Hunderte Mitarbeiter werden zurückgeholt RWE stoppt Frühverrentung in der Kohle wegen längerer Laufzeit

Düsseldorf · Die Gas-Krise spitzt sich zu. Die Netzagentur mahnt: Die Gas-Versorgung im Winter ist nicht gesichert. RWE stoppt nun die Frühverrentung, um Kraftwerke im rheinischen Revier länger laufen lassen zu können. Uniper prüft die Verlängerung und sorgt sich um die Speicher.

 Der Tagebau Garzweiler.

Der Tagebau Garzweiler.

Foto: dpa/Federico Gambarini

Die Gas-Krise spitzt sich durch Russlands Drosselung der Lieferungen weiter zu. „Die Lage ist angespannt“, erklärte die Bundesnetzagentur. Im Moment sei die Gasversorgung in Deutschland stabil. Aber wie lange noch? Die Pläne von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), nun Gas durch den verstärkten Einsatz von Kohlekraftwerken zu sparen, haben weitreichende Folgen für NRW.

RWE Der Energiekonzern stoppt nun die Frühverrentung von Mitarbeitern, die mit der Stilllegung von drei Braunkohle-Blöcke eigentlich in den Vorruhestand gehen sollten, und will auch neue Mitarbeiter einstellen: „RWE Power wird ihre Personalplanung in Kraftwerken und Tagebauen an die neue Einsatzbereitschaft anpassen. Das umfasst mehrere hundert Stellen“, sagte die RWE-Sprecherin unserer Redaktion. „Der absehbar höhere Personalbedarf wird dadurch gedeckt, dass Mitarbeiter stellenweise erst später als bisher geplant über das sogenannte Anpassungsgeld (APG) in den vorgezogenen Ruhestand gehen können.“ Zudem soll der Personalbedarf über Einstellung von Ausgebildeten und vom externen Arbeitsmarkt gedeckt werden. RWE Power verfügt über drei Kraftwerksblöcke mit je 300 Megawatt, die derzeit in der sogenannten Sicherheitsbereitschaft sind.

Der Arbeitsdirektor der RWE Power, Kemo Razanica,forderte vom Bund, dass die Mitarbeiter trotzdem ihren Anspruch auf das Anpassungsgeld behalten. „Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nun anders als geplant temporär noch weiter zur Gewährleistung der Reserve arbeiten werden, müssen ihren Anspruch auf das Anpassungsgeld behalten. Wir werden nun in enger Abstimmung mit den Betriebsräten verlässliche Lösungen finden“, sagte er unserer Redaktion. Zugleich begrüßte der Chef von RWE Power, Frank Weigand, Habecks Pläne: „Die Bundesregierung will zur Vorbereitung auf eine Gaskrise zusätzlich Gas einsparen und dafür unter anderem die Sicherheitsbereitschaft von Braunkohlekraftwerken verlängern. RWE wird ihrer Verantwortung nachkommen und alle erforderlichen Vorbereitungen für einen möglichen Einsatz treffen.“ Dennoch stehe RWE weiterhin zum Kohleausstieg.

Uniper Auch Deutschlands größter Gas-Importeur ist besorgt. „Es ist eine angespannte Lage“, sagte Uniper-Chef Klaus-Dieter Maubach. Uniper erhalte derzeit weniger als die Hälfte der vereinbarten Gas-Mengen. Sollte es so bleiben, könne es schwierig werden, die Speicher weiter zu befüllen. Aktuell sind die Speicher in Deutschland zu knapp 58 Prozent gefüllt. Der Füllstand des größten deutschen Speichers in Rehden beträgt knapp zwölf Prozent. Auch Uniper will nun Kohlekraftwerke länger laufen lassen. Eigentlich war der Plan, ab 2024 nur noch das Kraftwerk in Datteln zu betreiben und andere wie Gelsenkirchen-Scholven, Heyden, Staudinger vom Netz zu nehmen. Bei dem Kraftwerk in Wilhelmshaven sei hingegen „der Point of no return“ erreicht, so Maubach. „Ebenso wie die Bundesregierung sehen wir, dass wir uns in einer absoluten Ausnahmesituation befinden“, so der Uniper-Sprecher. „Daher sind kurzfristig ungewöhnliche Maßnahmen notwendig, zum Beispiel die Re-Aktivierung von Kohlekraftwerken, damit man den Gasverbrauch entsprechend absenken kann.“

