende Aus für die Stahlfusion nimmt Thyssenkrupp die Möglichkeit, zusätzliche Synergien zu heben“, sagte Andreas Pinkwart (FDP). Mit der Auslagerung des Aufzuggeschäfts rücke Thyssenkrupp vom Ziel ab, sich zum Technologiekonzern zu wandeln. Das werde den Spardruck beim Stahl deutlich erhöhen. Pinkwart mahnte: „Die Landesregierung wird in den kommenden Monaten besonders darauf achten, dass die Interessen der Mitarbeiter und der Standorte in NRW gewahrt werden.“

Folgen für den Industriestandort

Der Konzern, 1999 entstanden aus der Fusion der Rivalen Thyssen und Krupp, war einmal ein Schwergewicht an der Ruhr und im Dax. Berthold Beitz, der Krupp-Patrirach, wachte von der Villa Hügel aus über den Konzern. Doch strategische Fehler, Kartelle, Seilschaften und eine Hinterzimmer-Kultur stürzten den Konzern in die Krise. Für EU-Kommissarin Vestager ist die Krise aber dennoch kein Grund, nun ein Stahl-Oligopol zuzulassen. Daher wollte sie den Tata-Deal nur mit hohen Auflagen genehmigen – und gab so den Umbauplänen den Todesstoß.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hatte Thyssenkrupp in seiner umstrittenen Industriestrategie als „nationalen Champion“ angeführt, der notfalls mit staatlicher Hilfe vor einer Übernahme geschützt werden müsse. Doch zum Scheitern der Stahlfusion wollte sich Altmaier nicht äußern, auch nicht zum Stellenabbau. Der sei Aufgabe der Tarifpartner, so die Sprecherin.

Folgen für den Vorstand

Guido Kerkhoff hat sich in den vergangenen zwei Jahren als glücklos erwiesen: Als Finanzchef stand er für den Tata-Deal, als Vorstandschef machte er sich den lange ausgebrüteten Teilungsplan zu eigen. Nun muss er die 180-Grad-Wende erklären. Er verstehe das Erstaunen, aber „grundlegende Parameter“ hätten sich geändert. Und: „Es geht hier nicht um uns.“ In Aufsichtsratskreisen heißt es nun, man wolle die Unruhe im Konzern nicht mit einem erneuten Führungswechsel vergrößern. Aber nun müsse der 51-Jährige endlich liefern. Entscheidend sei, was er mit dem Geld aus dem Börsengang mache, Löcher stopfen reiche nicht. „Das ist Kerkhoffs letzter Schuss.“

(anh/mar/maxi/rky/th)
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