Interview mit ThyssenKrupp-Chef Heinrich Hiesinger "Ökostrom-Politik gefährdet den Stahl-Standort"

Düsseldorf · Milliardenverluste und eine erst zum Teil aufgeklärte Serie von Skandalen – damit hat ThyssenKrupp in der jüngsten Vergangenheit immer wieder Schlagzeilen gemacht. Im Interview mit unserer Redaktion spricht ThyssenKrupp-Chef Heinrich Hiesinger über die Probleme des Konzerns und Zukunftsperspektiven.

 ThyssenKrupp-Chef Heinrich Hiesinger stellte sich den Fragen von Michael Bröcker, Antje Höning und Reinhard Kowalewsky.

ThyssenKrupp-Chef Heinrich Hiesinger stellte sich den Fragen von Michael Bröcker, Antje Höning und Reinhard Kowalewsky.

Foto: Hans-Juergen Bauer

Milliardenverluste und eine erst zum Teil aufgeklärte Serie von Skandalen — damit hat ThyssenKrupp in der jüngsten Vergangenheit immer wieder Schlagzeilen gemacht. Im Interview mit unserer Redaktion spricht ThyssenKrupp-Chef Heinrich Hiesinger über die Probleme des Konzerns und Zukunftsperspektiven.

Gerade läuft es mit ThyssenKrupp etwas besser. Da bringen Sie die Belegschaft mit Personalabbau und Jobverlagerungen gegen sich auf. Warum?

Hiesinger Tatsache ist: ThyssenKrupp schreibt nach wie vor Verluste. Auch wenn wir operativ gut vorankommen, hatten wir die letzten zwei Geschäftsjahre und auch im ersten Quartal ein negatives Ergebnis, und zwar auch dann, wenn wir die Stahlwerke in Amerika herausrechnen. Wir haben im Vergleich zu Wettbewerbern zu hohe Kosten, vor allem auch in den Verwaltungsfunktionen. Deshalb haben wir im Mai letzten Jahres angekündigt, dort weltweit 3000 bis 3300 Stellen abzubauen. Begonnen haben wir in der Konzernzentrale. Die Mitbestimmung begleitet diesen Veränderungsprozess kritisch, aber konstruktiv. Beide Seiten gehen davon aus, dass betriebsbedingte Kündigungen nicht stattfinden. Das hat in der Zentrale auch gut funktioniert. Jetzt schauen wir uns, wie damals angekündigt, die internen Dienstleistungen an, um zu sehen, was wir in weltweit aufgestellten "Global Shared Services" bündeln können. Das ist heute Industriestandard. Andere Unternehmen sind uns bei diesem Thema weit voraus.

Wie viele Stellen fallen denn nun weg?

Hiesinger Konkret geht es darum, zurzeit dezentrale Prozesse, die grundsätzlich standortunabhängig sind, organisatorisch zusammenzufassen. Das ist ein langfristig angelegtes Projekt über mehr als 5 Jahre. Da wir derzeit noch keine Einigung mit der Mitbestimmung haben, wäre es nicht seriös, jetzt öffentlich Zahlen zu nennen. Dass es bei so einem Prozess auch mal unterschiedliche Auffassungen und Proteste gibt, das ist auch völlig normal.

Wo werden die Servicegesellschaften entstehen, auf den Philippinen wie bei Henkel?

Hiesinger Ohne kostengünstige Standorte im Ausland wird es nicht gehen. Wir sind weltweit tätig. Zwei Drittel unserer Mitarbeiter arbeiten im Ausland. Einfache Abrechnungen können überall auf der Welt erledigt werden. Die Analyse, in welchen Ländern welche Bündelungen Sinn ergeben, läuft noch. Wir streben aber an, für höherwertige Tätigkeiten eine Shared Service Gesellschaft in Deutschland zu erhalten.

An Ihrem grundlegenden Problem ändert das nichts: ThyssenKrupp hat so wenig Eigenkapital wie kein anderer Dax-Konzern. Sie müssen etwas verkaufen, zum Beispiel den Stahlbereich, um wieder Spielraum zu gewinnen.

Hiesinger Hier werden mehrere Sachverhalte vermischt. Wir haben rund acht Milliarden Euro Liquidität, die Finanzierung unseres Wachstums ist daher kein Problem. Wir investieren seit drei Jahren mehr in Forschung und Entwicklung und auch in neue Werke rund um den Globus. Im zurückliegenden Jahr haben wir zum ersten Mal seit sechs Jahren wieder einen positiven freien Mittelzufluss erwirtschaftet: 600 Millionen Euro. Damit waren wir in der Lage, unsere Netto-Finanzschulden zu verringern und aus eigener Kraft in die Zukunft des Unternehmens zu investieren. In der Tat haben wir aktuell aber zu wenig Eigenkapital, um große Risiken abzupuffern. Eine erste Verbesserung haben wir mit unserer Kapitalerhöhung im Dezember erreicht. Das Eigenkapital stärken wir dauerhaft aber nur mit guten operativen Ergebnissen. Und da sind wir auf einem guten Weg.

