Interview mit TK-Chef Jens Baas „Für Großstädter mehr Geld als für Versicherte auf dem Land“

Düsseldorf · Der Chef der Techniker Krankenkasse kritisiert, dass Großstädter höhere Kosten verursachen als Versicherte vom Land, ohne dass der Finanzausgleich das berücksichtigt. Zugleich stellt er für 2019 eine Senkung des Zusatzbeitrags in Aussicht.

 Jens Baas, Chef der Techniker Krankenkasse.

Jens Baas, Chef der Techniker Krankenkasse.

Foto: TK/TK Pressestelle, Friese

Jens Baas ist Chef der größten deutschen Krankenkasse. Er kommt gerade von einem Austausch mit IT-Sicherheitsexperten und berichtet von neuen Supercomputern und Kryptografie-Verfahren.

Was will ein Kassen-Chef mit einem Supercomputer?

Baas Wir bieten unseren Versicherten seit April die elektronische Gesundheitsakte „TK-Safe“ an, die verschlüsselt auf Servern der IBM Deutschland gespeichert wird. Da ist es sehr wichtig, sich mit den aktuellen Entwicklungen der Kryptographie, also der Verschlüsselungstechnik, zu befassen.Wir lassen die Daten verschlüsselt auf IBM-Rechnern in Deutschland speichern, sodass weder wir als Krankenkasse noch IBM die Daten einsehen können. Doch Hacker schlafen nicht. Wir müssen da also immer auf dem Stand der Technik bleiben.

Wie nehmen die Versicherten die elektronische Akte an?

Baas Sehr gut. Obwohl wir im Moment ja noch in der Probephase sind, nehmen bereits 60.000 Versicherte teil und sammeln Rezepte, Diagnosen und MRT-Bilder in der Akte. Im April kommt das Gesetz, das noch eine rechtliche Klarstellung für unsere Akte enthält, spätestens dann fällt der offizielle Startschuss. Ich erwarte, dass schon mittelfristig Millionen TK-Versicherte TK-Safe nutzen.

Ärzte wollen weiter bestimmen, welche Daten in die Akte kommen. Können Sie sich einigen?

Baas Ja. Daten wie Röntgenbilder, auf die der Patient einen Anspruch hat, kann der Arzt nicht verwehren. Doch interne Notizen wie ,Patient x ist ein Hypochonder’ muss der Arzt auch weiter für sich machen dürfen.

Man kann in der Akte perspektivisch auch speichern, ob und welche Organe man spenden will. Sie haben bestimmt einen Organspende-Ausweis?

Baas Nein, ich habe keinen, weil ich nicht noch eine Karte im Portemonnaie will. In einer elektronischen Akte könnte ich einfacher meine Spende-Bereitschaft erklären. Meine Familie weiß, dass ich bei einem Hirntod als Spender zur Verfügung stehen würde - und darauf kommt es an. Nur auf Basis des Ausweises wird kein Arzt eine Transplantation vornehmen.

Erstaunlich für einen Kassen-Chef. Auch die Techniker wirbt doch für Spenderausweise.

Baas Als junger Arzt in Heidelberg und Münster habe ich fünfJahre lang in Transplantations-Teams für Lebern, Nieren und Bauchspeicheldrüsen gearbeitet. Damals habe ich viele Gespräche mit Angehörigen geführt. Das Gespräch ist das Wichtigste, ein Spenderausweis kann die Entscheidung abererleichtern.

Und stimmen die Angehörigen dann zu?

Baas Oft ist es ein Trost für sie, dass der Tod ihres Angehörigen wenigstens den Sinn hat, einem anderen Menschen durch eine Organspende zu helfen.

Eine andere ethisch schwierige Frage ist, ob Krankenkassen Bluttests auf Trisomie bezahlen sollen, damit Schwangere erfahren, ob ihr Kind an einem Down-Syndrom leidet. Was ist Ihre Haltung?

Baas Das ist keine Frage der Krankenkassen, sondern der Gesellschaft. Sie muss entscheiden, ob sie solche Tests will. Auf der einen Seite steht das Bedürfnis der werdenden Eltern nach Klarheit. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass gesellschaftlicher Druck entsteht, solche Tests machen zu müssen und behinderte Kinder abzutreiben. Das darf es nicht geben, gerade in Deutschland nicht.

Zu einfacheren Fragen. Seit März ist Jens Spahn Gesundheitsminister. Welche Note schreiben Sie ihm ins Halbjahreszeugnis?

Baas Eine „zwei plus“. Er kennt sich aus, stößt viele Dinge an und lässt sich von den vielen Lobbyisten im Gesundheitswesen nicht beeindrucken. Allerdings ist seine Politik manchmal regulatorischer, als ich es erwartet hätte.

Ein Beispiel?

