Spitzelaffäre Siemens will Schlussstrich

München (RP). Aufsichtsratschef Gerhard Cromme tut, was von ihm erwartet wird: Er räumt auf. Und zwar gründlich. Den Ex-Vorständen von Siemens verschlägt es die Sprache.

2008: Siemens-Prozess - zehn Dinge, die Sie wissen müssen
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Foto: AP

Das hat es in der deutschen Wirtschaftsgeschichte noch nicht gegeben. Erstmals zerrt ein Dax-Konzern seine eigene Ex-Führung vor Gericht. Siemens hält das Versagen der ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Klaus Kleinfeld und Heinrich von Pierer für so gravierend, dass die beiden jetzt mit privatem Geld den von ihnen angerichteten Schaden ausgleichen sollen.

Auf jeweils mehrere Millionen Euro sollen sich die Schadensersatz-Forderungen belaufen, die der Siemens-Aufsichtsrat gestern beschlossen hat. Das Kontrollgremium selbst, das die Mitarbeiter und die Eigentümer des Technologie-Konzerns repräsentiert, nannte öffentlich keine Summe. Wohl aber neun weitere Namen, von denen der Konzern Millionen einklagen will: ausnahmslos Zentralvorstände. Alles Wirtschafts-Generäle, die es gewöhnt sind, dass selbst ihre Sekretärinnen nach Belieben Frisöre, Zahnärzte, Autowäscher und Abteilungsleiter für den Chef stramm stehen lassen können.

Entsprechend klappte Siemens-Chef von Pierer gestern auch die Kinnlade. Der einstige Chefberater von Angela Merkel, der fünffache Ehrendoktor und Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes, ließ den Beschluss des Aufsichtsrates per Anwalt als "Kriegserklärung” bezeichnen, die er "mit großer Betroffenheit und Bedauern” hinnehme. Er werde sich gegen die Vorwürfe wehren. Von Pierers Nachfolger Kleinfeld, der inzwischen einen amerikanischen Aluminiumkonzern führt, schwieg.

Der Aufsichtsrat wirft den Managern der Jahre 2003 bis 2006 vor, ihre Organisations- und Aufsichtspflichten vernachlässigt zu haben. Unter den Augen der Vorstände sollen im bisher größten deutschen Schmiergeldskandal 1,3 Milliarden Euro in dunklen Kanälen verschwunden sein. Den Folgeschaden aus Strafen, Beraterkosten und Steuernachzahlungen bezifferte Siemens kürzlich auf knapp zwei Milliarden Euro.

Die Bombe platzte im November 2006. Hunderte von Polizeibeamten, Staatsanwälten und Steuerfahndern stürmten die Siemens-Büros. Es folgten Verhaftungen aktiver und ehemaliger Siemens-Vorstände, Geständnisse, der freiwillige Rücktritt von Pierers, der erzwungene seines Nachfolgers Kleinfeld und vorgestern die erste Bewährungsstrafe gegen einen nachrangigen Mitläufer. Heute ist klar: Siemens hat nicht nur jahrelang aus Geheimkassen heraus Kunden in aller Welt bestochen. Sondern auch die AUB, eine Pseudo-Gewerkschaft, mit der Siemens sich die IG Metall vom Leib halten wollte.

Aber Cromme geht es nicht um ein weiteres Denkmal für sich. Er denkt an die us-amerikanische Börsenaufsicht, die ebenfalls ermittelt und im Herbst ein Strafmaß für den Siemens-Konzern vorschlagen wird. Der resolute Aufsichtsrat soll die Amerikaner milde stimmen.

(RP)
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