Chemie Zugleich laufen Gespräche, damit Henkel und Evonik die Kohlekraftwerke auf ihrem Gelände in Düsseldorf beziehungsweise Marl weiter betreiben und nicht durch Gaskraftwerke ersetzen müssen. Der Leverkusener Kunststoffkonzern Covestro sieht kurzfristig keine Chance, Energie in nennenswertem Umfang zu sparen. Punktuell prüft Covestro die Möglichkeit, Energie aus anderen Quellen als Gas zu gewinnen - etwa in Dampfkesseln im Werk Brunsbüttel, die sich auch mit Öl betreiben ließen. Dies könnte aber frühestens Ende des Jahres umgesetzt werden, so Reuters.

Experten-Meinung Ökonomen begrüßen den Plan von Habeck. „Es ist völlig richtig, dass der technisch komplizierte Ausstieg aus dem russischen Gas vorbereitet wird, um möglichen Liefereinschränkungen durch Gazprom etwas entgegenzusetzen, da die Industrie (Chemie, Glas, Papier, Stahl, Nahrungsmittel vor allem) kurzfristig komplizierte Anpassungen kaum leisten kann“, sagte Hüther unserer Redaktion. „Für die gesamte Industrie liegt die kurzfristig - bis Jahresende - mögliche Reduktion bei rund acht Prozent des Gaseinsatzes. Deswegen müssen andere Verbräuche gesenkt werden, vor allem sollte wo immer möglich der Einsatz von Gas in der Stromproduktion durch andere Quellen ersetzt werden.“ Hüther regt an, eine längere Laufzeit von Atomkraftwerken zu prüfen: „Dazu gehört aber auch die Prüfung, die drei letzten Atomkraftwerke länger laufen zu lassen.“

Der Energieexperte des RWI-Leibniz-Institutes für Wirtschaftsforschung, Manuel Frondel, weist auf die Grenzen von Habecks Vorschlag hin: „Das Umsteigen von Erdgas auf Kohle in der Stromerzeugung ist leichter gesagt als getan. Ein sehr hoher Prozentsatz an Gaskraftwerken läuft aber in Kraftwärmekopplung und diese können wegen der benötigten Wärmeproduktion nicht einfach abgeschaltet werden“, sagte Frondel. „Da, wo es leicht möglich ist, ist es aus wirtschaftlichen Gründen schon erfolgt: Die Kohleverstromung ist wegen der hohen Erdgaspreise aktuell deutlich günstiger.“ Frondel kann sich eine Verlängerung bei den Atomkraftwerken vorstellen: „Auch wenn ich kein großer Freund von Kernkraft bin, sollte in der jetzigen Engpasssituation darüber nachgedacht werden, den verbliebenen drei Kernkraftwerken eine Verlängerung der Laufzeiten zu gewähren, aber nicht einfach für einige wenige Jahre. Vielmehr sollten diese eine Dekade und länger laufen dürfen.“

Bei den privaten Haushalten sieht IW-Chef Hüther dagegen kaum Potenzial für verordnete Abschaltungen. „Die öffentliche Verwaltung, Unternehmen, aber auch Schwimmbäder können ab Herbst beim Heizen sparen (minus zwei Grad). Bei den privaten Haushalte kann man hingegen nur mit Appellen arbeiten, da die Heizungen – außer bei Fernwärme - nicht zentral reguliert werden können.“ Es sollte alles versucht werden, um über weitere schwimmende LNG-Terminals mehr Gas zu ordern.

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