„Team aus Estland einfliegen“ Start-ups aus NRW kritisieren Wirtschaftsminister Peter Altmaier

Gelsenkirchen · Um die schleppende Digitalisierung in Deutschland voranzutreiben, würde Altmaier nach eigener Aussage sogar Experten aus Estland einfliegen lassen. Hiesige Start-ups fühlen sich ignoriert.

 Peter Altmaier ist seit 2018 Bundeswirtschaftsminister.

Peter Altmaier ist seit 2018 Bundeswirtschaftsminister.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Mehrere Start-ups aus NRW haben sich in einem Brief über Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) beschwert. Dieser hatte im Rahmen eines Live-Streams während der Hannover Messe über die Digitalisierung in Deutschland gesprochen. Laut Medienberichten soll Altmaier die Digitalisierung als Thema von absoluter Priorität bezeichnet haben: „Wenn das hier nicht so richtig klappt, wäre ich auch bereit, das beste Digital-Team aus Estland einzufliegen, um hier schneller voranzukommen.“ Estland gilt in Europa als Vorreiter der Digitalisierung.

Die Aussage hat in der Start-up-Szene für Verstimmung gesorgt – speziell bei jenen Unternehmen, die an Lösungen zur Digitalisierung von Verwaltungen arbeiten. In einem Brief schreiben mehrere Gründer aus NRW, dass nichts gegen einen internationalen Erfahrungsaustausch spreche. „Unsere Kritik bezieht sich vielmehr auf die aus unserer Sicht fehlende Wertschätzung nicht nur aus Ihrem Hause für die hiesige Startup-Szene, die zu unserem großen Bedauern auch dazu geführt hat, dass in der Pandemiesituation Chancen und Erleichterungen, die die Digitalisierung mit sich bringt, schlichtweg liegen gelassen worden sind“, heißt es in dem Schreiben, das unserer Redaktion vorliegt.

Der Brief wurde von fünf IT-Start-ups aus NRW unterzeichnet: Xignsys, Aware7, Trustcerts (alle Gelsenkirchen), Wetog (Remscheid) und Cobago (Dortmund). „Fachkompetenz und gute Lösungen brauchen wir nicht in Osteuropa und Estland suchen, die kann man auch im Ruhrgebiet oder im Bergischen Land finden“, sagt Markus Hertlein, Gründer und Geschäftsführer des Start-ups Xignsys, das an Lösungen zur passwortlosen Authentifizierung arbeitet.

Die Unternehmen arbeiten an digitalen Identitäten, die etwa im Bereich E-Government wichtig sein können, oder haben große Expertise im Bereich der Internet-Sicherheit in Behörden, Unternehmen oder dem Bildungssektor. Im Brief heißt es: „Was wir allesamt nicht verstehen, ist: Wieso werden wir von Ihnen in diese doch akuten Fragen mit (...) unserem Fachwissen nicht miteinbezogen?“

Markus Hertlein sieht ein Problem in den unklaren Zuständigkeiten. „Die Entscheidungswege in der Politik sind oft nicht lückenlos nachvollziehbar“, sagt der Informatiker. Gleichzeitig hätten Großunternehmen wie die Telekom oder SAP einen hohen Stellenwert. „Da hat man es als Start-up oft viele schwerer“, sagt Hertlein. Er würde sich wünschen, dass es nach der nächsten Bundestagswahl ein Digitalministerium gibt. Damit könnte das Thema Digitalisierung flächendeckend gedacht werden und nicht nur aus Sicht des jeweiligen Ressorts. „Dadurch werden auch oft unnötig Steuergelder verschwendet“, sagt der Xignsys-Chef.

Immerhin: Auf Landesebene ist der Austausch mit den Start-ups offenbar deutlich intensiver. „Mit der Landesregierung arbeiten wir gut und eng zusammen“, sagt Markus Hertlein. Auf Bundesebene funktioniere der Austausch aktuell hingegen nur schleppend. Xignsys sei zwar mit dem Bundeskanzleramt in Kontakt, doch dazu sei es nur über Umwege gekommen. „Für den Austausch mit Bundesministerien musste auch das Land NRW die Tür öffnen“, sagt Hertlein.

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