NRW-Accelerator „Scale-up“ mit 13 neuen Firmen Kaderprogramm für ausgewählte NRW-Start-ups

Das Land NRW hofft darauf, dass mehr digitale Gründungen aus NRW zu globalen Champions heranwachsen. Ein neues Programm lädt daher jetzt 13 Start-ups in ein ausführliches Trainingscamp ein. Die Organisatoren setzen auf individuelle Förderung – und hoffen, dass die Arbeit auch auf andere Start-ups abstrahlt.

 Zu den Siegerfirmen gehört Dermanostic. Die vier Mediziner Ole und Alice Martin (v. l.) sowie Estefania Lang und Patrick Lang (beides Ehepaare) hatten 2019 das Unternehmen gegründet.

Zu den Siegerfirmen gehört Dermanostic. Die vier Mediziner Ole und Alice Martin (v. l.) sowie Estefania Lang und Patrick Lang (beides Ehepaare) hatten 2019 das Unternehmen gegründet.

Foto: Dermanostic/Patrycia Lukas/Dermanostic

Mit dem Erfolg wächst die Aufgabenliste. Das gilt auch für das Aachener Start-up Accure, das Batteriespeicher analysiert und optimiert: „Als Unternehmen sind wir gerade auf dem Sprung von 40 zu 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, da gibt es viel zu tun“, sagt Co-Gründer Kai-Philipp Kairies. „Von der Automatisierung des Marketings und skalierbaren Personalwirtschafts-Prozessen bis zu gesellschaftsrechtlichen Überlegungen bei der Internationalisierung.“ Bei einigen dieser Aufgaben kann das schnell wachsende Unternehmen bald auf die Unterstützung des Landes NRW zählen: Accure ist eines von 13 Start-ups, die zum ersten Jahrgang des landeseigenen „Scale-Up“-Programm gehören, das Mitte März beginnt. Finanziert wird das Programm vom Wirtschaftsministerium.

Eineinhalb Jahre sollen die Start-ups nun auf ihrem Weg begleitet werden. Dabei geht es erstens darum, sich intern professioneller aufzustellen – auf den ersten Metern fehlen bei jungen Firmen häufig noch wichtige Strukturen. Zweitens geht es darum, auch im Ausland erste Kunden zu gewinnen, um es vielleicht von einer lokalen Gründung zu einem globalen Unternehmen zu schaffen. Und drittens geht es um den Kontakt zu Investoren, die auch zweistellige Millionenbeträge für die nächsten Jahre bereitstellen können. „Wir sind aktuell mittendrin, unsere Organisation auf starkes Wachstum und schnelle Skalierung vorzubereiten und freuen uns dabei vom Austausch mit erfahrenen Coaches, Mentoren und den anderen ambitionierten Teilnehmern zu profitieren“, sagt Tim Breker, Mitgründer des ebenfalls aufgenommen Kölner Start-ups Vytal, das ein neues Mehrwegsystem für die Gastronomie etablieren will.

Staatliche Starthilfe für den nächsten Wachstumsschritt

Der Auftakt des Programms wird in der Gründerszene bundesweit mit Neugier beobachtet. Es ist ungewöhnlich, dass ein Bundesland Start-ups in dieser recht späten Phase noch im operativen Geschäft begleitet. Doch Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) hat das Ziel ausgegeben, dass das Bundesland bis 2025 zu den Top-10-Regionen für Start-ups in Europa zählt. Das „Scale-up“-Programm soll nun dabei helfen, aus vielversprechenden Gründungen wirklich große Digitalunternehmen zu machen – hier hat NRW noch Nachholbedarf.

110 Start-ups wollten Teil des Premierenjahrgangs sein – ein gutes Dutzend wurde schlussendlich ausgewählt. „Es gab Bewerbungen aus allen Winkeln Nordrhein-Westfalens, wir haben eine schöne Abdeckung von ganz NRW erreicht“, berichtet Klemens Gaida, Geschäftsführer des Digital Innovation Hubs Düsseldorf/Rheinland, der das „Scale-up“-Programm gemeinsam mit der Münchener Initiative German Accelerator auf die Beine stellt.

