Post will die Produktion des Elektro-Transporters einstellen Das Streetscooter-Aus zeigt eine große Schwäche Deutschlands

Meinung | Bonn · Mit dem Streetscooter hat die Deutsche Post die Automobil-Industrie gehörig aufgemischt. Doch dann hat sie alle Chancen verspielt, aus dem Start-up einen wirklich großen Spieler zu machen. Damit steht sie stellvertretend für ein kulturelles Problem in Deutschland.

 Mehrere Fahrzeuge des Streetscooters werden an Ladesäulen „betankt“.

Mehrere Fahrzeuge des Streetscooters werden an Ladesäulen „betankt“.

Foto: Deutsche Post/ANDREAS KUEHLKEN

Wenn man bei Google die Worte „Streetscooter“ und „Daimler“ eingibt, schlägt die Suchmaschine automatisch die Ergänzung „Spionage“ vor. Tja, so war das noch im Jahr 2017. Damals war der Elektro-Transporter aus Aachen eine Sensation, die den großen Daimler-Konzern dazu veranlasste, sich heimlich ein Fahrzeug des neuen Konkurrenten zu verschaffen, um es zu testen.

Qualitativ hatte das Fahrzeug, das von den Professoren Günther Schuh und Achim Kampker entwickelt worden war, zwar einige Macken, aber das war egal: Während die etablierten Hersteller die Mobilitätswende sträflich verschlafen hatten, zeigten ein kleines Start-up und ein großer Logistikkonzern, wie man gemeinsam die Mobilität verändern kann.

Damit ist es nun vorbei. Am Freitag hat die Deutsche Post bekanntgegeben, dass sie die Produktion des vor Jahren übernommenen Streetscooters einstellen wird. Konzernchef Frank Appel war nicht mehr bereit, die hohen Millionen-Verluste in Kauf zu nehmen. Man habe immer gesagt, dass man kein Auto-Hersteller sein wolle, so der Manager.

Die Entscheidung produziert fast nur Verlierer. Freuen dürfen sich nur die etablierten Konzerne, die inzwischen Konkurrenzprodukte auf den Markt gebracht haben. Auch der damals so neugierige Daimler-Konzern ist heute mit einem E-Sprinter auf dem Markt unterwegs.

Eine bittere Nachricht ist das Streetscooter-Aus hingegen für die schwarz-gelbe Landesregierung, die seit ihrem Amtsantritt auf das Aachener Start-up verwies, wenn es darum ging, die Innovationskraft des Landes unter Beweis zu stellen.

Das Aus ist natürlich noch viel schmerzhafter für die Streetscooter-Mitarbeiter in der Produktion, die bald ihren Job verlieren werden. Und es ist eine schlechte Nachricht für die Region Aachen, die mit dem Streetscooter und dem ebenfalls von Günther Schuh entwickelten Elektroauto e.Go darauf hoffen konnte, zu einem neuen Zentrum der Automobil-Industrie zu werden.

Noch größer ist die Niederlage natürlich für die Deutsche Post. Sie hat hunderte Millionen Euro versenkt. Allein im vergangenen Jahr soll der Verlust des Streetscooter bei 100 Millionen Euro gelegen haben. Dem früheren Staatskonzern fehlte jahrelang der Mut, mit dem Streetscooter den wirklich großen Wurf zu wagen und das Start-up mit viel Geld und unternehmerischer Freiheit groß zu machen.

Stattdessen belegte das Unternehmen einmal mehr, warum so viele Start-ups davor zurückschrecken, sich unter das Dach von großen, bürokratischen Konzernen zu begeben. Wenn man sich das Ergebnis beim Streetscooter anschaut, hätte die Post das Geld stattdessen vielleicht besser in die Weiterentwicklung ihrer Logistikangebote gesteckt, wo Online-Händler wie Amazon sich immer weiter von den Bonnern emanzipieren. Oder man hätte die Millionen wenigstens alternativ für die Aufbesserung der Gehälter der Paket-Fahrer genutzt, das hätte zumindest diesen wohl mehr gebracht.

Die Post hat dem Wirtschaftsstandort Deutschland einen schweren Schlag versetzt. Das Aus der Streetscooter-Produktion belegt einmal mehr, wie schwer sich Unternehmen und Unternehmer hier tun, aus Start-ups wirkliche Schwergewichte aufzubauen. Neidisch schaut man auf den US-Elektrohersteller Tesla, der ebenfalls Verluste macht, aber von Investoren jahrelang gestärkt wurde und wird, weil sie an die große Vision glauben. Während der Streetscooter abgewickelt wird, ist Tesla inzwischen an der Börse mehr wert als der größte Autohersteller der Welt, Volkswagen.

Deutschland muss sich hingegen damit begnügen, sich über die Ansiedlung eines Tesla-Werks freuen zu dürfen. Es wirkt leicht schizophren, wie führende Köpfe in diesem Land einerseits neidvoll auf die Start-ups auf der anderen Seite des großen Teichs blicken, aber gleichzeitig jede Chance vor der eigenen Haustür leichtfertig verspielen.

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