Interview mit dem neuen Chef der Krankenkasse "Nur eine AOK in Deutschland"

Günter Wältermann führt seit 1. Juli die AOK Rheinland/Hamburg. In seinem ersten Interview spricht er über die langen Wartezeiten bei rheinischen Ärzten und regt die Zusammenlegung aller AOKen an.

 Günter Wältermann löste bei der AOK Wilfried Jacobs ab.

Günter Wältermann löste bei der AOK Wilfried Jacobs ab.

Foto: Endermann, Andreas

Sie haben einst bei der AOK Düsseldorf als Lehrling angefangen, seit drei Wochen sind Sie Chef der AOK Rheinland/Hamburg. Ein gut geplanter Aufstieg?

Wältermann: Nein, Karriere lässt sich so genau nicht planen. Ich habe immer gerne gearbeitet und mich für Menschen eingesetzt. Besonders geprägt hat mich die Zeit nach dem Fall der Mauer als Aufbauhelfer der Krankenversicherung in Leipzig und meine Begleitung der Fusion der AOK Hamburg und der AOK Rheinland.

Ihr Vorgänger Wilfried Jacobs hat die Kasse 18 Jahre lang geführt. Was wollen Sie als erstes anpacken?

Wältermann: Herr Jacobs hat die AOK bestens aufgestellt. Den Menschen in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen, das ist unsere Philosophie. Nun wollen wir den Service weiter ausbauen. Wir wollen das Entlassmanagement nach Klinikaufenthalten deutlich verbessern, die Krebsvorsorge ausbauen, uns für Schwerstkranke einsetzen und die bisher schon überdurchschnittlichen Öffnungszeiten unserer Geschäftsstellen erweitern.

Wie wollen Sie die Krebsvorsorge erweitern?

Wältermann: Die Vorsorgeuntersuchungen die bereits angeboten werden, sind von der Inanspruchnahme her sehr unterschiedlich. Wir wollen als erstes erreichen, dass die angebotenen Vorsorgeuntersuchungen konsequenter von unseren Kunden wahrgenommen werden. Des Weiteren prüfen wir, wo wir die vorhandenen Vorsorgeuntersuchungen sinnvoll ergänzen oder sie früher anbieten können.

Ärger verursachen regelmäßig die Wartezeiten bei Fachärzten. Wo gibt es die größten Probleme?

Wältermann: Die längsten Wartezeiten gibt es bei Augenärzten, Orthopäden, Radiologen und Psychotherapeuten. Im Kreis Kleve etwa müssen Kassenpatienten über ein halbes Jahr auf einen Termin beim Psychotherapeuten warten. Das ist für mich untragbar. Wir sprechen hier über Menschen in Krisensituationen und hier müssen wir dringend eine Lösung finden.

Brauchen wir mehr Ärzte im Rheinland?

Wältermann: Nein, nicht zwingend. Wir haben in allen Fachgebieten im Rheinland eine gute Versorgung. Doch sollte z. B. der Verkauf medizinisch fragwürdiger Zusatzleistungen zugunsten einer intensiveren Patientenberatung zurückgefahren werden. In der Psychotherapie etwa haben wir zu viele Einzeltherapien, oft würden auch Gruppentherapien den Kranken helfen. Auch können kürzere Therapien angemessener sein als Langzeittherapien.

Wollen Sie schnelle Ärzte belohnen oder langsame Ärzte bestrafen?

Wältermann: Davon halte ich nichts. Geld ist hier ein schlechter Motivator. Wir wollen uns mit der Kassenärztlichen Vereinigung zuerst auf einen Leistungsstandard bezgl. des Zuganges verständigen und die Einhaltung dann auch nachhalten: Wir fordern, dass sich Ärzte verpflichten, Patienten, die keine Notfallpatienten sind, spätestens innerhalb drei Wochen einen Facharzttermin anzubieten.

Die Wirtschaft boomt, die AOK macht Überschüsse. Wann schütten Sie Geld an Ihre Mitglieder aus, wie es Gesundheitsminister Bahr wünscht?

Wältermann: Wir machen auch 2012 einen Überschuss, doch den werden wir in den Ausbau der Leistungen für Schwerstkranke, den Ausbau des Serviceangebotes und in die Reserven für die Zukunft investieren und genau in dieser Reihenfolge. Nachhaltigkeit ist das Stichwort. Damit können wir versprechen, dass es 2012 und 2013 keinen Zusatzbeitrag geben wird. Auch in das Jahr 2014 können wir ohne Zusatzbeitrag gehen. Und das, obwohl wir eine enorme Ausgabendynamik erwarten und die wirtschaftliche Entwicklung der nächsten Jahre durchaus mit Sorge betrachtet werden muss. Keine Schnellschüsse heute zulasten der Zukunft.

