300 Millionen Euro für Start-ups Cusp Capital – Ex-Team von Tengelmann Ventures startet neuen Fonds

Essen · Für Tengelmann haben Christian Winter und sein Team seit 2009 erfolgreich in Start-ups wie Zalando investiert. Das Verschwinden des Patriarchen Karl-Erivan Haub sorgte für eine Zäsur. Nun startet das Team alleine durch.

 Christian Winter ist General Partner bei Cusp Capital.

Christian Winter ist General Partner bei Cusp Capital.

Foto: Cusp Capital/Michael Godehardt

Wenn Rennfahrer in eine Kurve fahren, bremsen sie zunächst stark ab, richten den Blick am Scheitelpunkt Richtung Kurvenausgang und beschleunigen dann wieder stark. Blick nach vorne, Gas geben – darum geht es auch Christian Winter und seinem Team. Winter ist kein Rennfahrer, um Beschleunigung geht es aber auch in seinem Beruf. Als Risikokapitalgeber investiert er seit Jahren in Start-ups, die mit dem Geld rasanter wachsen und mehr Tempo aufnehmen können.

Jahrelang haben Christian Winter und sein Team unter dem Namen „Tengelmann Ventures“ in Start-ups investiert. Zalando, Delivery Hero, Uber, Klarna – aus vielen ihrer Investments sind Milliarden-Unternehmen geworden. Doch nach dem Verschwinden des langjährigen Tengelmann-Chefs Karl-Erivan Haub haben sich die Wege von Tengelmann und den Start-up-Investoren getrennt. Das Team um Christian Winter, Jan Sessenhausen, Helmut Klawitter und Wilken Engelbracht startet nun mit einem eigenen, mehr als 300 Millionen Euro schweren Fonds unter neuem Namen: Cusp Capital.

„Wir haben alles neu gemacht und wollen auch als neue Firma wahrgenommen werden“, sagt Winter: „Im Englischen bezeichnet man mit on the cusp den Wendepunkt einer Kurve – das passte sehr gut zu uns.“ Zu den Investoren zählen neben institutionellen Investoren wie dem European Investment Fund, KfW Capital, der RAG-Stiftung und der NRW.Bank auch zahlreiche Family Offices und Unternehmer. „Wir kennen Christian Winter und sein Team seit Jahren und haben schon mehrfach gemeinsam in erfolgversprechende Start-ups investiert. Wir schätzen die große Kompetenz, gepaart mit einer sehr guten kooperativen Zusammenarbeit“, sagt Thorsten Reuter, Teamleiter Venture & Seed Capital bei der NRW.Bank. Auch Tengelmann hat sich mit einem zweistelligen Millionenbetrag an dem Fonds beteiligt.

Es ist ein großer Erfolg für das Team am Ende einer anstrengenden Zeit. Fast zwei Jahre arbeitete das Team um Christian Winter an der Auflage des dritten Fonds (TEV III), bei dem erstmals auch externe Investoren aufgenommen werden sollten. Das sogenannte First Closing war von Tengelmann ursprünglich für das erste Quartal 2020 avisiert worden – doch schnell wurde klar, dass das nicht klappen würde.

Es war eine Vielzahl von Faktoren, die dabei eine Rolle spielte. An der Bilanz von Winter und seinem Team dürfte es nicht gelegen haben. Seit 2009 hatte Tengelmann in Start-ups investiert, nachdem man kurz zuvor den Discounter Plus für mehr als eine Milliarde Euro an die Supermarktkette Edeka verkauft hatte.

Bei einem Vortrag an der Hochschule WHU in Vallendar wurde damals ein junger Mann auf Karl-Erivan Haub aufmerksam: Oliver Samwer. „Im Oktober 2009 habe ich beschlossen: Den Herrn Haub rufe ich an und frage ihn mal, ob er nicht ein Unternehmen für seine Kinder aufbauen möchte“, erzählte Samwer Jahre später beim Tengelmann E-Day. So berichtet es jedenfalls der Journalist Hagen Seidel in seinem Buch über „Zalando“. Der 2008 gegründete Modehändler war das erste gemeinsame Investment von Oliver Samwer und den Tengelmännern. Es sollten viele weitere folgen.

