Wo die Wiege der deutschen Start-up-Szene wirklich liegt Pioniere aus dem Rheinland

Düsseldorf · RP-Redakteur Florian Rinke hat ein Buch über die Bedeutung von Rheinländern in der deutschen Start-up-Szene geschrieben. Hier lesen Sie erste Auszüge.

 Karel Dörner, Jörg Reinboldt, die Brüder Marc, Alexander und Oliver Samwer sowie Max Finger (v.l.n.r.) gründeten Alando, das im Juni 1999 mit Ebay fusionierte.

Karel Dörner, Jörg Reinboldt, die Brüder Marc, Alexander und Oliver Samwer sowie Max Finger (v.l.n.r.) gründeten Alando, das im Juni 1999 mit Ebay fusionierte.

Foto: Hubert Link

Aus der Einleitung

Die bislang größte Gründer-Geschichte des Rheinlands wäre ohne die Bequemlichkeit eines Studenten wohl nie geschrieben worden: Es ist 1998, an der Handelshochschule Leipzig werden die neuen Erstsemester begrüßt. Wer kann ahnen, dass sich auf der Namensliste der Neulinge die vier späteren Gründer der weltbekannten Hotel-Suchmaschine Trivago befinden? Zusammen bringt sie der blanke Zufall. Ein Student soll Kleingruppen einteilen, in denen während der Begrüßungswoche unter anderem Planspiele absolviert werden. Er könnte abzählen, wählen lassen, würfeln. Stattdessen entscheidet er sich für die einfallsloseste Variante. Er macht auf einer Liste nach je fünf Namen einen Strich. Das Gründerteam eines der bekanntestens Start-ups Deutschlands findet zusammen, weil ihre Namen Malte Siewert, Stephan Stubner, Rolf Schrömgens und Peter Vinnemeier im Alphabet dicht beieinander liegen.

Während seiner Zeit als Trivago-Chef hat Rolf Schrömgens diese Geschichte häufig erzählt, wenn er neue Mitarbeiter im Düsseldorfer Hauptquartier begrüßt hat. Er wollte damit klarmachen, dass man vieles planen, prognostizieren und organisieren kann – am Ende aber manchmal der Zufall entscheidend ist, weil er Chancen schafft und völlig neue Wege ermöglicht. Oder, wie man im Rheinland sagt: Et kütt wie et kütt.

Doch ab wann sind Zufälle keine Zufälle mehr. Ab wann wird aus einzelnen Beobachtungen ein Trend? Wie kann es zum Beispiel sein, dass heute alle voller Ehrfurcht auf die Start-up-Szene in Berlin blicken, deren Wurzeln aber eigentlich im Rheinland liegt?

Die Berliner Start-up-Könige Oliver, Marc und Alexander Samwer, die mit Rocket Internet zeitweise Gründungen am Fließband produzierten? Aufgewachsen in Köln. Die Gründer von Europas größtem Modehändler Zalando, David Schneider und Robert Gentz? Entwickelten ihre Idee im Garten von Gentz’ Elternhaus im rheinischen Kaarst. Der Kochboxen-Versender Hellofresh? Mitgegründet von Thomas Griesel, dessen Rheinland-Patriotismus so ausgeprägt ist, dass er noch immer in Düsseldorf wohnt.

Je länger man sucht, desto mehr Beispiele findet man. Rheinländer wie Getyourguide-Chef Johannes Reck gründen Start-ups, Rheinländer finanzieren sie als Risikokapitalgeber wie Lakestar-Legende Klaus Hommels – und Rheinländer sorgen in der Politik für bessere Bedingungen für die Szene wie der Beauftragte für die digitale Wirtschaft und Start-ups im Bundeswirtschaftsministerium, der Düsseldorfer Thomas Jarzombek. Alles Zufall?

Erstaunlich ist, wie stark ausgeprägt die Liebe zur Region bei vielen noch immer ist, auch wenn sie seit Jahren im Rheinland-Exil leben, Doch in Berlin oder München sahen speziell viele Gründer die besseren Chancen für sich und ihr Start-up.

Die Geschichte der deutschen Gründerszene seit der Jahrtausendwende ist daher auch eine der Rückschläge für die Region. Trotz attraktiver Standorte wie Aachen, Bonn, Köln oder Düsseldorf ist es nicht gelungen, begabte Köpfe zu halten oder zurückzugewinnen. Noch immer ist es schwieriger, in Düsseldorf an Risikokapital zu kommen als in Berlin oder München. Noch immer gelingt es Start-ups in der Hauptstadt viel leichter, internationale Talente anzulocken.