Welche Ausgabendynamik?

Wältermann: Das neue Versorgungsgesetz verpflichtet uns zu einer deutlichen Ausgabenerhöhung im Bereich der Zahnärzte. Das bedeutet allein für die AOK Rheinland/Hamburg jährlich Zusatzkosten im zweistelligen Millionen-Bereich. Gleiches gilt für den Bereich der niedergelassenen Ärzte. Es wäre wesentlich besser investiert, wenn der Patient davon etwas spüren würde, aber vorerst finanzieren wir nur die bisherigen Strukturen. Wir müssen darauf achten, dass wir nur dann Geld in die Hand nehmen, wenn die Qualität der Versorgung für den Patienten auch tatsächlich gesteigert wird.

Vor einem Jahr machte die Düsseldorfer BKK für Heilberufe Pleite. Wohin sind die Versicherten gegangen?

Wältermann: Anders als bei der Pleite der City BKK in Hamburg und Berlin wurden die Versicherten hier nirgends abgewiesen und das ist gut so. Die AOK Rheinland/Hamburg hat 15 000 Versicherte der BKK für Heilberufe aufgenommen, sowie 30 Beschäftigte der BKK eingestellt.

Wie viele Versicherte haben Sie nun?

Wältermann: Seit 2008 steigt die Zahl stetig und immer mehr Kunden schenken uns ihr Vertrauen. Derzeit haben wir 2,9 Millionen Versicherte und sind damit die größte Krankenkasse in NRW. Nun streben wir an, auf drei Millionen zu wachsen. Wir sind gut in der Fläche mit 110 Geschäftsstellen aufgestellt, unser Service wurde bereits mehrfach ausgezeichnet und wir werden diesen weiter ausbauen.

Erwarten Sie künftig wieder neue Pleiten?

Wältermann: Wenn die Konjunktur sich eintrübt und die Beitragseinnahmen sinken, wird es auch Fusionen und Schließungen von Krankenkassen geben.

Werden Sie einen neuen Anlauf nehmen, um mit der AOK Nordwest zu fusionieren? Wältermann: Das ist kein Thema. Beide Kassen sind sowohl am Markt als auch finanziell gut aufgestellt und brauchen keine Fusion. Sinnvoller ist es, mittelfristig einen großen Wurf zu machen und alle 11 AOKs zu einer AOK für ganz Deutschland zusammenzubringen. Mit der Bundes-AOK würde ein gemeinsames Dach für 24 Millionen Versicherten entstehen. Die Regionalität bliebe erhalten.

Was bringt eine Bundes-AOK den Versicherten?

Wältermann: Ein solcher Zusammenschluss hätte viele Gestaltungsmöglichkeiten gegenüber Pharmaherstellern, Krankenhäusern und Ärzten. Für das gleiche Geld könnten mehr Leistungen eingekauft werden und es würde unseren Kunden bundesweit einen einheitlicheren Service bieten.

Die Bundesregierung will Bürger mit einem Zuschuss animieren, eine private Pflegeversicherung abzuschließen. Wie sinnvoll ist ein solcher Pflege-Riester?

Wältermann: Die Pflege ist die drängenste Frage, der sich die Gesellschaft in Zukunft stellen muss. Daher muss sich jeder darüber Gedanken machen, wie er das Risiko absichern kann. Die fünf Euro pro Monat sind ein Zuschuss für die private Pflegezusatzversicherung und helfen den Menschen nicht. Richtig ist aber daran, dass in Zukunft etwas zur Absicherung des Pflegerisikos getan werden muss.

Was ist Ihr Wunsch an die neue Landesregierung?

Wältermann: In NRW gibt es ca. 15.000 Klinik-Betten zu viel. Um diese auszulasten, neigen Kliniken dazu, überflüssige Operationen und Untersuchungen anzubieten. Ich wünsche mir, dass die Gesundheitsministerin den Abbau entschlossen angeht. Dieser Umbau sollte auch zugunsten des ambulanten Vorsorgung erfolgen. Ich erwarte, das wir im Land den gesetzlichen Anspruch auf einen Termin für eine zeitnahe fachärztliche Versorgung möglichst bald regeln. Das Land NRW hat sich gemeinsam mit der AOK Rheinland/Hamburg für die Konkretisierung dieses Anspruches im Gesetz eingesetzt. Jetzt sollten wir es auch umsetzen.

Antje Höning führte das Interview.

(RP/das)
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