Grüne Konkurrenz zur Post als Lieferdienst Mit dem Lastenrad auf die letzte Meile

Münster · Von Münster aus greift das junge Unternehmen Liefergrün auf einem Markt an, den bisher große Logistiker wie DHL, Hermes oder UPS beherrschen. Mit Elektrovans, Lastenrädern und kurzen Lieferwegen will das Team bei Kunden und Versandhändlern punkten.

 Die Liefergrün-Gründer Niklas Tauch, Robin Wingenbach, Max Schleper (von links)

Die Liefergrün-Gründer Niklas Tauch, Robin Wingenbach, Max Schleper (von links)

Foto: Liefergrün

Der Weg ist das Ziel – und der soll möglichst nachhaltig zurückgelegt werden. Mit diesem Vorhaben will sich das Start-up Liefergrün auf dem wettbewerbsintensiven Markt der Logistiker seinen festen Platz erarbeiten. Dabei zielen die Gründer, die 2020 in Münster loslegten, auf die sogenannte „letzte Meile“. So wird die finale Etappe von Paketen bezeichnet, von regionalen Verteilzentren bis zur Haustür der Empfänger. Liefergrün setzt auf Elektro-Vans, Fahrräder und Lastenräder, um möglichst emissionsfrei durch die Stadt zu kommen. Und auf eine ausgeklügelte Routenplanung, die von eigenen Zwischenlagern am Rand der Innenstädte eine effiziente Strecke bis an den Zielort berechnet. „Wir verstehen uns als Logistik- und Technologieunternehmen“, sagt Niklas Tauch, der Liefergrün mit Max Schleper und Robin Wingenbach gegründet hat, „wir glauben, dass beides zusammen den Markt wirklich verändern kann.“

Das Start-up tritt dabei gegen große Konkurrenz an. Logistikfirmen wie DHL, UPS, DPD oder FedEx machen Milliardenumsätze, verfügen über gewaltige Fahrzeugflotten und fahren deutschlandweit fast jede Adresse an. Während der Corona-Pandemie schwoll das Bestellvolumen noch einmal an, weil immer mehr Menschen online bestellten. Allein 2020 wurden mehr als vier Milliarden Kurier-, Express- und Paketsendungen verschickt, zeigen Zahlen des Branchenverbands BIEK.

Art der Zustellung kann den Unterschied machen

Mit dem Fokus auf Nachhaltigkeit will das Liefergrün-Team aber eine vielversprechende Nische identifiziert haben. Im ersten Schritt umwirbt das Start-up dabei Großkunden. Sportartikelhersteller Adidas und Haushaltsgerätehersteller Dyson gehören zu den ersten Partnern. In einigen Regionen lassen diese bekannten Marken bereits ihre Produkte von Liefergrün zustellen. Mit anderen großen Anbietern ist das Start-up aktuell in Verhandlungen. Mal geht es dabei um normale Online-Bestellungen, mal holen die Fahrer die Produkte in Filialen ab und bringen sie zu den Kunden.

Insbesondere bei größeren Online-Shops sieht Liefergrün seine Chance. Viele dieser Anbieter versuchen trotz digitaler Anonymität, einen möglichst guten Eindruck beim Kunden zu hinterlassen. Dazu kann neben dem eigentlichen Produkt auch die Übergabe des Paketes zum Wunschtermin gehören – aber zugestellt ohne Emissionsausstoß. Je stärker die Verbraucher auf Nachhaltigkeit setzen, desto besser kommt ein nachhaltiger Lieferdienst an. „Der Paketversand wird zum zentralen Differenzierungsmerkmal im E-Commerce“, sagt Tauch, der vor der Gründung viele Jahre für den Konsumgüterkonzern Henkel arbeitete und dort zeitweise Lieferketten optimierte.