Bunter Mix an Branchen und Regionen

Unter den erfolgreichen Bewerbern sind jetzt Start-ups aus sehr unterschiedlichen Branchen und Phasen. Sosafe aus Köln, das IT-Sicherheitstrainings anbietet, konnte Anfang des Jahres bereits 65 Millionen Euro von internationalen Investoren einwerben. Das Hautdiagnose-Start-up Dermanostic aus Düsseldorf erhielt dagegen vor wenigen Wochen zwei Millionen Euro. Doch die „Scale-up“-Verantwortlichen sind überzeugt, dass sich durch diese Mischung gegenseitige Impulse ergeben: „Wir finden es gut, dass es eine Diversität in der Gruppe gibt, mit ein paar Leitwölfen und ein paar noch jungen Scale-ups“, sagt Gaida.

Dabei werden die Gründerinnen und Gründer nur zu ausgewählten Anlässen zusammenkommen. Im Vordergrund geht es darum, auf die unterschiedlichen Ziele der einzelnen Unternehmen einzugehen. „Jedes Start-up hat seine eigenen Wachstumsherausforderungen, wir bieten ihnen dazu einen individuellen Skalierungspfad an“, sagt Gaida. Mal werden dabei Kontakte in vielversprechende Märkte wichtig sein – die „Scale-up“-Macher sprechen von 20 „Softlanding Pads“, die beim Start in China, Indien oder den USA helfen sollen. Und mal wird es um die gezielte Suche nach strategischen Investoren oder wichtigen Fachkräften gehen. Die Organisatoren werben mit ihrem großen Netzwerk an erfahrenen Gründern, finanzstarken Geldgebern und gut vernetzten Industrievertretern.

Ein großer Vorteil für die teilnehmenden Start-ups: Im Gegensatz zu anderen Acceleratoren, die privatwirtschaftlich organisiert sind, müssen sie bei „Scale-up“ keine Anteile abgeben. Gefordert wird jedoch ein zeitlicher Einsatz von ungefähr zwei Tagen pro Monat. Und die Bereitschaft, sich auch über das eigene Unternehmen hinweg für Gründungen im Land einzusetzen: „Wir haben abgeklopft, inwieweit die Teilnehmer auch etwas zurückgeben wollen“, sagt Organisator Gaida, „Es gibt keineswegs nur eine reine Mitnahmementalität, sondern im Gegenteil eine große Portion Regionalpatriotismus und den Willen, NRW gemeinsam voranzubringen.“

Die Teilnehmer im Überblick

Accure Battery Intelligence: Das Start-up wurde 2019 gegründet – und wächst seitdem rasant. Die Aachener analysieren, in welchem Zustand sich Batterien von Elektroautos oder Solaranlagen befinden. Und können so dafür sorgen, dass die teuren Speichersysteme länger und besser genutzt werden. Weit über 200.000 dieser Batterien werden mit der Software des Start-ups bereits verwaltet. Im vergangenen Jahr sammelte Accure knapp sieben Millionen Euro in einer zweiten Finanzierungsrunde ein.

BenFit-Nutrition: Das Düsseldorfer Start-up, getauft nach Gründer Benjamin Jakob, entwickelt „Superlebensmittel“. Die Produkte – von Backwaren über Nudeln bis hin zu Brotchips – haben besonders viel Protein, besonders wenig Kohlenhydrate oder sind glutenfrei. Mittlerweile arbeiten bereits zehn Mitarbeiter für das Start-up.

Camper Active: Das Start-up aus Düsseldorf feiert sich aktuell für mehr als 10.000 Kunden. Die erreicht das junge Unternehmen mit formschönen und funktionalen Trenntoiletten, die es unter der Marke „Trelino“ vertreibt. Die Idee: Mit einem Trennsystem will Camper Active eine Alternative zu herkömmlichen Chemietoiletten bieten. Die Produkte sind vor allem bei der wachsenden Zahl von Camping-Urlaubern und Van-Besitzern beliebt.

Dermanostic: Die Anwendung des Düsseldorfer Start-up ermöglicht es besorgten Nutzern, Fotos von Hautveränderungen einzuschicken – Dermatologen liefern dann innerhalb eines Tages eine erste Diagnose und verkürzen so lange und gefährliche Wartezeiten auf einen Praxistermin. Die Gründer konnten Anfang dieses Jahres den Konsumgüterkonzern Beiersdorf als Investor gewinnen.

