Tickende Zeitbombe Fukushima Kriegt Tepco die Risiken in den Griff?

Tokio · Es soll der Beginn des Endes der Katastrophe in Fukushima sein. Fast drei Jahre nach dem Super-Gau im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi hat die Bergung der ersten Brennstäbe aus einem Abklingbecken begonnen. Kritiker warnen vor immensen Gefahren, doch der Betreiber wiegelt ab.

Nuklearkatastrophe von Fukushima: Kriegt Tepco die Risiken in den Griff?
Foto: afp, TEPCO

Für den Atomkraftgegner Harvey Wasserman ist es der "gefährlichste Moment für die Menschheit" seit dem drohenden Atomkrieg während der Kuba-Krise zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion. Wassermans warnende Worte gelten der Bergung von rund 1500 Brennstäben aus einem Abklingbecken des schwer beschädigten Reaktorgebäudes 4 der Atomruine von Fukushima, mit der am Montag nach langen Vorbereitungen begonnen wurde. Fast drei Jahre nach der Katastrophe infolge eines schweren Erdbebens und Tsunamis vom 11. März 2011 hat das Verfahren zur Stilllegung des Unglückskraftwerks begonnen. Ein Prozess voller Risiken, der Jahrzehnte dauern wird.

Schon bald nach der Beginn der Katastrophe hatte es besorgte Stimmen gegeben, die vor der Lage in dem Reaktorgebäude 4 warnten. Einer der prominentesten Kritiker ist der frühere japanische Botschafter in der Schweiz, Mitsuhei Murata. Sollte es in dem in 30 Meter Höhe auf wackeligem Fundament stehenden Abklingbecken zu einem weiteren Unfall kommen, so warnte Murata früh, drohe eine noch viel größere Katastrophe von globalem Ausmaß. Der amerikanische Anti-Atom-Aktivist Wasserman schürt die Ängste weiter: In dem Becken befänden sich rund 400 Tonnen Brennstoff, die mehr als das 15 000-Fache an Radioaktivität der Atombombe von Hiroshima freisetzen könnten.

Experten halten solche Horrorszenarien für maßlos übertrieben und verweisen darauf, dass seit Beginn der Katastrophe fast drei Jahre vergangen und die Brennstäbe in dem Becken inzwischen deutlich abgekühlt seien. Viele Japaner sind froh, dass die Bergung nun endlich begonnen hat. Es mag Gefahren geben, aber schließlich habe man keine Alternative, als die Brennstäbe herauszuholen.

Dass der erste Tag der Bergungsarbeiten nach Angaben von Tepco ohne Probleme verlief, stimmt zuversichtlich. Doch das Ende ist noch lange nicht in Sicht. "Abgebrannter Brennstoff birgt potenziell ein sehr großes Risiko", sagt der Chef der Atomaufsichtsbehörde, Shunichi Tanaka. Er warnt unter anderem vor den noch im Becken liegenden kleinen Trümmerteilen, die sich beim Herausholen der Stäbe verkeilen könnten.

Für alle Eventualitäten vorbereitet?

Glaubt man dem Betreiber Tepco, ist für alle Eventualitäten vorgesorgt. Der Konzern hat eine massive Stahlkonstruktion mit einem ferngesteuerten Kran an dem beschädigten Reaktorgebäude errichten lassen, um die Brennstäbe herauszuholen und mit Hilfe eines castorähnlichen Behälters umzulagern. Auch für den Fall, dass es zu einem weiteren starken Erdbeben wie erst kürzlich wieder kommt und der Behälter in dem Moment gerade in der Luft hängen sollte, sei man vorbereitet. Sogar wenn der Behälter versehentlich herunterfallen und die gesamten radioaktiven Substanzen austreten sollten, soll nach den Modellanalysen von Tepco keine neue Katastrophe drohen.

Doch nicht jeder gibt sich mit den Beteuerungen von Tepco zufrieden. "Es ist ziemlich sicher, dass Probleme verschiedenster Art auftreten werden, aber ich denke, dass Tepco nicht genügend Sicherheitsmaßnahmen getroffen hat", meint Hideyuki Ban von der Anti-Atom-Bürgerorganisation Citizens Nuclear Information Center.
Das tiefe Misstrauen rührt auch von den vielen Pannen und Fehlern her, die Tepco in den vergangenen Monaten beim Umgang mit den täglich steigenden Massen an verseuchtem Wasser unterlaufen sind - ein Problem, das manche Beobachter als noch viel ernster ansehen als die Bergung der Brennstäbe aus dem Abklingbecken des Reaktors 4.

Rund 1000 Tanks hat Tepco auf dem Gelände der Atomruine aufgestellt, um das aus der Kühlung der Reaktoren 1 bis 3 stammende Wasser zu lagern. Doch durch zufließendes Grundwasser wird es täglich mehr. In jüngster Zeit kam es wiederholt zu Lecks, weil Tepco in Eile Hunderte Tanks aufstellen ließ, die einfach mit Metallringen zusammengeschraubt sind und langsam nicht mehr halten. In anderen Fällen liefen Tanks versehentlich über; Arbeiter bekamen verseuchtes Wasser ab. All dies hat das Vertrauen in Tepcos Fähigkeit, die Krise allein zu meistern, bei vielen stark sinken lassen. Bleibt nur zu hoffen, dass Japan und der Welt eine neue Katastrophe erspart bleibt.

(dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort