Demo in Düsseldorf Stahlkocher demonstrieren für ihre Zukunft

Düsseldorf · 3000 Mitarbeiter von Thyssenkrupp Steel haben am Freitag auf den Rheinwiesen demonstriert. Sie wollen, dass der Staat in den Stahl investiert. Es geht um mehr als 27.000 Arbeitsplätze.

 Die Stahlkocher demonstrierten am Freitag für eine Staatsbeteiligung an Thyssenkrupp Steel.

Die Stahlkocher demonstrierten am Freitag für eine Staatsbeteiligung an Thyssenkrupp Steel.

Foto: Anne Orthen (orth)/Anne Orthen (ort)

Für Roland Schwarzbach (62) steht nicht mehr alles auf dem Spiel, weil er bereits in Altersteilzeit ist. Aber er bangt mit seinen ehemaligen Kollegen um deren Existenz. Aus Solidarität steht er mit ihnen bei der Thyssenkrupp-Demo auf den Rheinwiesen. Es ist Freitagmorgen und windig, Schwarzbach friert, pfeift, jubelt. Er ist einer von 3000 Demonstranten, die für 27.000 Arbeitsplätze bei Thyssenkrupp Steel kämpfen. Dafür, dass Stahl in Nordrhein-Westfalen eine Zukunft hat.

16 Jahre als Betriebsratvorsitzender im Grobblech-Walzwerk in Duisburg-Hüttenheim sind nicht spurlos an Schwarzbach vorbeigegangen. Bei dem Gedanken, was den Mitarbeitern jetzt droht, bildet sich eine Falte auf seiner Stirn. Vor zwei Jahren, als Grobblech Personal abgebaut hat, ist er in Altersteilzeit gegangen. Bis dahin war er Qualitätsmanager, hat mehr als 40 Jahre in Hüttenheim gearbeitet. Nun soll Grobblech schließen. 1000 Mitarbeiter verlieren ihren Arbeitsplatz. „Da hängen Familien dran, Existenzen“, sagt Schwarzbach. „Wir haben viele junge Mitarbeiter, aber auch langjährige Stahlkocher, die alles für dieses Unternehmen getan haben.“ Er macht eine Pause, schaut sich um. Viele seiner ehemaligen Kollegen sind still, wirken betroffen. Schwarzbach spricht das Offensichtliche aus: „Ihnen geht jetzt der Arsch auf Grundeis“.

Doch das ist nicht der einzige Grund dafür, dass 3000 Menschen auf die Rheinwiesen gekommen sind und mit Corona-Abstand und Masken in Gruppen auf abgesteckten Feldern stehen, Sänger Heiko Fenger lauschen, der die deutsche Version von „Bella Ciao“ singt, und auf die Rede von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) warten. Es gibt potenzielle Investoren für das Unternehmen.Denkbar, dass sie Produktion ins Ausland verlagern. 27.000 Jobs hängen daran. 3000 von ihnen sind mit 128 Bussen gekommen und fordern, dass sich der Staat an Thyssenkrupp Steel beteiligt, dass er in die umweltfreundliche Herstellung von Stahl investiert.

Unter ihnen ist auch Marius Tauch (24) vom Stahlwerk in Duisburg-Bruckhausen. Er hat zwei Kapuzen über den Kopf gezogen, die Hände in die Jackentaschen gesteckt. Ein junger Mann, seit acht Jahren Elektroniker für Automatisierungstechnik. Tauch macht sich keine Sorgen darüber, dass er arbeitslos werden könnte, ist sich sicher, dass er schnell einen neuen Job finden würde. Enttäuschend findet er allerdings, dass Laschet und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) eine Staatsbeteilgung an Thyssenkrupp Steel vergangene Woche erst einmal konsequent ausgeschlossen haben.

Gesamtbetriebsratsvorsitzender Tekin Nasikkol, der gerade in orangefarbener Warnwesten-Montur eine Rede hält, spricht das aus, was er und seine Kollegen denken mögen. „Wir haben Thyssenkrupp Milliarden gebracht, obwohl wir Stahlarbeiter immer so schlecht behandelt wurden“, ruft Nasikkol. Damit meint er: Schlechte Bezahlung, schlechte Arbeitsbedingungen, körperliche Belastung, Personalabbau. Die Demonstranten jubeln, pfeifen, „Jo, genauso ist es!“, ruft einer. Alle warten auf Armin Laschets Statement, fragen sich, was der Ministerpräsident ihnen sagen wird. Er soll nach Nasikoll reden.

Michael Cors (58), stellvertretender Betriebsratsvorsitzender, und Olaf Winkler (56), Kranführer, aus Bochum haben wenig Hoffnung. Während der Coronakrise sind die Aufträge für das Stahlwerk in Bochum zurückgegangen, die Maschinen sind veraltet. „Das Produkt ist inzwischen moderner, als die Maschinen, die es herstellen“, kritisiert Cors. „Das kann einfach nicht sein.“ Der Staat müsse jetzt investieren, ansonsten könne die Stahlindustrie in Deutschland einpacken. „Dann würden so Länder wie Indien oder die USA den Stahl herstellen, die sich gar nicht an Umweltauflagen halten“, betont Winkler.

Ministerpräsident Laschet überrascht die Bochumer. Thyssen gehöre zur DNA Nordrhein-Westfalens, sagt er und: „Die Stahlindustrie sollte in unserem Land erhalten werden“, woraufhin ein junger Mann ruft: „Dann tu’ doch was!“ In der vergangenen Woche habe Laschet mit Altmaier Thyssenkrupp besucht und realisiert, dass das Unternehmen nicht ohne die Mithilfe des Staates in grünen Stahl investieren könne. Er plädiere nun dafür, dass NRW sich zur Stahlindustrie bekenne. Jubel. „Wir werden das alles noch genau besprechen“, verspricht Laschet. „So, wie wir es immer getan haben.“ Applaus.

Cors und Winkler sind positiv überrascht. Damit haben sie nicht gerechnet. Euphorisch werden sie trotzdem nicht. „Warten wir erst einmal ab, ob auf Worte auch Taten folgen“, meint Cors nüchtern. Mit Winkler geht er langsam zum Bus zurück. Es geht zurück ins Stahlwerk. Die Arbeit wartet.

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