Eigene Standorte in jeder neuen Stadt

Die Herausforderung für das junge Unternehmen: Im Gegensatz zu Software-Start-ups, die ihre Programme unkompliziert online verkaufen können, muss Liefergrün in jeder Region ein eigenes Logistiknetzwerk aufbauen. Angefangen hat das Start-up in Berlin, mittlerweile sei man in 17 von 25 der größten deutschen Städte vertreten, sagt Tauch. Im Ruhrgebiet und im Rheinland laufen gerade erste Tests. Gerade einmal zwei Jahre nach der Gründung will Liefergrün zudem seine Fühler ins Ausland ausstrecken. Geplant sind zudem Versuche in europäischen Großstädten, angefangen mit Wien und London. „So wollen wir ein Gefühl dafür kriegen, ob unser Konzept auch über die Grenzen Deutschlands hinaus funktioniert“, sagt Tauch.

An jedem Standort bündelt Liefergrün die Kräfte: Einen Teil der Fahrten übernehmen eigene Fahrer, für den anderen Teil kooperiert das Start-up mit regionalen Logistikern. Die müssen dann aber elektrisch angetriebene Fahrzeuge nutzen. Und regelmäßig nachweisen, dass sie ihre Angestellten zu angemessenen Bedingungen beschäftigten, betont Tauch. Immer wieder machte die Paketbranche in den vergangenen Jahren mit schlechten Konditionen für ihre Beschäftigten von sich reden. „Die Qualität wird sich langfristig im Liefermarkt durchsetzen“, ist der gebürtige Neusser überzeugt.

Eine mittlere dreistellige Zahl von Fahrern sei für Liefergrün heute bereits im Einsatz, so Tauch. Am Hauptsitz in Münster arbeiten mittlerweile mehr als 40 Mitarbeiter daran, neue Kunden zu gewinnen und die Technologie weiterzuentwickeln. Denn gerade über eine digitale Optimierung der Routenplanung will man Kosten einsparen, um mit den großen Anbietern preislich mithalten zu können. Denn die Bereitschaft der Verbraucher, für eine Lieferung – so nachhaltig sie auch ist – extra zu bezahlen, ist zumindest aktuell nur teilweiss vorhanden.

Drei Millionen Euro von Geldgebern

Investoren glauben an das kleine Start-up mit der großen Vision. Mitte Februar konnte Liefergrün seine zweite Finanzierungsrunde abschließen. Die wichtigsten Geldgeber waren der europäische Risikokapitalgeber Speedinvest sowie der Investor Norrsken VC mit Hauptsitz in Stockholm. „Der größte Hebel für emissionsarme, ruhigere und damit lebenswertere Städte ist die Logistik der letzten Meile“, lässt sich Speedinvest-Partner Mathias Ockenfels in einer Pressemitteilung zitieren, „sie zu einhundert Prozent grün zu gestalten, ist der aktuell wichtigste Schritt.“

Studien aus den vergangenen Jahren zeigen, dass bei der herkömmlichen Lieferung einer Online-Bestellung etwa 600 Gramm CO2 an Emissionen anfallen. Nach eigenen Angaben fallen bei Liefergrün pro Auslieferung im Moment knapp 86 Gramm CO2 an. Null-Emmisionen geht nicht, denn für die Strecke bis zu den regionalen Verteilzentren gibt es für das Start-up kaum Alternativen zu dieselbetriebenen Sattelschleppern – auch wenn mit alternativen Kraftstoffen experimentiert werden soll. Ganz lässt sich das Versprechen der „Zero-Emission Last-Mile“, von dem Liefergrün aktuell auf seiner Homepage schreibt, im Moment nicht einhalten: „Wir sind auf dem Weg hin zu null Emissionen, aber noch sind wir nicht da und wollen alle transparent auf diese Reise mitnehmen“, sagt Gründer Tauch.

Dabei erwähnt er allerdings ein großes Problem nicht: Der Logistikmarktführer in Deutschland, Deutsche Post DHL, setzt sehr stark auf ökologisch verantwortbare Lösungen und hat mittlerweile eine der größten Flotten von Elektrolieferwagen der Welt. Die Post ist also ernsthafter Konkurrent von Liefergrün- oder auch Kooperationspartner. Immerhin ließ sie vom übernommenen Aachener Start-up Streetscooter sogar viele Tausend Elektroautos kaufen, steigt nun aber aus der eigenen Produktion von Elektrowagen aus.

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