Wird ThyssenKrupp in zehn Jahren noch eine Stahlsparte haben?

Hiesinger Wir bauen ThyssenKrupp zu einem diversifizierten Industriekonzern um. Schon heute sind 70 Prozent unserer Geschäfte Industriegüter und Dienstleistungen, wie Aufzüge, Anlagenbau und Komponenten für die Automobilindustrie. Damit sind wir deutlich weniger abhängig von den Konjunkturzyklen der Stahlindustrie. Dennoch: Unser Stahlbereich ist ein wichtiger Bestandteil des Konzerns. Wir kämpfen tagtäglich darum, dass das so bleiben kann. Dabei konzentrieren wir uns auf die Dinge, die wir selbst beeinflussen können. Wir sind einer der wenigen Stahlhersteller in Europa, der schwarze Zahlen schreibt. Um diese starke Position in einem schwierigen Wettbewerbsumfeld zu verbessern, setzt unsere Stahlsparte seit dem vergangenen Jahr ein anspruchsvolles Optimierungsprogramm um. Ziel ist es, bis zum Geschäftsjahr 2014/2015 rund 500 Millionen Euro einzusparen. Hier kommen wir gut voran — auch durch die Flexibilisierung von Arbeitszeiten, die wir gemeinsam mit der Mitbestimmung vereinbart haben. Klar ist aber auch: Die Politik muss der Stahlindustrie verlässliche Rahmenbedingungen geben.

Ein möglicher Verkauf der Stahlsparte wäre unter Berthold Beitz undenkbar gewesen. Stahl gehört zur DNA der Krupps.

Hiesinger Ich sagte bereits, wir kämpfen hart für die Zukunftsfähigkeit des Stahls. Übrigens für Berthold Beitz kam es nicht darauf an, wie viel Stahl der Konzern herstellt, sondern ob der Konzern zukunftsfähig ist und dass dort, wo Veränderungen notwendig sind, diese wohl überlegt erfolgen.

Worauf müssen sich die Stahlarbeiter in Duisburg einstellen, wenn die deutsche Regierung auf Druck der EU die Ökostrom-Rabatte streicht?

Hiesinger Die Rechnung ist ganz einfach: ThyssenKrupp hat im vergangenen Jahr 85 Millionen Euro an Ökostrom-Umlage gezahlt. Wenn wir die volle EEG-Umlage zahlen müssten, würde dies eine Belastung von 350 Millionen für uns bedeuten. Zum Vergleich: Das Ergebnis von Steel Europe lag im vergangenen Jahr bei 143 Millionen Euro.

Gehen dann in Duisburg die Lichter aus?

Hiesinger Wenn die Politik — egal ob in Berlin oder in Brüssel — in Sachen Ökostrom die falschen Entscheidungen trifft, bringt sie den Stahl-Standort Deutschland in Gefahr. Dann entscheidet nicht der Vorstand über die Zukunft von Steel Europe, dann wird uns die Entscheidung abgenommen.

Was erwarten Sie von der Kanzlerin?

Hiesinger Wir unterstützen die Energiewende und leisten mit unseren Produkten einen erheblichen Beitrag dazu. Wir müssen uns dafür aber mehr Zeit nehmen und dürfen die Ziele nicht zu aggressiv, ohne Rücksicht auf Kosten, Versorgungssicherheit und unsere Wettbewerbsfähigkeit verfolgen. Die Kanzlerin und der Wirtschaftsminister verstehen unsere Sorgen. Ich bin sicher, dass die Regierung auch weiterhin die Interessen der energieintensiven Industrie und die große Zahl an Arbeitsplätzen im Blick haben, die davon abhängen.

Der Verkauf der traditionsreichen Edelstahlsparte hat sich als Fehler herausgestellt. ThyssenKrupp muss einen Teil der Werke zurücknehmen, um eine Pleite des Käufers Outokumpu zu verhindern.

Hiesinger Der Verkauf an Outokumpu war kein Fehler, das würden wir heute wieder so entscheiden. Insgesamt hat der Verkauf des Edelstahls unsere Bilanz spürbar entlastet. Dass der Marktpreis für Edelstahl um ein Drittel eingebrochen ist, hätte die Werke auch getroffen, wenn sie weiter uns gehört hätten. Bei der jetzigen Vereinbarung haben wir uns von drei Maximen leiten lassen: Wertschonung für ThyssenKrupp, Verantwortung für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die zu Outokumpu gewechselt sind und ein vernünftiger Umgang mit den schwierigen Rahmenbedingungen durch die Auflagen der Europäischen Union.