 Und das lag auch an den Samwers. Rückblickend ist es unglaublich, welchen Impuls die drei Kölner Brüder der Hauptstadt gegeben haben. Die Gründung und der schnelle Verkauf des Ebay-Klons Alando haben viele andere Gründer motiviert. Und die Investments der drei Kölner in andere Start-ups wiederum haben den Standort Berlin in seiner heutigen Ausprägung erst möglich gemacht. Einer der Gründer hat mal erzählt, dass man Alando irgendwo machen wollte, wo man niemanden kenne, um nicht gestört zu werden. In dieser Lesart ist die Standortwahl Berlin also auch nicht viel mehr als ein Zufall.

Der Urknall – wie die Samwers mit Alando für Goldgräberstimmung gesorgt haben

Rolf Schrömgens kann sich noch gut an den Moment erinnern, als er beschloss, Unternehmer zu werden. Der heute 44-Jährige war damals nach einem Auslandssemester in Chicago auf einem Rückflug aus den USA. Als Schrömgens in die Maschine einstieg, waren seine nächsten Schritte eigentlich vorgezeichnet. Der Student hatte ein Vorstellungsgespräch bei der Unternehmensberatung Roland Berger. Ein Klassiker für Business-School-Studenten wie ihn, deren wichtigste Abwägung gegen Ende eines solchen Studiums oft war, ob man nun zu einer Beratung gehen sollte oder besser Investmentbanker wurde. Internetunternehmer oder gar Gründer? Dieser Karriereweg war damals im Sommer 1999 eigentlich keine Option – auch nicht für Schrömgens.

Doch die Zeit über den Wolken sollte sein Leben für immer verändern. “Ich habe damals während des Flugs einen Artikel über die Samwers gelesen, die gerade nach ein paar Monaten ihr Unternehmen Alando an Ebay verkauft hatten – für zig Millionen”, erinnert sich Schrömgens: “Das habe ich gelesen und gedacht: Oh scheiße, soll ich jetzt wirklich zu Roland Berger gehen?“

Schrömgens war nicht der Einzige, der so gedacht hat. An den Business Schools sprach sich die Geschichte von den Gründern, die einen Ebay-Klon programmiert und nach nur wenigen Monaten an die große US-Plattform weiterverkauft haben, wie ein Lauffeuer herum. Die drei Brüder Marc, Oliver und Alexander Samwer hatten sich angeblich schon als Teenager auf einem Segeltörn geschworen, gemeinsam ein Unternehmen zu gründen. Mit Anfang 20 lösten sie diesen Schwur gemeinsam mit Freunden ein. “Sechs Jungunternehmer gründeten in Berlin ein Online-Auktionshaus – und wurden im Handumdrehen zu Millionären”, fasste der Spiegel im Juni 1999 die Geschichte zusammen. 

Deutschland war damals noch analog. Während Schrömgens aus Chicago zurückkehrte, begann in Bonn gerade der Umzug des Politikbetriebs gen Osten. Bevor Berlin von der Gründerszene erobert wurde, brachen Bundestagsabgeordnete auf, um hier im Reichstag an den Weichenstellungen für das 21. Jahrhundert zu arbeiten. Die rot-grüne Koalition unter Kanzler Gerhard Schröder versuchte nach dem Wahlsieg 1998, das von den Kohl-Jahren gelähmte Land zu modernisieren, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Start-ups spielten in diesen Überlegungen zunächst keine große Rolle.

Es ist nicht so, als hätte es nicht vorher schon erfolgreiche Internet-Gründungen in Deutschland gegeben: Ralph Dommermuth hatte bereits 1988 das heutige United Internet (u.a. 1&1) gegründet. Und in Weinheim wurde bereits 1972 die SAP aus der Taufe gehoben, die bis heute wertvollsten deutschen Digitalunternehmen avancieren sollte. Ja, sogar an der WHU in Vallendar, wo Oliver Samwer und einige seiner Mitstreiter ausgebildet wurden, hatten Stephan Schubert, Michael Schwetje und Fritz Oidtmann bereits Pionierarbeit mit dem digitalen Finanzportal Onvista geleistet.

Aber Alando war der Urknall, es war die Gründung, die alles veränderte, weil sie jungen, hungrigen Studenten zeigte, wie kurz der Weg zum Millionär sein kann, wenn man die richtige Idee hat und dann brachial gut umsetzt. Schrömgens: “Das war der Moment, wo wir damals gesagt haben: Da muss doch was gehen.”

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