FibreCoat: Das Start-up, das seine Ursprünge an der RWTH Aachen hat, entwickelt günstige Alternativen für begehrte Materialien. Dazu zählen etwa Glasfasern mit Polymermantel oder Basaltfasern mit Aluminiummantel, die in Wachstumsbranchen wie der E-Mobilität dringend benötigt werden. Ende des vergangenen Jahres schloss FibreCoat seine erste Finanzierungsrunde ab und sammelte etwas mehr als 2,5 Millionen Euro ein.

FoxBase: Das Start-up nimmt sich die Vertriebsprozesse unter Geschäftskunden vor. Die dauern oft lange und erfordern viel Fachwissen der Verkäufer. Mit dem „Digital Product Selector“ der Düsseldorfer soll der Kaufprozess deutlich schneller abgewickelt werden können. Bei großen Unternehmen wie Henkel, Lanxess oder der Telekom ist die Software heute bereits im Einsatz.

Ianus Simulation: Das Start-up entstand bereits 2006 als Spin-off der Technischen Universität Dortmund. Das Unternehmen simuliert im Detail, wie Flüssigkeiten oder Luft durch Räume und Maschinen strömen. Das hilft vor allem Firmen aus der Kunststoff-, Pharma- und Lebensmittelindustrie. Während Corona kam ein neuer Anwendungsfall dazu: Die Mathematiker, Physiker und Ingenieure berechnen, wie sich Aerosole ausbreiten.

Livello: Das Start-up verortet sich selbst an der Schnittstelle von Food und Tech: Die Düsseldorfer entwickeln Automaten, in denen Salate, Sandwiches oder Bowls frischgehalten werden – als eine Alternative zur herkömmlichen Kantine im Büro. Eine Abteilung von Livello fokussiert sich komplett auf die technische Entwicklung von vernetzten Regalen und Schränken.

Physec: Die Bochumer sind Spezialisten für Cybersicherheit: Ihre Lösung sorgt dafür, dass Angreifer nicht unbemerkt auf Smart-Home-Geräte, Produktionsmaschinen oder auch Strom- und Wasserzähler zugreifen können. Das 2016 geründete Unternehmen ist eine Ausgründung aus dem renommierten Horst-Götz-Institut. Im vergangenen Jahr stieg das Versorgungsunternehmen Gelsenwasser als strategischer Investor bei Physec ein.

Sosafe: Das Kölner Start-up hat sich darauf spezialisiert, Konzerne und deren Mitarbeiter für die Gefahren von Cyberattacken zu sensibilisieren. 1500 Unternehmen greifen bereits auf Sosafe zurück – darunter sind bekannte Namen wie Aldi, Vattenfall oder Ceconomy. Anfang des Jahres erhielt das Start-up 65 Millionen Euro von internationalen Investoren wie Highland Europe – das Geld soll jetzt beim Sprung ins Ausland helfen.

Troy: Ein freundliches Gesicht für ein unangenehmes Thema: Das Start-up will den Inkassoprozess nutzerfreundlicher gestalten – und so dafür sorgen, dass Kunden nicht durch unangenehme Briefe verprellt werden. Ende 2020 stieg der Versicherungskonzern HDI bei Troy ein. Ende 2021 wiederum kam ein südafrikanischer Finanzdienstleister als Gesellschafter an Bord. Der soll dafür sorgen, dass die Lösung aus Lippstadt bald auch in anderen Ländern zum Einsatz kommt.

Vytal: Das Start-up aus Köln hat eine Mehrwegverpackung für die Gastronomie entwickelt. In über 1700 Restaurants in Deutschland, Österreich und Frankeich können Verbraucher heute bereits das Essen ohne Mehrkosten in den eigens entwickelten Behältern abholen – und haben 14 Tage Zeit, um sie bei einem anderen Vytal-Partner abzugeben. Gesetzliche Vorgaben sorgen dafür, dass immer mehr Unternehmen oder Kommunen auf der Suche nach Alternativen für Einwegverpackungen sind. Ihr erstes Investment holten sich die Vytal in der Fernsehshow „Die Höhle der Löwen“.

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