Nun nehmen Sie das Werk in Italien und den Titan-Spezialisten VDM zurück. Werden Sie VDM weiterverkaufen? Der Verkauf könnte ihnen bis zu 500 Millionen Euro in die Kasse spülen.

Hiesinger Wir werden uns zunächst gemeinsam mit den Führungsmannschaften von AST und VDM die erforderliche Zeit nehmen, um für die Unternehmen optimale strategische Optionen zu erarbeiten.

Endlich ist Ihnen auch der Verkauf des Stahlwerks in Alabama gelungen. Bis wann wollen Sie das verlustreiche Werk in Brasilien verkauft haben?

Hiesinger Durch den Verkauf von ThyssenKrupp Steel USA in Alabama mit einer langjährigen Brammenabnahmevereinbarung haben wir die Situation für das Stahlwerk in Brasilien deutlich verbessert. Jetzt konzentrieren wir uns auch hier auf die Dinge, die wir beeinflussen können und arbeiten hart an der operativen Leistungsfähigkeit des Werks. Das Stahlwerk hat sein operatives Ergebnis im ersten Quartal des laufenden Geschäftsjahres bereits signifikant verbessert. Für das Gesamtjahr erwarten wir im Vergleich zum Vorjahr eine deutliche Reduzierung der Verluste.

Sie sind angetreten, um den Konzern sauberer zu machen. Wie weit sind Sie gekommen?

Hiesinger Wir haben den Kulturwandel von vornherein mit derselben Energie vorangetrieben wie den gesamten Veränderungsprozess. Dabei ist Kulturwandel keine Gehirnwäsche. Wir haben aus der alten Welt mitgenommen, was gut war. Das, was nicht gut war, lassen wir hinter uns. Ich persönlich bin absolut davon überzeugt, dass man für das private, aber insbesondere auch für das berufliche Leben einen Kompass, eine Orientierung an Werten braucht. Wir setzen hier auf Offenheit, Ehrlichkeit, Transparenz und Wertschätzung — im Umgang mit den Mitarbeitern und den Kunden. Gleichzeitig gilt das Prinzip "Null Toleranz" bei Compliance-Verstößen. Lieber verzichten wir auf ein Geschäft.

Wie passt dazu die Einstellung eines neuen Vorstandes, der nur für Compliance zuständig ist? Oder dient er nur der Entlastung von Aufsichtsrats-Chef Lehner?

Hiesinger Donatus Kaufmann leitet das neu geschaffene Ressort Recht und Compliance. Seine Bestellung bedeutet vor allem eine Entlastung für mich und ist ein klares Signal, dass Compliance und Rechtschaffenheit höchste Priorität für uns haben. Mit vier Vorständen sind wir für einen Dax-Konzern aber weiterhin schlank aufgestellt.

Ungemach droht Ihnen auch vom Kartellamt, das wegen eines Autoblech-Kartells ermittelt. Haben Sie schon Rückstellungen gebildet? Was kann da auf ThyssenKrupp zukommen - mehr Strafe als beim Schienenkartell?

Hiesinger Im Februar 2013 hat das Kartellamt seine Untersuchung gestartet. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Das gilt auch für unsere internen Untersuchungen in diesem Zusammenhang. Daher kann man mögliche Risiken daraus auch nicht bewerten.

Wo liegen die Zukunftsgeschäfte von ThyssenKrupp?

Hiesinger Da, wo wir auch heute schon operativ gut vorankommen. Mit unseren Industriegütergeschäften sind wir für die weltweiten Herausforderungen gut aufgestellt. Nehmen Sie das Bevölkerungswachstum. Die Zahl der Menschen, die in großen Städten leben, steigt. Rohstoffe sind endlich. Diese Entwicklungen brauchen neue Technologien zum Aufbau einer nachhaltigen Infrastruktur und neue Verfahren, die Energie und Rohstoffe effizienter einsetzen. Da liegen unsere Chancen. Wir bauen hocheffiziente Zementanlagen, die 40 Prozent weniger CO2 ausstoßen. Unsere Aufzüge und Fahrtreppen transportieren mehr Menschen mit weniger Energieverbrauch und gehören zu den effizientesten weltweit. Mit unseren Werkstoffen, dem Leichtbau und unseren innovativen Automobilkomponenten reduzieren wir den Spritverbrauch von PKW´s.

Und was ist mit den Besonderheiten des Konzerns wie der Krupp-Stiftung als Eigentümer?

Hiesinger Die Krupp-Stiftung ist ein verlässlicher Aktionär, der unseren Veränderungsprozess unterstützt. Das schätze ich sehr.

Das Interview führten Michael Bröcker, Antje Höning und Reinhard Kowalewsky.

(brö)
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