Allzweckwaffe der Werkstofftechnik Bochumer Start-up zaubert mit Metall

Bochum · Zuerst arbeitete das Gründertrio von Ingpuls an den eigenen Doktorarbeiten, jetzt ist das gemeinsame Unternehmen weit mehr als zehn Millionen Euro wert.Für die Technik gab es bereits eine begehrte Auszeichnung, es geht um Werkstofftechnik.

 Ingpuls-Mitgründer und Vorstandschef Christian Großmann.

Ingpuls-Mitgründer und Vorstandschef Christian Großmann.

Foto: Ingpuls, Canan Maaß/Canan Maaß

Der richtige Draht kann Leben retten – oder das Lächeln: Stents aus besonders elastischem Material helfen etwa, Herzkranzgefäße zu stabilisieren. Oder sie sorgen dafür, dass Zahnspangen genau die richtige Spannkraft aufbringen, um das Gebiss in die gewünschte Form zu bringen. Das Bochumer Start-up Ingpuls liefert dabei das Ausgangsmaterial für die moderne Medizintechnik. Und das soll zukünftig in ganz großem Stil laufen: Anfang dieses Jahres hat Ingpuls eine gemeinsame Firma mit dem US-Medizintechnikzulieferer Resonetics gegründet, der kürzlich von Investoren mit etwa zwei Milliarden Euro bewertet wurde. Das neue Joint-Venture mit Sitz in Bochum soll aus Nickel-Titan-Legierungen die Drähte oder Bleche produzieren, die leistungsfähigere Produkte ermöglichen. Man sehe in der Kooperation einen „perfekten Fit in Bezug auf wissenschaftliche Expertise und die gemeinsamen Werte wie Kundenorientierung, Innovationskraft und Agilität“, sagt Ingpuls-Mitgründer und Vorstandschef Christian Großmann.

Das 2009 gegründete Hardware-Start-up Ingpuls startet mit dem Joint-Venture nun die nächste Entwicklungsstufe. Das junge Unternehmen hat sich auf sogenannte Formgedächtnislegierungen (FGL) spezialisiert. Dahinter verbergen sich fein austarierte Metallmischungen, die besondere Eigenschaften mitbringen. Je nach Temperaturzustand können sie beispielsweise ihre Struktur verändern und sich an ihre Ausgangsform „erinnern“ – ohne den Einsatz von Motoren oder Gelenken. Das macht sie überall dort relevant, wo Materialien gefragt sind, die möglichst leicht oder langlebig sind. Neben der Medizintechnik können sich FGL-Werkstoffe auch in Smartphones oder in Flugzeugkabinen wiederfinden.

Von der Werkstatt zum Weltmarktführer 

Ingpuls hatte sich im ersten Schritt auf die Automobilindustrie fokussiert. Für Mercedes-Benz lieferten die Bochumer eine Feder, die half, den Kühlkreislauf in Motoren zu regeln. Für die jungen Unternehmer bedeutete dieser Großauftrag vor gut fünf Jahren den Durchbruch – aber auch jede Menge Stress. Aus einer kleinen Produktion musste plötzlich eine professionelle Massenfertigung entstehen, erinnert sich Großmann: „Da haben wir in Schlafsäcken in der Produktionshalle übernachtet.“

Großmann und seine Mitgründer Burkhard Maaß und André Kortmann entwickelten ihre Idee während ihrer Promotion am Institut für Werkstoffe der Ruhr-Universität Bochum. Parallel zum Studium begannen sie, Unternehmen zum Einsatz von FGL-Materialien zu beraten. Dann mieteten sich die Gründer mit den ersten selbst gebauten Maschinen in einer Werkstatt ein. Mittlerweile ist das Unternehmen mit 60 Mitarbeitern in einem Gewerbepark auf einem ehemaligen Zechengelände im Bochumer Osten zuhause.

Auf Partnersuche für die nächsten Wachstumsschritte

Bei den Speziallegierungen sieht sich Ingpuls dabei auf dem Weg zum Weltmarktführer. Mehrfach wurde die Firma bereits ausgezeichnet, unter anderem als Finalist des Deutschen Innovationspreises 2021. In den ersten Jahren konnte das Technologie-Unternehmen das Wachstum aus eigenen Umsätzen, Bankkrediten und kleineren Investitionen von privaten Investoren stemmen - ungewöhnlich für Technologie-Unternehmen, die teure Produktionsanlagen aufbauen müssen. 2018 sicherte sich eine Private-Equity-Gesellschaft mit einer zweistelligen Millionensumme eine Minderheitsbeteiligung. Der Firmenwert liegt also wohl schon weit oberhalb von 30 oder 40 Millionen Euro.

Für das weitere Wachstum geht Ingpuls aktuell auf weitere Partnersuche. Das Medizintechnik-Joint-Venture soll dabei als Blaupause dienen. Für verschiedene Branchen sollen mit etablierten Zulieferern eigene Firmen entstehen, die die Allzweck-Waffe FGL für die jeweiligen Anwendungsfälle optimieren. „Viele Kunden würden lieber eine fertige Lösung kaufen, als die Teile selbst zusammenzusetzen“, sagt Co-Gründer Großmann, „in diese Lücken wollen wir nun stoßen.“

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