Baas Herr Spahn hat etwas gegen die Höhe unserer Finanzreserven und will die Kassen zwingen, diese bis 2022 abzuschmelzen. Ich halte es nicht für sinnvoll, die Reserven in guten Zeiten aufzulösen, wir können sie in kommenden schweren Zeiten gut gebrauchen.

Um wie viel Geld geht es bei der Techniker Kasse?

Baas Aktuell dürfen die Kassen Rücklagen in Höhe von 1,5 Monatsausgaben haben. Das halte ich nicht für zu viel. Doch nach dem Gesetzentwurf müssen auch wir sie auf eine Monatsausgabe abschmelzen, bei uns geht es um etwa eine Milliarde Euro.

Wohin geht 2019 die Reise bei den Zusatzbeiträgen, die auf den allgemeinen Beitrag von 14,6 Prozent kommen?

Baas Für die TK entscheidet das unsere Selbstverwaltung im Dezember. Wir haben aber auch 2019 das Ziel, unter dem durchschnittlichen Zusatzbeitrag zu bleiben. Derzeit liegt dieser bei 1,0 Prozent. 2019 soll er laut Schätzerkreis auf 0,9 Prozent sinken. Unser Zusatzbeitrag liegt derzeit bei 0,9 Prozent, wir werden mit unserer Selbstverwaltung die Möglichkeit einer Absenkung diskutieren.

Jens Spahn will, dass der Beitrag für Kinderlose in der Pflegeversicherung weiter erhöht wird. Was halten Sie davon?

Baas Grundsätzlich begrüße ich sehr, dass die Politik sich dem Thema Pflege derzeit so intensiv widmet. Wir brauchen hier langfristige Lösungen, zum Beispiel für die doppelte Demografiefalle, also die steigende Zahl der Pflegebedürftigen und die sinkende der potenziell Pflegenden. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, allein über die Stellschraube Beiträge lässt sich das nicht lösen.

Spahns größte Baustelle dürfte 2019 die Reform des Finanzausgleichs zwischen den Kassen sein. Es geht um 200 Milliarden Euro im Jahr. Was läuft derzeit schief?

Baas Der Risikostrukturausgleich setzt viele falsche Anreize. Nicht die gut versorgenden Kassen bekommen das meiste Geld, sondern die, die für ihre Versicherten die meisten der im Finanzausgleich relevanten 80 Krankheiten kodiert bekommen. Seit zum Beispiel Adipositas 2013 in den Katalog aufgenommen wurde, ist die Zahl der krankhaft Übergewichtigen bis 2016 um 200 Prozent gestiegen. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie Kodieranreize dazu führen, dass die Anzahl kodierter Diagnosen sprunghaft steigt.

Die Justiz ermittelt in dem Zusammenhang gegen die AOK Rheinland, die Barmer, aber auch gegen die Techniker Krankenkasse.

Baas Ich habe ja selbst auf die Missstände im System hingewiesen, da uns daraufhin jemand angezeigt hat, muss die Justiz dem natürlich nachgehen. Wir arbeiten hier aber vollumfänglich zusammen, denn natürlich haben wir nicht gegen geltendes Recht verstoßen.

Was läuft noch schief beim Finanzausgleich?

Baas Die Kassen erhalten für Versicherte in Großstädten genau so viel Geld wie für Versicherte auf dem Land, dabei gehen Großstädter deutlich häufiger zum Facharzt und verursachen so auch deutlich höhere Kosten als Versicherte auf dem Land. In den Städten gibt es eben mehr Fachärzte, hier schafft sich das Angebot seine Nachfrage.

Was fordern Sie für die Reform des Finanzausgleichs?

Baas Erstens müssen Volkskrankheiten aus dem Katalog der Krankheiten raus, für die es mehr Geld gibt. In den Katalog gehören nur schwere Krankheiten wie Krebs, bei denen es keine Grauzone des Kodierens gibt. Zweitens muss es eine Regionalisierung geben, also vereinfacht gesagt für Großstädter mehr Geld als für Versicherte auf dem Land. Drittens dürfen Kassen, die ihren Job gut machen, nicht bestraft werden.

Wie wollen Sie das messen?

Baas Etwa am Geld, das die Kassen für ihre Verwaltung ausgeben. Bei uns sind es 103 Euro pro Versicherten, im Schnitt aller Krankenkassen 150 Euro. Der Spitzenreiterkommt auf 180 Euro. Das halte ich für eine Verschwendung von Beitragsgeldern.

Liegt es nicht daran, dass die TK einfach weniger Geschäftsstellen hat?

Baas Wir bieten ein dichtes Geschäftsstellennetz, aber dessenAnzahl alleine sagt heute nichts mehr aus. Unsere guten Noten bei Versicherten-Befragungen zeigen: Es kommt darauf an, dass qualifizierte Mitarbeiter den Versicherten helfen, wenn sie ihre Krankenkasse brauchen - auf dem Weg, der ihnen am liebsten ist.

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