Interview mit Ex-BDI-Chef Heinrich Weiss "Politik für uns nicht so wichtig"

Düsseldorf (RP). Der ehemalige BDI-Präsident und Chef der Düsseldorfer SMS-Group, Heinrich Weiss, erklärt die neue Distanz von Politik und Wirtschaft mit inhaltlichen Konflikten und dem Bedeutungsverlust nationaler Gesetze.

 Heinrich Weiss sorgt sich auch um die Ausbildung der Ingenieure in Deutschland - er ist selber einer.

Heinrich Weiss sorgt sich auch um die Ausbildung der Ingenieure in Deutschland - er ist selber einer.

Foto: Andreas Krebs

Was läuft schief zwischen Wirtschaft und Politik in Deutschland?

Weiss Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat die Produktion in Deutschland mit einer Reihe von ökologisch motivierten Entscheidungen über das Maß unserer Konkurrenzländer hinaus verteuert. Aktuell zeichnet sich als Reaktion auf die Katastrophe von Fukushima ein überstürzter Ausstieg aus der Atomenergie ab, was zu erheblich höheren Energiekosten führen und von keinem anderen Industrieland verstanden wird. Große Teile der Wirtschaft sind von der Konzeptlosigkeit der Bundesregierung — und speziell von der FDP — enttäuscht.

Sie selbst engagierten sich im NRW-Wahlkampf für die FDP. Ein Fehler?

Weiss Bundeswirtschaftsminister Brüderle schätze ich sehr. Er ist für mich einer der letzten Ordnungspolitiker in Deutschland, der zum Beispiel eine teure Fehlentscheidung der Regierung im Fall Opel verhindert hat. Aber abgesehen von ihm hat die FDP eine inhaltliche und auf der Führungsebene eine personelle Krise. Heute würde ich wohl wieder CDU wählen.

Warum?

Weiss Weil gar nicht wählen eine noch schlechtere Alternative wäre.

Das klingt nach Distanz, die viele Manager zur Politik haben.

Weiss Das Verhältnis von Wirtschaft und Politik war schon enger. Das liegt aber auch daran, dass die deutsche Politik für die Wirtschaft nicht mehr so entscheidend ist. Unsere Gruppe zum Beispiel macht 90 Prozent ihrer Umsätze im Ausland. Im Zeitalter der Globalisierung sind nationale Vorgänge nicht mehr so wichtig. Die Distanz zum Mittelstand ist besonders groß, weil die Bundespolitik ihre Kontakte zur Wirtschaft primär über die Chefs der Dax-Konzerne pflegt, die aber nur einen kleineren Teil der Wirtschaftsleistung erbringen. Von erheblicher Bedeutung sind für uns allerdings die Bildungs-, Sozial- und die Steuerpolitik.

Sind Sie denn wenigstens damit zufrieden?

Weiss Die Ingenieure sind mit der Abschaffung des Diplom-Studienganges nicht besser geworden. Der Bachelor ist eine Schmalspur-Ausbildung, die wirklich guten Studenten satteln sowieso den Master drauf. Ich wünsche mir den guten alten Diplom-Ingenieur zurück.

Als globaler Konzern sind Sie auch von der Währungspolitik betroffen...

Weiss Nicht so stark, wie es scheint. Ein schwacher Euro macht uns zwar konkurrenzfähiger im Ausland, eine starke Währung zwingt uns aber auch, immer besser zu werden. Dies hat über lange Zeit zu unserer beneideten Stellung im Export geführt. Der Euro ist nun vor allem ein Problem für die Bürger.

Inwiefern?

Weiss Voraussetzung für die Einführung des Euro hätte eine Koordinierung der Finanz- und Wirtschaftspolitik sein müssen, so, wie die Verträge von Maastricht es vorsahen, und eine Einhaltung der vereinbarten Stabilitätskriterien. Damit wäre es nie zu den Schieflagen gekommen, die wir jetzt in Griechenland, Portugal und demnächst vielleicht auch Italien sehen. Die riesigen Rettungspakete, die nun geschnürt werden müssen, und die nicht mehr vermeidbare Transferunion wird der Bürger mittelfristig in Form einer deutlichen Inflation und in einem Rückgang des Lebensstandards spüren.

Warum wurde der Euro vorschnell eingeführt?

Weiss Das geschah auf Druck der Franzosen, anfangs sogar gegen den Willen des Ex-Kanzlers Helmut Kohl. Er gab dem Druck nach, weil er sonst keine Zustimmung zur deutschen Wiedervereinigung erhalten hätte. Zynisch betrachtet könnte man das als verspätete Reparationsleistung bezeichnen.

Wie überstand SMS die Krise?

Weiss Die Auftragseingänge brachen bei uns im August 2008 um über 50 Prozent ein. Das hatte ich noch nie erlebt. Inzwischen hat die Erholung eingesetzt, wir sind aber noch nicht wieder auf Vor-Krisenniveau.

Plant die SMS Group Zukäufe?

Weiss Wir sind liquide und verfügen über ausreichendes Eigenkapital. Für Übernahmen könnten wir bis zu 800 Millionen Euro mobilisieren.

Welche Bereiche schauen Sie sich an?

Weiss Firmen, die dieselben Kunden haben wie wir oder solche, bei denen wir unsere ingenieur- und fertigungstechnische Kompetenz einbringen könnten, um Synergien zu erzielen. Da es den Firmen aber heute bereits wieder so gut geht, finden sich kaum Objekte.

Wenn die ganze Welt auf Ihren Anlagen Stahl erzeugt, warum sollte deutscher Stahl dann immer noch besser sein als chinesischer?

Weiss Die modernsten Anlagen stehen tatsächlich inzwischen in China, Indien oder Russland. Aber in den alten Industrieländern ist das Wissen der Stahlhersteller noch größer, und das sichert zurzeit noch technischen Vorsprung.

Haben Sie Schwierigkeiten, Nachwuchs zu finden?

Weiss Einen großen Teil des Nachwuchses bilden wir selbst aus und fördern die jungen Menschen, beispielsweise durch ein berufsbegleitendes Studium im Anschluss an die Lehrzeit. Bei dem darüber hinausgehenden Bedarf an Spezialisten für unsere Anlagen spüren wir bereits den Ingenieurmangel und suchen Fachkräfte.

Ist es schwierig, qualifizierte Fachkräfte an Ihren Produktionsstandort Hilchenbach zu locken?

Weiss Ja. Hilchenbach ist für junge Ingenieure oft nicht so attraktiv wie etwa Düsseldorf. (lacht) Aber immer noch besser als Köln.

Martin Kessler und Thomas Reisener führten das Gespräch

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort