Nach zahlreichen Corona-Fällen Aus für Werkverträge in der Fleischindustrie

Düsseldorf · Nach Corona-Fällen in der Branche verschärft die Bundesregierung die Arbeits- und Gesundheitsschutzvorschriften zum 1. Januar 2021. Eine Mehrheit der Verbraucher wäre Umfragen zufolge bereit, mehr Geld für Fleisch auszugeben.

 Der Fleischverarbeiter Westfleisch in Coesfeld. (Archiv)

Der Fleischverarbeiter Westfleisch in Coesfeld. (Archiv)

Foto: dpa/Marcel Kusch

Die Bundesregierung zieht tiefgreifende Konsequenzen aus den Corona-Infektionen bei Beschäftigten der Fleischindustrie und ahndet damit auch jahrelange Verstöße gegen den Arbeits- und Gesundheitsschutz in der Branche. Ab Januar 2021 werden Werkverträge – sie erschweren durch verschachtelte Beschäftigungsverhältnisse mit Ketten von Subunternehmern Haftung und Kontrolle – weitgehend verboten. Das Schlachten und Verarbeiten von Fleisch ist dann nur noch mit eigenen Beschäftigten des Betriebes zulässig. Das teilte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am Mittwoch in Berlin nach dem entsprechenden Kabinettsbeschluss mit. Der Bußgeldrahmen bei Verstößen gegen die Arbeitszeitvorschriften steigt von 15.000 auf 30.000 Euro. Die Arbeitszeit wird künftig digital erfasst.

In der Fleischindustrie arbeiten Heil zufolge 50 bis 80 Prozent der Beschäftigten mit Werkverträgen, die meisten von ihnen Osteuropäer. Häufig lebten sie unter unwürdigen Zuständen in Sammelunterkünften. Die Länder sollen die Kontrollen zur Einhaltung der Gesundheitsstandards verschärfen und Prüfquoten erfüllen. Ferner müssten ausländische Arbeitskräfte in ihrer Muttersprache über ihre Rechte aufgeklärt werden.

Heil mahnte: „Es ist kein Hexenwerk, Beschäftigte anzustellen.“ Ausgenommen von der Regelung seien Metzger auf dem Land, also Bioschlachter, Hausschlachter und Schlachterhandwerker an der Theke im Supermarkt. Der Minister rechnet nach eigenen Worten damit, dass Lobbyisten Verfassungsbedenken gegen die Entscheidung vorbringen werden, bewertete das aber bereits als „klassisches Totschlagargument“. Heil: „Es ist nicht verfassungswidrig, dass man unterschiedliche Branchen unterschiedlich behandelt.“ Und Artikel 1 des Grundgesetzes schütze die Würde des Menschen.

Deutschlands größter Fleischfabrikant, Clemens Tönnies, warb für eine branchenübergreifende Lösung. „Wir brauchen in der gesamten deutschen Wirtschaft einen fairen Werkvertrag mit klaren Strukturen und Verantwortlichkeiten“, erklärte Tönnies, der als geschäftsführender Gesellschafter die Tönnies-Unternehmensgruppe in Rheda-Wiedenbrück leitet. Er schlägt die Abschaffung undurchsichtiger Subunternehmer-Konstruktionen vor; Werkverträge unter zwei Partnern sollten aber zulässig bleiben. Die Durchgriffshaftung des Auftraggebers auf die Wohnverhältnisse von Arbeitskräften sollte erweitert werden. Der Auftraggeber soll danach für eine „menschenwürdige und wirtschaftlich faire Unterbringung aller Beschäftigten“ haften. Der Mindestlohn in der Branche solle auf zwölf Euro steigen.

Heil betonte: „Ich plane aktuell nicht über die Fleischindustrie hinaus.“ Jahrelang habe die Branche auf Selbstverpflichtungen gepocht und die Politik ausgetrickst: „Wir können dieses Spiel von Selbstverpflichtung zu Selbstverpflichtung nicht wiederholen.“ Spezifische Branchen erforderten spezifische Lösungen. Manche Werkverträge seien unproblematisch. Mit solchen Verträgen können Unternehmen bestimmte Arbeiten bei anderen Firmen einkaufen, die sich dann um die komplette Ausführung kümmern. Das soll mehr Flexibilität bei stark spezialisierten Tätigkeiten ermöglichen.

NRW-Arbeits- und Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) sagte unserer Redaktion: „Die Vorschläge von Herrn Tönnies dürften sich mit der aktuellen Beschlusslage der Bundesregierung erledigt haben.“ Er glaube nicht, dass es durch die neuen Arbeitsschutzmaßnahmen zur Abwanderung von Betrieben ins Ausland komme. „Die Schlachthöfe sind da, wo die Tiere gezüchtet werden, und wir haben hier in Deutschland eine starke und wettbewerbsfähige Tiererzeugung.“

Die Grünen forderten unterdessen eine „Tierschutzabgabe“. Fraktionschef Anton Hofreiter sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Gekoppelt an höhere Tierschutzstandards und eine verbindliche Haltungs- und Herkunftskennzeichnung kann auch eine Tierschutzabgabe dazu beitragen, den Umbau zu artgerechter Tierhaltung zu finanzieren.“

Die Verbraucher werden nach Einschätzung von Deutschlands oberstem Verbraucherschützer Klaus Müller steigende Fleischpreise nach der Verschärfung der Regeln in der Fleischindustrie akzeptieren. „Bessere Bedingungen in der Fleischindustrie sind überfällig“, sagte der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen unserer Redaktion. „Aus Umfragen wissen wir, dass eine Mehrheit der Verbraucher auch bereit ist, mehr für Fleisch zu zahlen, wenn sie sich darauf verlassen können, dass es unter besseren Bedingungen produziert wurde.“

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