Im Laufe der Jahre soll Tengelmann mehr als 400 Millionen Euro in Start-ups investiert und daran ein Vielfaches verdient haben. So hält das Unternehmen bis heute an vielen Start-up-Beteiligungen noch immer große Aktienpakete – die im vergangenen Jahr teilweise rasant im Wert gestiegen sind: Laut Internetseite ist man weiterhin unter anderem an Zalando beteiligt (111 Prozent Kurssteigerung in den vergangenen zwölf Monaten), an Delivery Hero (plus 80 Prozent) und an Westwing (plus 1000 Prozent). „Auch wenn es sich um unrealisierte Gewinne handelt, sind wir per Saldo hoch zufrieden mit unserem Portfolio und werden weiter in bestehende und neue Beteiligungen investieren“, sagte ein Tengelmann-Sprecher.

Doch nach dem Verschwinden von Karl-Erivan Haub richtete dessen Bruder Christian das Unternehmen neu aus, während gleichzeitig ein Familienstreit um das Erbe ausgebrochen ist. Aus dem Mülheimer Familienunternehmen wurde eine Art Family Office, unter dessen Dach die Beteiligungen an der Baumarkt-Kette Obi, dem Textil-Discounter Kik und verschiedenen Immobilien verwaltet werden. Die Start-up-Beteiligungen wiederum wanderten unter das Dach der Tengelmann Twenty-One KG nach München. Von dort aus will man laut einem Sprecher auch weiterhin in Start-ups investieren. „Der Weggang von Karl-Erivan Haub war eine Zäsur für Tengelmann. Doch schon vor seinem Verschwinden war klar, dass wir uns für andere Investoren öffnen wollten“, sagt Christian Winter.

Nun stellte man sich eben gänzlich neu auf. „In die Gründung von Cusp Capital sind unsere Erfahrungen als Investoren aus der vergangenen Dekade eingeflossen“, sagt Winter, General Partner von Cusp Capital. Mit dem neuen Fonds will man künftig hypothesengetrieben in neue Start-ups investieren. So sucht Cusp Capital unter anderem nach Start-ups, die einen nachhaltigen Ansatz verfolgen oder solchen, die digitale Angebote für breitere Bevölkerungsschichten mit geringem Einkommen entwickeln. Das Team ist überzeugt, dass ein Großteil der heute digital angebotenen Produkte und Dienstleistungen an dieser Zielgruppe bislang vorbeigeht. Allein in diesem Jahr sind fünf bis sechs Investments geplant. „Es ist inzwischen wahnsinnig viel Geld im Markt. Dadurch muss man bei der Auswahl der Start-ups noch sorgfältiger sein. Wir fokussieren uns aber weiter auf die frühen Phasen, also Series A bzw. eine frühe Series B und auch Seed ist für uns interessant, wenn ein Geschäftsmodell exakt eine unserer Investmenthypothesen trifft“, sagt Christian Winter.

Bei der Suche nach diesen Start-ups setzt man auf Teile des alten TEV-Teams. Der Fonds startet mit sieben Mitarbeitern. Hauptsitz ist weiterhin Essen, ein weiteres Büro gibt es in Berlin. Aktuell arbeitet das Team pandemiebedingt fast ausschließlich im Homeoffice, langfristig kann man sich allerdings auch vorstellen, in das neu geplante Start-up-Zentrum in Essen zu ziehen. „Wir könnten uns sehr gut vorstellen, ins Colosseum zu ziehen, wenn es irgendwann fertig umgebaut ist“, sagt Christian Winter über das alte Theater im Herzen der Stadt. Der Standort im Ruhrgebiet soll dabei einhergehen mit einer intensiven Suche nach Start-ups aus der Region: „Wir waren schon zu TEV-Zeiten der größte Risikokapitalgeber im Ruhrgebiet – und wollen uns hier natürlich auch weiterhin stark engagieren. Das ist nicht nur unsere Heimat, sondern auch eine spannende Region.“

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