Evonik-Börsengang Monopoly im Revier

Es geht um Milliarden und den Machtkampf zweier Männer: Das Scheitern des Evonik-Börsengangs beschädigt Stiftungs-Chefs Wilhelm Bonse-Geuking, das Comeback von Werner Müller rückt näher.

 Vor einem Comeback? Werner Müller.

Vor einem Comeback? Werner Müller.

Foto: AP, AP

Es war einmal ein gewiefter Manager, der hatte einen schlauen Plan: Er schrieb auf, wie Deutschland behutsam aus der Steinkohle aussteigen, Milliarden-Subventionen sparen und 150 Jahre Industriegeschichte mit Anstand beenden kann. Kein Kumpel sollte ins Bergfreie fallen, kein stillgelegter Schacht voll Wasser laufen.

Dazu sollte der mächtige Ruhr-Konzern RAG in einen schwarzen Teil (bestehend aus den Zechen) und einen weißen Teil (bestehend aus Degussa, Steag, Immobilien, später: Evonik) gespalten werden. Die Gewinne des weißen Teils sollten die Kosten des schwarzen Teils finanzieren.

Werner Müller heißt der Mann, und er setzte sein Drehbuch gegen viele Widerstände durch. Nur das letzte Kapitel wollte nicht gelingen: Vor allem Unionspolitiker in Bund und Land machten Müller nicht — wie von ihm erhofft — zum Chef der neuen und mächtigen RAG-Stiftung, die beide Teile kontrolliert. Der frühere NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) verzieh es Müller nie, dass dieser Wahlkampf für die SPD gemacht hatte.

Doch Müller ist passionierter Bergwanderer und entsprechend ausdauernd. Beim Monopoly um die Macht im Revier hat sich seine Geduld gelohnt. Seit gestern sind Müllers Chancen kräftig gestiegen, auf den einflussreichen (und mit rund einer Million Euro Jahresgehalt auch gut dotierten) Posten gerufen zu werden. Denn gestern sagten die im Kuratorium sitzenden Kontrolleure der RAG-Stiftung den Börsengang der Evonik AG endgültig ab. Damit hat Müllers Widersacher, der amtierende Stiftungs-Chef Wilhelm Bonse-Geuking, eine schwere Schlappe erlitten.

Drei Mal hat die RAG-Stiftung unter Bonse-Geuking versucht, den Chemiekonzern an die Börse zu bringen. Drei Mal scheiterte sie. 2008 war es Bonse-Geuking wenigstens gelungen, dem Finanzinvestor CVC gut 25 Prozent von Evonik zu verkaufen. Doch aus dem geplanten Verkauf weiterer Anteile über die Börse wird wieder nichts. "Das Kuratorium hat zugestimmt, die Vorbereitung des laufenden Börsengangs der Evonik zu beenden. Infolge der hohen Unsicherheit der Märkte ist der erzielbare Preis zu weit von einer angemessenen Bewertung der Evonik entfernt", teilte die Stiftung mit.

Nun kann Bonse-Geuking zwar nichts für die Euro-Krise. Doch zunehmend fragen sich Kuratoren, warum der 70-Jährige im Frühjahr 2012 den Börsenprozess überhaupt starten ließ. Schon damals brannten in Athen Straßenbarrikaden, mussten Irland und Portugal an den Tropf. Dennoch setzte Bonse-Geuking auf der Sitzung am 23. März durch, dass Evonik Kurs auf die Börse nimmt. Die Banken schienen ihm zunächst Recht zu geben, sie schätzten den Wert des Chemiekonzerns auf 16 bis 19 Milliarden Euro — und der sauerländische Bergbau-Ingenieur glaubte ihnen. Doch als es zum Schwur kam, wollten Investoren hochgerechnet plötzlich nur noch elf Milliarden Euro zahlen.

Bonse-Geuking zog die Notbremse und präsentierte auf der Kuratoriums-Sitzung am 10. Juni plötzlich eine Analyse, wonach der Börsengang der Evonik gar nicht notwendig sei. Schließlich werfe der Essener Konzern im Jahr genug Dividende ab, damit die Stiftung ab 2019, wenn die letzte deutsche Zeche geschlossen ist, die Ewigkeitskosten des Bergbaus bezahlen kann.

Gestern kam das endgültige Aus. Für Evonik ist damit ein Jahr Vorbereitungs-Arbeit vergebens, 50 Millionen Euro für Berater und Banken wurden vergeblich gezahlt. Und Bonse-Geuking steht als eine "Lame Duck", als Stiftungs-Chef ohne Einfluss, da. Denn die Stiftung legte sich auch fest, dass es in den nächsten zwölf Monaten keinen neuen Versuch geben soll, Evonik an die Börse zu bringen. Im Juli 2013 aber läuft der Vertrag von Bonse-Geuking aus. Außer die Ausschüttung der nächsten Evonik-Dividende an die Stiftung zu überwachen, bleibe ihm nicht mehr viel zu tun, heißt es.

"Unter Werner Müller wäre das nicht passiert", heißt es im Ruhrgebiet. Und womöglich könnte der Mann, der einst Wirtschaftsminister (parteilos) unter Gerhard Schröder war, schon bald zeigen, was er kann. Denn nach den Landtagswahlen in NRW und im Saarland haben sich die Machtverhältnisse kräftig gewandelt. Nach der Sommerpause stehen die drei Mitglieder, die auf dem Ticket von NRW im Kuratorium sitzen, zur Auswechslung an.

Da die rot-grüne Landesregierung den 66-jährigen Müller will, wird sie Befürworter entsenden. Damit ist die Mehrheit für Müller machbar, zumal auch das Saarland seinen harten Widerstand aufgegeben hat. Sogar der Bund muss die von ihm entsandten drei Mitglieder turnusgemäß auswechseln. Zu ihnen zählt Ulrich Hartmann, der frühere Eon-Chef und ebenfalls ein Gegner von Müller.

Viele Müller-Gegner treibt, neben persönlichen Animositäten, auch die Sorge um, der frühere Evonik-Chef könne die RAG-Stiftung zu einer neuen WestLB machen, wie sie einst in NRW herrschte — einer staatsnahen Einrichtung also, die mit einem Milliarden-Vermögen Industriepolitik macht.

SPD-Fraktionschef Norbert Römer hat dafür offen Sympathie bekundet: "Die Stiftung sollte sich zu einem bedeutsamen industriepolitischen Impulsgeber entwickeln, wenn es darum geht, den Wandel zu neuen, modernen wirtschaftlichen Strukturen zu forcieren", hatte Römer 2011 unserer Zeitung gesagt.

Und gleich angeregt, dass die RAG-Stiftung "eine fruchtbare Verbindung" zwischen Evonik und Lanxess organisieren könne, damit diese international oben mitspielen. Andere sahen in der Kunststoffsparte von Bayer ebenfalls eine prima Ergänzung. Die betroffenen Konzerne lehnten dankend ab.

Ein "strotznormales" privates Unternehmen, das Müller aus dem alten Revier-Riesen schaffen wollte, wird Evonik wohl nie werden.

(RP/csi/sap)
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